Der Mann mit dem goldenen Schuh

Der frühere TSG-Torjäger Ernst Kreß wird heute 80 – Als Stadtrat und Gastronom eng mit seiner Heimatstadt verbunden

Eine Backnanger Legende wird 80: ErnstKreß – Gastronom, Stadtrat und ehemals aktiver Fußballer – hat sich in die Annalen der Murr-Metropole eingeschrieben. Im entscheidenden Spiel um den Aufstieg der TSG in die Regionalliga leitete seine Flanke das siegbringende Tor ein. Bis heute liefert der umjubelte Treffer Gesprächsstoff – immer wieder muss Kreß erzählen, wie das damals war.

Ernst Kreß zeigt schmunzelnd den Fußballstiefel, mit dem er 1967 das Golden Goal für den Aufstieg in die Regionalliga vorbereitet hat. Foto: A. Becher

© Alexander Becher

Ernst Kreß zeigt schmunzelnd den Fußballstiefel, mit dem er 1967 das Golden Goal für den Aufstieg in die Regionalliga vorbereitet hat. Foto: A. Becher

Von Armin Fechter

BACKNANG. Mit links hat er das damals in Pforzheim gemacht, als er den Ball auf den Kopf seines Mitspielers Karl Grözinger zirkelte. Er bewies mit dieser Aktion, die der TSG die Zugehörigkeit zur damals zweithöchsten deutschen Fußballliga eintrug, seine Qualitäten als Vorbereiter und Vorlagengeber. Aber Ernst Kreß war auch oft genug der Vollstrecker, eine Saison beendete der Mittelstürmer sogar als Torschützenkönig. Was seine Künste am Ball wert waren, wusste auch der Württembergische Fußballverband zu schätzen: Kreß wurde in die WFV-Auswahl berufen, in der er neben Bundesliga-Spielern auflief, und er bestritt mehrere Spiele auf Landesebene, ehe ihn eine Verletzung ausbremste.

Gefeiert wurden die erfolgreichen Recken der TSG in Backnang 1967, als ob sie die Weltmeisterschaft gewonnen hätten. Mittendrin Ernst Kreß. Schmunzelnd zeigt er ein Erinnerungsstück, das er später geschenkt bekommen hat: den in Gold eingefärbten Fußballstiefel, mit dem er damals das Golden Goal vorbereitet hatte, einen Möbus Größe 45.

In jungen Jahren schwere Zeiten durchgemacht

Das Leben des Ernst Kreß hat freilich nicht so glorreich begonnen. Als er zur Welt kam, 1940, war Krieg. Mit einem Bruder und einer Schwester wuchs er zunächst in Neu Valm Gut im Kreis Neustettin im heute polnischen Hinterpommern auf. Der Vater wurde 1943 eingezogen, er ist nicht aus dem Krieg zurückgekehrt. Als die Front im Osten immer näher kam, entschloss sich die Mutter mit den Kindern zur Flucht. Ende Januar 1945, auf dem Weg Richtung Westen, erlebten sie die Tragödie der Wilhelm Gustloff mit. Kreß, damals gerade fünfjährig, hat noch heute Bilder des Schreckens vor Augen. Im März 1945 kam die Familie in Reinbek bei Hamburg an, wo sie in eine Wohnung eingewiesen wurde und acht Jahre lang blieb. Dann aber lockte Württemberg mit Arbeitsstellen. Im Dezember 1953 siedelte die Familie nach Backnang um und fand sich rasch zurecht. Der junge Ernst musste noch zur Schule gehen. An Ostern 1955 trat er aber eine Schreinerlehre bei der Firma Genkinger in Burgstall an und fand eine erste berufliche Heimat – nicht zuletzt auch, weil man dort für seine sportlichen Aktivitäten Sympathie hatte.

Seine fußballerische Laufbahn begann Kreß beim FC Viktoria. Von 1954 an spielte er für die Grünen, 1961 kam der Wechsel zur TSG – eine Entscheidung, um sportlich weiterzukommen. Hatte er früher auf wechselnden Positionen gespielt, so konnte er jetzt als Torjäger brillieren. Neun Jahre lang. Dann, 1970, hängte er die Fußballstiefel an den Nagel, obwohl ihm sogar aus Reutlingen ein Angebot vorlag. Aber Kreß hatte inzwischen geheiratet, eine Familie gegründet und zusammen mit seiner Frau Ursel die Wirtschaft der Schwiegereltern im Melanchthonweg, die Gaststätte Scholpp, übernommen, die mit ihren schwäbischen Spezialitäten, gewürzt auch mit dem Humor der Wirtsleute, Kultstatus erreichen sollte.

Kaum hatte Kreß aber von Schreiner auf Gastronom umgesattelt, übernahm er Verantwortung für seinen Berufsstand auf lokaler Ebene und im Dehoga-Kreisverband und ist bis heute engagiert. Gemeinsam mit einer Gruppe von Kollegen half er 1971 auch das Backnanger Straßenfest aus der Taufe zu heben. 1998, nach fast 30 Jahren, übergab er die Wirtschaft an seinen Sohn – und fand nun auch Zeit für andere Aufgaben. Bei der nächsten Gemeinderatswahl stand sein Name auf der Liste der CDU. Auf Anhieb wählten ihn die Backnanger ins Stadtparlament, dem er seit 1999 ohne Unterbrechung angehört. „Wir haben viel für Backnang gemacht“, erinnert er sich an die Projekte, die in dieser Zeit auf den Weg gebracht wurden, sei es das neue Familienbad, die Sanierung des gotischen Chors oder die Erneuerung des Spinnerei-Areals. Seit über 20 Jahren engagiert sich Kreß auch in der Partnerschaft mit Annonay: Schwäbische Kost aus Backnang ist bei der Schlemmermesse der Gourmandises d’Ardèche ein Renner.

„Ich bin happy mit dem, was ich im Leben erreicht habe“, zieht Ernst Kreß rückblickend Bilanz. Hat es neben Arbeit und Ehrenamt auch noch Zeit für Hobbys gegeben? Ab und zu zum Tanzen gehen, Gesellschaft haben – das bereitet dem Jubilar Freude. Und die Familie: zwei Kinder, vier Enkel, gemeinsame Unternehmungen, der Zusammenhalt, „das ist unser Stolz“. Der Fußball spielt aber auch noch immer eine Rolle: Bei Heimspielen in den Etzwiesen ist er stets gerne dabei – heute freilich als Zuschauer.

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Erstellt:
11. Januar 2020, 11:30 Uhr

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