Bundestag
Der neue Sound des Friedrich Merz
Von Merz sind in der Haushaltsdebatte einige Sätze zu hören, die er früher so nie gesagt hätte. Über einen, der noch nach seiner Rolle sucht.

© Katharina Kausche/dpa
Friedrich Merz spricht in der Haushaltsdebatte im Bundestag.
Von Tobias Peter
Friedrich Merz wollte nichts mehr, als Kanzler zu werden. Der Tag, an dem ein vorheriger Oppositionsführer das erste Mal als Regierungschef an einer Generaldebatte zum Haushalt teilnimmt, ist einer, an dem er unvermittelt erleben kann: Der neue Job hat nicht nur Vorteile. Das fängt damit an, dass der Kanzler am Anfang schweigen muss.
Es ist Alice Weidel, die als Chefin der größten Oppositionsfraktion das Privileg hat, als Erste ans Rednerpult zu treten. Die AfD-Politikerin spricht kühl, wird dabei aber zumindest zu Beginn ihrer Rede nicht laut. Da sie immer wieder kleine Pausen macht, ist es aber trotzdem, als würde sie ihre Botschaft mit einem Hämmerchen einschlagen. Beachtet man ihre Wortwahl, kann man vielleicht auch von einem Presslufthammer sprechen.
„Schön, dass Sie auf ihrer Realitätsflucht durch die Gipfel und Hauptstädte dieser Welt noch einmal Zwischenstation in Deutschland eingelegt haben“, sagt Weidel. „Unserem Land im Sinkflug, dem sie einen Neustart versprochen haben, aber die Ampelpolitik eins zu eins fortsetzen.“ Der CDU-Chef Merz sei ein „Papierkanzler“, der im Ausland Weltmacht spiele, sich aber zu Hause von seinem Koalitionspartner SPD vorführen lasse.
Der Ton wird nach und nach immer aggressiver. Bis die AfD-Politikerin schließlich sagt: „Für die bitter enttäuschten Bürger sind Sie schon jetzt der Lügenkanzler, Herr Merz, dessen gebrochene Wahlversprechen ganze Kataloge füllen.“
Weidel nennt Merz „Lügenkanzler“
Die erste Generaldebatte zum Haushalt, das ist ein Moment, in dem viele noch ihre Rolle im neuen Bundestag finden müssen. Friedrich Merz sitzt viel mit verschränkten Armen vor seinem Bauch da, während Weidel spricht. Will er seinen Unmut zeigen oder kann er ihn einfach nicht verbergen?
Hier und da flüstert Lars Klingbeil, der SPD-Chef und Bundesfinanzminister, der neben dem Kanzler sitzt, Friedrich Merz etwas von der Seite zu. Sie tauschen dann kurz ein paar Worte aus. Es sieht zumindest nach kurzen Momenten der Lockerheit aus.
Dann tritt Merz ans Rednerpult. Als Oppositionsführer war die Generaldebatte in der Haushaltswoche seine Glanzdisziplin. Er sprach frei. Er teilte hart gegen Kanzler Olaf Scholz und die Ampel aus. Jetzt ist er selbst derjenige, der einstecken muss. Und dann auch noch mit der AfD-Chefin als Vorrednerin. Er will sich wehren. Unbedingt.
Der Kanzler weist also in seiner Erwiderung auf Weidel die „pauschale und undifferenzierte Herabwürdigung der Arbeit der neuen Bundesregierung mit aller Entschiedenheit“ zurück. „Halbwahrheiten, üble Nachrede und persönliche Herabsetzungen muss auch in einer Demokratie niemand unwidersprochen einfach hinnehmen“, sagt Merz. Im Folgenden zeigt sich auch, dass in der schwarz-roten Koalition nun schon häufiger etwas funktioniert, was die Beteiligten sich vorgenommen haben. Dass der eine für den anderen auch applaudiert. Die SPD klatscht für den CDU-Chef. Nicht immer, aber immer öfter.
Merz hat ein Skript. Er geht aber auch immer wieder auf Weidels Rede ein. Das bringt Merz‘ Stärke, auch frei zu sprechen, zum Tragen. Es wertet Weidel aber auch auf. Er will sie zurückdrängen – und gibt ihr dadurch gleichzeitig auch Raum.
