Der Saft schmeckt dieses Jahr saurer

Die Apfelernte ist seit einem Monat im Gang. Hiesige Obstbauern, Obsthändler und Saftproduzenten fällen ein uneinheitliches Urteil über die Saison, die aufgrund des kühlen Sommers spät begonnen hat. Sorgen bereitet der Zustand der Bäume, die den Klimawandel schlecht vertragen.

Die Annahmestelle von Uwe Röhrle ist an Samstagen, wenn es während der Ernte Schlag auf Schlag geht, abends gut gefüllt mit Streuobst von regionalen Erzeugern. Foto: A. Becher

© Alexander Becher

Die Annahmestelle von Uwe Röhrle ist an Samstagen, wenn es während der Ernte Schlag auf Schlag geht, abends gut gefüllt mit Streuobst von regionalen Erzeugern. Foto: A. Becher

Von Nicola Scharpf

Rems-Murr. Für Martin Körner gestaltet sich die Apfelernte „freundlich von der Menge her“ und „besser als erwartet“. „Ich gucke positiv in die Saison. Wenn ich positiv herausgehe, ist das noch besser“, sagt der Obstbauer aus Backnang-Strümpfelbach lachend. Dabei war der April so frostig wie selten zuvor. Doch die Körner’sche Kontrolle der Blüten ergab: Sie haben das ordentlich weggesteckt. Weiter sagt der Apfelprofi über die diesjährigen Wetterbedingungen bis zur Zeit der Ernte: Es war in der Blüte verregnet – was tierischen Schädlingen zu schaffen machte, sodass es in dieser Hinsicht entspannt ist – und im Sommer „bissle zu schattig“. Was dazu führe, dass die Ernte der Tafeläpfel in seinen Plantagen um eine Woche bis zehn Tage Verspätung habe. Aber von den Werten her – beispielsweise die Farbe der Äpfel oder deren Zuckergehalt betreffend – könne er nicht klagen. Gala und Elstar sind bereits abgeerntet, Jonagold hat starke Frostdeformationen erlitten, die Ernte von Kanzi, Fuji und Kameo steht an. Als Erwerbsbauer ist Körner bestrebt, über die Jahre hinweg einen möglichst gleichmäßigen Ertrag zu erzielen. Seine Kenntnisse der Pflanzenphysiologie und des richtigen Baumschnitts leisten dazu ihren Beitrag.

Auf vielen Streuobstwiesen im hiesigen Raum gestaltet sich die Lage anders: Nachdem 2020 ein ertragreiches Jahr war, rechnet der Fruchtsaftverband für 2021 mit nur 30 bis 40 Prozent des Vorjahresniveaus. Dementsprechend sagt beispielsweise Bernd Wurst, der in Murrhardt-Köchersberg eine Lohnmosterei betreibt und Saft von seinem eigenen Streuobst verkauft, die Saison sei „sehr verhalten“ angelaufen.

Manch einer der Kunden, die aus ihrem Obst ihren eigenen Saft pressen lassen, könne – je nach Lage – mit einer guten Ernte rechnen. Auf seinen eigenen Obstwiesen dagegen falle die Ernte sehr mager aus. Auffällig sei, dass Kunden bereits jetzt späte Sorten wie den Boskop oder den Brettacher, die sonst erst Mitte Oktober angeliefert werden, bringen. Die Quantität ist das eine, die Qualität das andere: „Der Saft wird süß, wenn die Früchte viel Sonne abbekommen“, sagt Wurst. Die Sonne hat sich allerdings in diesem Jahr rargemacht. Regen dagegen gab es genug. Wurst beobachtet allerdings, dass viele Bäume die Feuchtigkeit gar nicht aufnehmen. Seine Vermutung: Ihr Stoffwechsel ist durch den Klimawandel bereits so gestört, dass sie dazu nicht mehr in der Lage sind. Hinzu komme, dass Bäume mittleren Alters auf den Obstwiesen fehlen. Viele Bäume seien noch sehr jung oder aber überaltert. Letzteren fehlt die Vitalität, sie blühen schon schlecht und tragen dann auch schlecht.

