Der Kurierfahrer war’s nicht

Nachdem ein Transporter in Oppenweiler auf ein Taxi prallte, wird das Verfahren wegen fahrlässiger Körperverletzung eingestellt.

Die Faktenlage für eine Verurteilung am Amtsgericht war zu dünn. BilderBox - Erwin Wodicka

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Die Faktenlage für eine Verurteilung am Amtsgericht war zu dünn. BilderBox - Erwin Wodicka

Von Hans-Christoph Werner

BACKNANG. Vor dem Jugendrichter ist eine Verhandlung wegen fahrlässiger Körperverletzung angekündigt. Die Nase blutig geschlagen? Eine Rippe gebrochen? Nein, ein Verkehrsunfall harmloserer Art liegt der Sache zugrunde. Geschehen im Februar 2019 am Nachmittag. Stoßstange an Stoßstange schiebt sich der Verkehr durch Oppenweiler. Ein 22-jähriger Kurierfahrer ist nicht recht bei der Sache und fährt auf das Auto eines 51-jährigen Murrhardters auf.

Da man den Verkehr nicht aufhalten will, fahren beide zur Seite und machen sich daran, die Sache zu regeln. Der Kurierfahrer will keine Polizei. Nun gut, er zeigt dem Murrhardter auf seinem Smartphone eine Fotografie seines Ausweises. Auf einem Lieferschein, der zur Hand ist, notiert der Kurierfahrer seinen Namen und die Versicherung des Sprinters. Die Angelegenheit in der Weise geregelt geht man auseinander.

Der Murrhardter, von Beruf Taxifahrer, konsultiert tags darauf die Versicherung, will den Unfall melden. Doch bei der Versicherung weiß man nichts von dem Auffahrunfall. Wiederum einen Tag später hat der Taxifahrer starke Schmerzen im Nackenbereich, sucht einen Arzt auf und lässt sich eine Woche krankschreiben: Halswirbelsyndrom. Der Taxifahrer beziffert den Schaden an seinem Auto auf 1400 Euro, will nicht auf den Kosten sitzen bleiben und entschließt sich, die Sache anzuzeigen.

Durch verschiedene Indizien kann die Polizei die Firma, für die der Kurierfahrer unterwegs war, ermitteln. Die Nachfrage dort stellt sich für die Polizei als äußerst schwierig dar. Die ganze Welt mag sich mit Dokumentation beschäftigen, auf solche Lappalien wird in der Firma verzichtet. Das fragliche Fahrzeug weist keinen Schaden auf. Und leider können die Firmeninhaber nicht sagen, welcher der 15 bis 20 Fahrer – nach anderen Angaben können es auch 40 sein – am fraglichen Tag mit welchem Fahrzeug gefahren ist. Offenbar ist es auch üblich, dass die Fahrer ihre Fahrzeuge während eines Arbeitstages mehrmals wechseln.

Wohl arbeite, so die Auskunft, ein Fahrzeuglenker mit dem Namen des nunmehr Angeklagten bei der Fichtenberger Firma. Man möge ihn befragen. Die Polizei widmet sich wieder dem Taxifahrer und legt ihm acht sogenannte Wahlbilder vor. Kann der Geschädigte den Unfallverursacher eindeutig wiedererkennen? Er kann es nicht.

Die Angelegenheit wird von der Polizei weitergereicht, der Kurierfahrer erhält einen Strafbefehl der Staatsanwaltschaft. Das Halswirbelsyndrom des Geschädigten ist, juristisch gesprochen, eine durch Fahrlässigkeit verursachte Körperverletzung. Gegen diesen Strafbefehl erhebt der Kurierfahrer fristgerecht Einspruch. Und so sieht man sich vor Gericht wieder. Für den Kurierfahrer ist die Sache klar: „Ich war’s nicht!“, sagt er. Es gibt zwar eine Notiz, dass der Angeklagte am fraglichen Tag für seinen Arbeitgeber unterwegs war und in Steinheim Ware aufgenommen hat. Aber die hier notierte Zeit passt nicht zu dem Unfall am Nachmittag desselben Tages. Auch der Zettel, den sich der Taxifahrer von dem Unfallverursacher geben ließ, ist nicht eindeutig zu lesen. Der Taxifahrer hat ihn nämlich eigenhändig verbessert, sodass der hier notierte Name auch anders lauten könnte. Auch die „Täterbeschreibung“, die der Taxifahrer bei der Polizei abgab, weicht deutlich vom Erscheinungsbild des Angeklagten ab.

Aber die Dienstherren des Kurierfahrers, das Inhaberehepaar, sind als Zeugen geladen. Der Zeugenaufruf schallt durch die Gänge des Amtsgerichts, ein und ein anderes Mal. Der Richter selbst unternimmt es, sich von den vor dem Gerichtssaal wartenden Personen zu überzeugen. Aber da ist niemand. „Das habe ich mir fast gedacht“, gesteht er bei seiner Rückkehr. Was nun? Kurze Verständigung mit der Staatsanwältin. Die Faktenlage ist für eine Verurteilung zu dünn. So einigt man sich darauf, die Sache einzustellen. Und so geschieht es.

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Erstellt:
23. Oktober 2020, 06:00 Uhr

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