Der Job als Optimismus-Beauftragter
In der Zeit nach der Bundestagswahl ist der Kanzler auch in der eigenen Wählerschaft spürbar unter Druck geraten. Da war die Reform der Schuldenbremse noch vor Konstituierung des neuen Bundestags. Sie war notwendig, um genug Geld für Verteidigung zu haben. Nur: Es klang eben doch sehr anders, wenn Merz vor der Wahl über die Schuldenbremse gesprochen hat.
Und: Da ist der Druck, die Wirtschaft wieder in Schwung zu bekommen, wie der CDU-Chef es vor der Wahl versprochen hat. Im Regierungsalltag ist schnell erkennbar: Es ist alles gar nicht so einfach. Beim Streit über die Stromsteuer zeigte Schwarz-Rot bereits erste Vibes der Ampel-Koalition, die sich ständig selbst korrigieren musste.
Der Bundeskanzler hat sich entschieden, in dieser Lage erst einmal als eine Art Optimismus-Beauftragter zu fungieren. Als einer, der erklärt, was die Bundesregierung in nur zwei Monaten schon alles erreicht habe. Der in der Lage ist, ein halbgefülltes Glas als voll zu betrachten. Wenn man auf die Bundesregierung schaue, so hat Friedrich Merz es am Vorabend beim Sommerfest des Parlamentskreises Mittelstand der Unionsfraktion gesagt, „dann kann ich sagen, das ist eine der besten Bundesregierungen, die wir in den letzten Jahrzehnten in Deutschland gehabt haben.“ Was für eine Ansage nach so kurzer Zeit.
Der Mann, der die SPD mitnehmen muss
Im Bundestag arbeitet Merz daran, dass er als Kanzler auch die SPD-Fraktion mitnehmen muss. Er dankt für das Mitmachen bei mancher Änderung in der Migrationspolitik – auch wenn das vielen nicht leichtgefallen sei. Merz sagt jetzt Sätze wie: „Mit der Verlängerung der Mietpreisbremse entwickeln wir auf Zeit das soziale Mietrecht ausgewogen weiter und stellen sicher, dass die Auswirkungen auf Wohnungsbau und Wohnraumangebot berücksichtigt werden.“ Friedrich Merz und sein neuer schwarz-roter Sound.
In einem Punkt aber legt der Kanzler sich fest – auch, was einen konkreten Zeitpunkt angeht. Im Herbst werde es Entscheidungen in Sachen Bürgergeld-Reform geben. Danach werde sich der Bundestag damit befassen können. Das ist ein ehrgeiziger Zeitplan, wenn man bedenkt, dass sich hinter den dehnbaren Formulierungen im Koalitionsvertrag handfeste Konflikte zwischen Union und SPD verbergen. Hier ist auch Merz jetzt unter Zeitdruck.
Und sonst? Gibt es wenig Spektakuläres in der ersten Generaldebatte des Bundestags seit der Wahl. SPD-Fraktionschef Mattias Miersch attackiert die Rhetorik der AfD – vor allem die von Alice Weidel. „Wie kann man so eiseskalt, so hasserfüllt als Mensch eine solche Rede halten, wie Sie das eben getan haben?“, sagt er nach Weidels Rede und sieht sich in seiner Forderung nach einem AfD-Verbot bestärkt.
Der Wettstreit auf der linken Seite
Katharina Dröge von den Grünen und Heidi Reichinnek von der Linken konkurrieren darum, wer die Oppositionsführerin auf der linken Seite ist. Dröge weist Merz darauf hin, wie schwer er sich trotz der vielen neuen Schulden mit dem Regieren tue. „Wollen Sie nicht oder können Sie es nicht?“, fragt sie. Reichinnek dringt darauf, Vermögende stärker zu besteuern. Die Koalition liefere einen „Haushalt der Hoffnungslosigkeit“, sagt sie, zum Kanzler gewandt. Sie kritisiert die vorgesehene massive Aufrüstung sowie Steuergeschenke für Superreiche und Konzerne. „Jeder Cent, der in die Rüstung fließt, fehlt an anderer Stelle“, warnt die Fraktionschefin der Linken. Sie spricht mal wieder so schnell, als trete sie mit dieser Fähigkeit in einem Wettbewerb an.
Merz stellt sich später am Tag noch in einer Regierungsbefragung den Abgeordneten. Er verzichtet freiwillig auf sein Eingangsstatement. Der Bundeskanzler hat sich schnell daran gewöhnt, nicht das erste Wort zu haben.