Dass Wurst in diesem Jahr nicht in massenweise Streuobst untergehen würde, darauf hat er sich nach dem ertragreichen Jahr 2020 eingestellt. Es liegt an der Alternanz der Bäume, also ihrem Wechsel zwischen Tragjahr und Schonjahr: „Das weiß man.“ Viele Kunden würden darauf reagieren, indem sie in einem starken Erntejahr so viel Saft pressen lassen, dass er für zwei Jahre ausreicht. So errechnet beispielsweise auch Obsthändler Uwe Röhrle, mit Streuobstannahmestelle in Auenwald-Mittelbrüden, erst nach drei bis vier Jahren einen Durchschnitt für seinen Betrieb.

Rund 120 Erzeuger aus einem Gebiet, das von Murrhardt bis Winnenden reicht, bringen ihr geerntetes Streuobst zu ihm, das er anschließend weitervermarktet, zum Beispiel an den Aspacher Safthersteller Streker oder auch an Keltereien am Bodensee. Vor allem an den Wochenenden in der Erntezeit geht es hier Schlag auf Schlag. Dann kann es sein, dass 80 bis 90 Anlieferungen innerhalb von drei Stunden abgefertigt werden müssen. „Der Aufwand ist der gleiche, unabhängig davon, ob jemand 50 Kilogramm oder eineinhalb Tonnen bringt“, schildert Röhrle. Sein Fazit über die ersten Wochen der diesjährigen Ernte: „Der Aufwand ist riesig, aber die Menge stimmt nicht.“ In der Regel dauert die Erntesaison bis in den November hinein. Manche Prognose, so der Obsthändler, gehe für dieses Jahr von einem Ende bereits Mitte Oktober aus. Spät angefangen, früh aufgehört, laute die Devise. Wobei das Wetter der zurückliegenden Tage dem Streuobst beziehungsweise dem daraus gewonnenen Saft noch mal guttut: „Kalte Nächte und sonnige Tage, das gibt Oechsle“, sagt Petra Streker. Die Geschäftsführerin des Aspacher Saftproduzenten Streker Natursaft rechnet damit, dass der Saft in diesem Jahr eine ganz andere Qualität haben wird als jener der zurückliegenden drei Jahre, als er aufgrund der Trockenheit und der Hitze sehr hohe Oechsle und wenig Säure hatte. „Im vergangenen Jahr hatten wir 70 Grad Oechsle, was extrem hoch ist.“ In diesem Jahr liege der Wert bei 48. Der Saft schmecke saurer.

Mit Sorge schaut Streker auf die Obstwiesen: Die Bäume hatten in den vergangenen drei Jahren nur Sonne und kein Wasser. In diesem Jahr hatten sie dafür nur Wasser und keine Sonne. Das verlange ihnen eine ungeheure Flexibilität ab. „Die Streuobstwiese kämpft ums Überleben. Sie kommt mit dem Klimawandel schlecht zurecht.“ Die Vielzahl von Baumruinen auf den Wiesen, die beispielsweise keine Blätter, aber Früchte tragen, oder dass Bäume auf der einen Wiese tragen und auf der danebenliegenden nicht, „das ist nicht normal“. „Die Frage aber ist: Was wird normal sein in der Zukunft?“

Um einen Beitrag zum Klimaschutz – ergänzend zum bereits bestehenden Umweltmanagement im Unternehmen und dem Abfüllen der Produkte ausschließlich in Glasflaschen – zu leisten, hat Streker die Apfelsaftproduktion nun klimaneutral gestellt. Aufgrund des regionalen Anbaus des Rohstofflieferanten Streuobst und der damit verbundenen kurzen Transportwege könne Streker die Differenz an Kohlenstoffdioxid, das produktionsbedingt anfällt, gut ausgleichen, sagt die Geschäftsführerin. Stimmig dazu sei das Lohnmostprogramm, bei dem die Anlieferer Saftgutschriften bekommen, die sie in den Saftläden beim Kauf von Produkten, in denen Apfel, Birne oder Quitte steckt, einlösen können.

Uwe Röhrle (Obsthändler),
über die Anlieferungsmengen in der Erntezeit „Der Aufwand ist der gleiche, unabhängig davon, ob jemand 50 Kilogramm oder eineinhalb Tonnen bringt.“

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Erstellt:
5. Oktober 2021, 06:00 Uhr

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