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Reinhard Grindel geht – wer erneuert nun den DFB?

Die Erneuerung von innen heraus ist beim Deutschen Fußball-Bund gescheitert. Nach dem Rücktritt von Reinhard Grindel beginnt die Nachfolgesuche – es gibt leichtere Aufgaben.

Stuttgart Dieser Abend war ja eigentlich wie gemalt für einen Präsidenten des Deutschen Fußball-Bundes (DFB). Im Deutschen Fußballmuseum wurden am Montag elf Größen des deutschen Fußballs in die Hall of Fame, die Ruhmeshalle, aufgenommen – und beinahe alle noch lebenden Ex-Kicker ­dieser Legenden-Mannschaft waren gekommen: Franz Beckenbauer, Uwe Seeler, ­Lothar Matthäus, Paul Breitner, Matthias Sammer, Andreas Brehme, Sepp Maier, Günter Netzer. Reinhard Grindel war ebenfalls nach Dortmund gereist. Seine letzte Dienstreise als Chef des Verbands.

Unter dem Eindruck der Diskussionen um angeblich verheimlichte Einkünfte und eine Luxusuhr, die der 57-Jährige von einem ukrainischen Oligarchen angenommen hat, erklärte Reinhard Grindel am Dienstag seinen Rücktritt – was am Ende eine logische Konsequenz war. Denn die von ihm ausgerufene Erneuerung des sieben Millionen Mitglieder zählenden Verbands ist vorerst gescheitert.

„Wir haben großen Respekt vor seiner Entscheidung“, sagte am Dienstag Rainer Koch. Der Vizepräsident führt den Verband bis zum Bundestag am 27. September gemeinsam mit Reinhard Rauball, ebenfalls Vize und Präsident der Deutschen Fußball-Liga (DFL), interimsweise. Seine Ämter in den internationalen Verbänden Uefa und Fifa behält Grindel, der sagt: „Ich entschuldige mich dafür, dass ich durch mein wenig vorbildliches Handeln in Zusammenhang mit der Annahme einer Uhr Vorurteile gegenüber haupt- oder ehrenamtlich Tätigen im Fußball bestätigt habe.“

Grindel, einst Bundestagsabgeordneter (CDU), TV-Journalist und Schatzmeister des DFB, war schon in seiner bisherigen Amtszeit nicht gerade dafür bekannt gewesen, Fettnäpfchen instinktsicher zu umdribbeln. Nun aber ging es nicht mehr nur darum, ob der eine oder andere Satz hätte glücklicher formuliert werden können. Es ging um die Integrität des obersten Vertreters des größten deutschen Sportfachverbands.

Grindel hatte im April 2016 den Posten als Nachfolger von Wolfgang Niersbach übernommen, nachdem dieser über die Wirren des Sommermärchens 2006 gestolpert war. Sein Versprechen: Transparenz, Offenheit, ein Herz für die Basis – und nicht allein der Blick auf die teils entfremdet daherkommenden Hochglanzprodukte dieser Sportart. Doch nun, ausgerechnet: Fälle, die Klischees bedienen. „Wenn man in solch einer Position ist und solche Dinge ans Licht kommen, sollte man zumindest Argumente haben, um sie so schnell wie möglich beiseitezuräumen“, sagte am Montag Lothar Matthäus, der Rekordnationalspieler Deutschlands. Doch die Argumente gingen dem 57-jährigen Grindel am Ende aus.

Am Wochenende hatte der „Spiegel“ über Einkünfte des DFB-Chefs berichtet, die er angeblich nicht angegeben hatte. Es geht ­dabei um 78 000 Euro, die Grindel zwischen Juli 2016 und Juli 2017 erhielt – für seine Tätigkeit als Aufsichtsratschef der damaligen DFB Medien Verwaltungsgesellschaft mbH. Der frühere Politiker bestreitet die Einkünfte nicht, betont aber, bei seiner Wahl im April 2016 nichts verheimlicht zu haben, da er den Vorsitz des Kontrollgremiums erst danach angetreten habe. Die Vergütung sei dieselbe gewesen, die auch Vorgänger Niersbach für diesen Posten bekommen habe. Kritiker wittern dennoch einen Regelverstoß, womöglich hätte diese Vergütung verrechnet werden müssen mit anderen Einkünften, die das höchste Ehrenamt im DFB so mit sich bringt.

Grindel erhielt bisher vom DFB eine Aufwandsentschädigung von 7200 Euro pro Monat. Dazu kam dieselbe Summe als Ausgleich seines Verdienstausfalls. Auf Letzteres verzichtete Grindel, seit er Ämter im europäischen Fußballverband Uefa und im Weltverband Fifa innehat. Diese werden mit rund 500 000 Euro vergütet. Bei der Uefa steht der DFB-Präsident übrigens an der Spitze der Compliance-Kommission – also der Kommission, die die Einhaltung von ­Regeln überwacht. Auch dort will er nun vorsprechen.

