Friedrich Merz
Der Mann, der spricht wie lange kein Kanzler mehr
Die Debatte zu Merz‘ „Stadtbild“-Äußerung legt die kommunikativen Eigenheiten des Kanzlers offen. Im Internetzeitalter ist er noch nicht richtig angekommen.

© Michael Kappeler/dpa
Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) spricht anders als sein Vorgänger.
Von Tobias Peter
Friedrich Merz ist einer, der Freude daran hat, auch mal anzuecken. Der sein ganzes politisches Leben hindurch Freude daran hatte, Debatten auszulösen. Doch in diesem Moment wirkt er wie jemand, der sich wünscht, dass es mit dem Streit wieder vorbei ist.
Als der Kanzler sich am Donnerstag auf einer Reise nach London zum Streit über seine „Stadtbild“-Äußerung erklärt, ist das ein ungewöhnlicher Moment. Keine Fragen zur Innenpolitik im Ausland, das ist die übliche Regel, an die sich auch Journalisten meist halten. Doch jetzt spricht Merz das Thema von sich aus an. Der Mann, der für die freie Rede bekannt ist, liest offenbar ab. Die Fernsehbilder zeigen jedenfalls, wie Merz Satz für Satz immer wieder nach unten schaut.
Äußerung sorgt für großen Wirbel
„Ja, wir brauchen auch in Zukunft Einwanderung“, sagt er. „Denn schon heute sind Menschen mit Migrationshintergrund, wie wir es ausdrücken, unverzichtbarer Bestandteil unseres Arbeitsmarktes.“ Probleme machten diejenigen, die keinen dauerhaften Aufenthaltsstatus hätten, nicht arbeiteten und sich auch nicht an die Regeln hielten. „Viele von ihnen bestimmen auch das öffentliche Bild in unseren Städten“, sagt Merz. Deshalb hätten viele Menschen Angst, sich an Bahnhöfen, in bestimmten Parkanlagen oder auch Stadtteilen zu bewegen.
Es ist ein ganz anderer Auftritt als jener, bei dem Merz in Potsdam in der vergangenen Woche sagte, man mache Fortschritte in der Migrationspolitik. „Aber wir haben natürlich im Stadtbild noch dieses Problem, und deswegen ist der Bundesinnenminister ja auch dabei, jetzt in sehr großem Umfang auch Rückführungen zu ermöglichen und durchzuführen“, fügte er hinzu. Rumms. Die Äußerung sorgte für großen Wirbel.
Sehr wohlwollend konnte man sie so interpretieren, wie der Kanzler sie erst Tage später in London präzisiert hat. Aber so, wie er seine Worte in Potsdam formuliert hatte, ließen sie viel Interpretationsspielraum. Und sie verletzten viele.
Was hatte Merz sagen wollen? Wandte er sich pauschal gegen Menschen mit Migrationshintergrund? Will er sie, hart gesagt, am liebsten nicht mehr auf der Straße sehen? Fischt er an dieser Stelle mit AfD-ähnlichen Formulierungen nach Wählern am rechten Rand?
Merz‘ Kommunikation hat zwei Eigenheiten, die sie fundamental von der seines Vorgängers Olaf Scholz unterscheidet. Und auch von der Angela Merkels. Der Mann aus dem Sauerland spricht, wie es seit 20 Jahren kein Kanzler mehr getan hat.
Merz formuliert oft spontan. Das hat er als Oppositionspolitiker getan – und er tut es auch als Regierungschef. Er ist schon mal unvorsichtig. Er nimmt es in Kauf, wenn er dabei Menschen vor den Kopf stößt.
Glatt geschliffene Sätze bei Scholz
Unvergessen ist, wie Merz als Oppositionsführer im Jahr 2023 über abgelehnte Asylbewerber sprach. „Die sitzen beim Arzt und lassen sich die Zähne neu machen, und die deutschen Bürger nebendran kriegen keine Termine.“ Die Bundeszahnärztekammer wies das zurück. Es ist nicht das einzige Beispiel. Es hinterließ den Eindruck, Merz agiere wie jemand, der einfach ungeniert und ungeprüft das weitersagt, was ihm der Nebenmann im Stadion erzählt hat.
Bei aller berechtigten Kritik hat Merz‘ Kommunikation für die Demokratie auch Vorteile. Olaf Scholz hat seine Sätze so lange bedacht und so intensiv glatt geschliffen, dass oft kaum etwas Greifbares übrig geblieben ist. Es war, als hätte er den Wunsch gehabt, den berühmten Satz des US-amerikanischen Philosophen Paul Watzlawick zu reformieren: „Man kann nicht nicht kommunizieren.“ Die Zuhörer hatten dabei oft das Gefühl, Scholz interessiere sich nicht für sie.
Gemeinsam ist Merz und Scholz ein gewisses Maß an Bockigkeit. Scholz gab die immer selben Antworten – egal, wie oft man ihn fragte. Merz wiederum sagte auf die Frage, was er mit seiner „Stadtbild“-Äußerung in Potsdam eigentlich gemeint habe, noch Anfang der Woche, er habe nichts zurückzunehmen. Doch statt sich zu erklären, sagte er nur: „Fragen Sie ihre Töchter.“
Des Kanzlers Bockigkeit
Unter dem Motto „Wir sind das Stadtbild“ demonstrierten Menschen vielerorts gegen Merz‘ Äußerungen. In den sozialen Medien zeigte sich: Merz‘ „Stadtbild“-Äußerung eröffnete auch eine ideale Bühne für seine Gegner. Überhaupt zeigt sich: Ein Satz, der früher auch schnell wieder vergessen worden wäre, löst heute oft eine unkontrollierbare Diskussionslawine aus. Merz hatte seine erste politische Karriere in den 1990ern und Anfang der 2000er. Er unterschätzt das Internet.
„Ich würde beiden Seiten raten, rhetorisch abzurüsten“, sagt der Düsseldorfer Politikprofessor Ulrich von Alemann. Einerseits appelliere Merz unterschwellig an diffuse migrantenfeindliche Gefühle. Das sei Populismus, aber noch keine AfD-Sprache, so von Alemann. Andererseits habe Merz auch einen Punkt. Es gebe in Deutschland Problemstadtteile, wo viele nicht mehr gern hingingen. „Dies ist eine eindeutige Tatsache. Da kann man jeden Polizeibeamten oder das Ordnungsamt befragen.“