Vorratsdatenspeicherung
Der Staat darf nicht blind sein
Um Internet-Täter zu fassen, muss eine eng begrenzte Datenspeicherung auf Vorrat möglich sein, kommentiert Rainer Pörtner.
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Bundesjustizministerin Stefanie Hubig (SPD) hat einen Gesetzentwurf zur Speicherung von IP-Adressen vorgelegt.
Von Rainer Pörtner
Die deutsche Diskussion über eine vorsorgliche Speicherung von Telefon- und Internetdaten wogt seit vielen Jahren hin und her. Jetzt wird sie neu angetrieben durch einen Gesetzentwurf aus dem Bundesjustizministerium. Ministerin Stefanie Hubig (SPD) schlägt vor, dass Internet-Anbieter sogenannte IP-Adressen ihrer Kunden drei Monate lang speichern sollen.
Die IP-Adresse ist praktisch das Autokennzeichen eines Computers. Bisher speichern Anbieter wie Telekom oder Vodafone diese Adressen nur freiwillig bis zu sieben Tage. Eine Pflicht zum längeren Speichern soll, so Ministerin Hubig, die Strafverfolgung deutlich verbessern. Viel zu häufig kämen die Täter bei Kinderpornografie, Online-Betrug und extremen Hassbeiträgen ungestraft davon, weil ihre Spuren im Internet für die Fahnder nicht sicht- und verfolgbar sind.
Die Kriminalität im Internet nimmt beängstigend zu
Der Gesetzesvorschlag löst die üblichen Reflexe aus. Vielen Polizeibeamten sind die empfohlenen Speicherfristen zu kurz. Aus der Opposition, von der FDP über Grüne und Linke bis zur AfD, kommen warnende Stimmen, die einen übermäßigen Eingriff in die Grundrechte der Bürger kommen sehen.
Dabei müsste zunächst Konsens herstellbar sein über zwei Fakten: Die Kriminalität im Internet nimmt beängstigend zu – und die deutschen Fahnder sind nicht in der Lage, im notwendigen Umfang aufzuklären und die Täter vor Gericht zu bringen.
Größere Teile des privaten und gesellschaftlichen Miteinanders haben sich ins Netz verlagert, die Kriminellen sind gefolgt. Während in den Jahren 2015 bis 2022 die Zahl der Straftaten allgemein um elf Prozent zurückging, explodierte sie im Digitalen: Im Bereich Computerkriminalität registrierte das Bundeskriminalamt (BKA) eine Steigerung um 156 Prozent, bei pornografischen Inhalten sogar um 598 Prozent.
Wichtiger Schlüssel für die Täterermittlung
Es sollte auch unstrittig sein, dass die IP-Adressen in Verbindung mit einigen weiteren Daten ein wichtiger Schlüssel für die Täterermittlung sind. Oft sind es die einzigen Spuren, die von den Kriminellen nach der Tat zurückgelassen werden. Das BKA schätzt, dass schon bei einer vierzehntägigen Speicherpflicht seine Erfolgsquote bei den ersten Identifizierungsschritten von rund vierzig Prozent auf über 80 Prozent steigen würde.
In dieser Lage, in der offensichtlich die Strafverfolger den Tätern nicht gewachsen sind, kann ein Rechtsstaat nicht untätig bleiben. Er darf nicht hinnehmen, dass Ermittlungen im Internet regelmäßig erfolglos bleiben. Der Staat ist zum einen verpflichtet, die Privatsphäre der Bürger und den Raum für freie Meinungsäußerungen zu schützen. Zum anderen ist er aber auch zu einer wirksamen Kriminalitätsbekämpfung, zu einem effektiven Opferschutz aufgerufen. Beides muss immer wieder neu austariert werden.
Die Richter ziehen enge Grenzen
In Deutschland ist die Vorratsdatenspeicherung seit dem Jahr 2017 praktisch ausgesetzt. Sowohl das Bundesverfassungsgericht wie der Europäische Gerichtshof haben frühere Gesetze auf diesem Felde verworfen. Die Grenzen für die anlasslose Datenspeicherung wurden von den Richtern eng gezogen. Aber ausgeschlossen haben sie eine Vorratsdatenspeicherung nicht.
Der Gesetzentwurf der Justizministerin sieht nur einen kleinen Grundrechtseingriff vor. Die Fahnder dürfen keine Inhalte von Chats kontrollieren. Sie können aufgrund der gewonnenen Daten auch keine Bewegungs- oder Persönlichkeitsprofile erstellen. Anders als von der Opposition behauptet, werden die Bürger hier nicht unter Generalverdacht genommen, eine Datennutzung bedarf im Regelfall einer richterlichen Anordnung. Das alles ist kein Dammbruch des Datenschutzes.