Allein diese Zahlenspiele wären womöglich noch erklärbar gewesen, obwohl sie das Bild des transparenten Aufklärers bereits trübten und stattdessen in jenes der gierigen Funktionäre passten. Dass von „Bild“ auch noch ein Bericht über eine Luxusuhr veröffentlicht wurde – während der Gala in Dortmund –, machte die Sache für Grindel komplizierter. Und nicht mehr lösbar.

Grigori Surkis heißt der Mann, der Grindel beschenkte. Der Ukrainer kaufte 1993 den Club Dynamo Kiew, war einige Jahre dessen Präsident und saß bis Februar dieses Jahres mit Grindel im Exekutivkomitee der Uefa. Die Uhr sah Grindel als „reines Privatgeschenk“. Er habe ihren Wert von 6000 Euro erst am Wochenende erfahren. Dass er nicht sofort nachgehakt hatte, welchen Wert das Präsent habe, bezeichnete er am Dienstag als „schweres Versäumnis“ und einen „Fehler“, der ihn im Nachhinein „fassungslos“ mache. Unter Surkis übrigens war Dynamo Kiew 1995 für ein Jahr international gesperrt, weil dieser versucht haben soll, einen Schiedsrichter zu bestechen. Kein Wunder, dass sich da die Frage stellte: Tritt Grindel jene Werte, für die er einstehen wollte, mit Füßen? Dieser Eindruck zumindest ist entstanden – und weil sich in den vergangenen Monaten andere Ungeschicklichkeiten aneinanderreihten wie Kurzpässe im Tikitaka-Spiel, waren die Folgen drastisch.

Im Vorfeld der WM 2018 hatte er den Vertrag mit Bundestrainer Joachim Löw ohne Not bis 2022 verlängert. Nach dem Debakel in Russland fehlte dem Präsidenten dadurch jegliche Handhabe in der Debatte über die Zukunft der Nationalmannschaft. Kurz vor dem Turnier war Grindel eher durch die Erdogan-Affäre mit Mesut Özil und Ilkay Gündogan geschlingert, als dass er sie lärmdämmend moderierte.

Nach der WM gipfelte der Fall im Rücktritt Özils, der in seiner öffentlichen Abrechnung nicht mit Kritik am DFB-Präsidenten sparte. Zuletzt kritisierte Grindel seinerseits Joachim Löw, als dieser Mats Hummels, Jérôme Boateng und Thomas Müller aus der Nationalmannschaft sortierte und dies nicht umgehend per Pressekonferenz erklärte. Tage später wollte er seine Aussagen nicht mehr als Kritik am Trainer verstanden wissen. Stattdessen redete er über einen angemessenen Abschied des Weltmeistertrios, was als Angebot eines Abschiedsspiels verstanden werden konnte. Ein solches wird aber in der Sportlichen Führung abgelehnt. Kopfschütteln löste Grindel kürzlich zudem aus, als er ein TV-Interview einfach abbrach.

Von der Souveränität, die das Amt des DFB-Präsidenten verlangt, war Grindel zuletzt also weit entfernt, obwohl ihm Experten durchaus gute Arbeit in den internationalen Gremien bescheinigen. Der DFB hat außerdem den Zuschlag für die Ausrichtung der EM 2024 bekommen. Dennoch wurden bereits Namen von potenziellen Nachfolgern gehandelt – nun muss die Liste tatsächlich erstellt werden.

Ex-Nationalspieler Christoph Metzelder wird gehandelt, auch DFB-Generalsekretär Friedrich Curtius. Nicht mehr auf der Liste steht sein Montag dagegen Philipp Lahm, der bereits signalisierte, „überhaupt keine Ambitionen“ zu haben. „Unser Ziel ist es jetzt, einen gemeinsamen Kandidaten von DFB und DFL außerhalb des Präsidiums zu finden, der die Anliegen des Amateurfußballs ebenso im Blick hat wie den Spitzenfußball“, sagte Koch. Man will nicht mehr klüngeln, das Hauptamt wird in Erwägung gezogen – und es warten große Herausforderungen.

Der nun entstandene Imageschaden, ein weiterer nach der noch nicht ganz aufgeklärten Sommermärchen-Affäre, muss korrigiert, um Transparenz weiter gerungen werden. Die Annäherung von Amateur- und Profisport bleibt ein schwieriges Thema, und dass die Nationalmannschaft innerhalb des Verbandes als Staat im Staate gilt, darf auch kein Dauerzustand bleiben. Selbstbewusstsein, Integrität und ein Netzwerk in der Fußballbranche braucht die neue Frontfigur des deutschen Fußball. Einen Hang zur Selbstdarstellung dagegen nicht.

Übrigens: Beckenbauer, Breitner, Maier, Seeler, Netzer, Matthäus, Brehme und Sammer sind aktuell allesamt keine Kandidaten – zieren aber seit Montag als erste Mitglieder die Ruhmeshalle des deutschen Fußballs. Eine Ehre, die Reinhard Grindel nie zuteilwerden wird – nicht nur wegen der mangelnden Weltkarriere als aktiver Fußballer. Dass er die Uhr nun „so schnell wie möglich“ zurückgeben will, ändert daran nichts.

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Erstellt:
3. April 2019, 14:19 Uhr

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