Neu im Kino: „Islands“
Der talentierte Mr. Tennislehrer
„Islands“, der dritte Film von Jan Ole Gerster, ist vieles: Ein starkes Männerporträt, ein Sittenbild gegenwärtiger Touri-Höllen, eine Hommage und – fast – ein Thriller. Sam Riley, der zuletzt als John Cranko das Kino-Publikum begeisterte, glänzt auch hier in der Hauptrolle.

© Leonine Studios/dpa
Szene aus „Islands“
Von Kathrin Horster
Man staunt, was Tom, ein Tennistrainer in seinen späten Vierzigern, so wegsteckt: Von der Sonne Fuerteventuras und durchzechten Disco-Nächten ausgebrannt, schleppt sich Tom (Sam Riley) nach einer knapp bemessenen Mütze voll Schlaf auf den Tennisplatz der Hotelanlage, wo er Urlaubern eine brauchbare Rückhand anzutrainieren versucht. Energie dafür tankt er beim Boxenstopp im Geräteschuppen, wo er Wodka-Pullen aus den Schachteln seiner Tennisbälle hervor zieht.
Kein Zweifel, der Protagonist in Jan Ole Gersters dritter Regiearbeit „Islands“ ist am Boden. Ein Typ, der seiner Verantwortung als Erwachsener davon gelaufen ist, um auf Fuerteventura eine Dauerparty zu feiern und sich quer durch alle Betten zu schlafen. Den Traum von der niemals endenden Leichtigkeit hat Tom jedoch mit seiner Fitness bezahlt. Sam Riley, der vor kurzem erst den kreativen Kettenraucher und Alkoholiker John Cranko in Joachim Langs gleichnamigem Choreografen-Biopic gespielt hat, erscheint in Gersters „Islands“ holzmager, hohlwangig und mit tiefen Ringen unter den Augen.
Im Gegensatz zu dessen herunter gekommener Physis steht Toms jungenhafter Charme, seine Liebenswürdigkeit und Coolness, mit der er immer wieder seine Kollegin Maria (Bruna Cusi) an der Hotelrezeption um den Finger wickelt, wenn er von ihr einen Gefallen will. Erst die reiche Anne (Stacy Martin) bringt Tom in Verlegenheit, als die für ihren achtjährigen Sohn Anton (Dylan Torrell) Tennisstunden anfragt. Anne kommt Tom bekannt vor, doch die verneint die Frage, ob sich die beiden schon einmal begegnet sein könnten. Tom missfällt zuerst, dass Anne mit ihrem Mann Dave (Jack Farthing) eingecheckt hat, lässt sich dann aber doch auf gemeinsame Ausflüge ein. Als nach einem Streit des Paars und einem Disco-Ausflug der Männer Dave plötzlich verschwindet, geraten Tom und Anne schnell ins Visier der Ermittler.
Auf Basis weniger Eckdaten erschafft Jan Ole Gerster ein tiefes Charakterporträt seines Antihelden, den Sam Riley mit Haut und Haar zum Leben erweckt. Männer wie Tom kennt man aus Werken Patricia Highsmith’, die einem anderen Lebemann namens Tom in den sogenannten „Ripley“-Romanen ein Denkmal setzte. „Der talentierte Mr. Ripley“ über einen reizenden Hochstapler, der einen von ihm beneideten Millionärssohn ermordet, wurde mehrfach verfilmt. Es scheint, als habe sich Jan Ole Gerster sowohl von Highsmith’ elegant bösen Kriminalromanen als auch von der Ästhetik mancher Adaptionen inspirieren lassen.
Obwohl der Plot von „Islands“ im Fuerteventura unserer Tage spielt, leben die sonnenbeschienenen Bilder vom morbide interpretierten Riviera-Flair vergangener Zeiten. Die Hotelanlage ist altmodisch, statt der heute allgegenwärtigen Technik interessiert Gerster hauptsächlich die raue Landschaft mit Sand, Himmel und Meer. Auf der Insel pendelt Tom zwischen den verschiedenen Sphären der Touri-Hölle in den Technoclubs am Strand und der Kamelfarm eines greisen Freundes, der mit seinen Tieren und der Frau abgeschieden wie in einer marokkanischen Oase lebt.
Der Krimi um Daves Verschwinden entspinnt sich langsam, Gerster hält den Thrill auf subtil wummerndem Niveau und erzeugt ausschließlich über reine Anspielungen Spannung. Anne erweist sich als Frau mit Geheimnis, die sich sowohl der Polizei als auch Tom gegenüber merkwürdig verhält. Bald steht die Frage im Raum, ob Tom der wahre Vater des kleinen Anton sein und welche Folgen die späte Entdeckung seiner Vaterschaft auf seinen Alltag haben könnte. So wird Tom zum Detektiv in eigener Sache, der sich stark zu Anne hingezogen fühlt, sich gleichzeitig aber vor ihren Abgründen fürchtet.
Dass Gerster den Kriminalfall parallel führt mit der sich anbahnenden, gefährlich knisternden Affäre zwischen Tom und Anne und darüber hinaus noch Toms Entwicklung vom Berufsjugendlichen zum Möchte-Gern-Vater bewältigt, ist große Erzählkunst. Schon in seinen ersten beiden Filmen „Oh Boy!“ über 24 Stunden im Leben eines jugendlichen Taugenichts und „Lara“ über den sozialen Amoklauf einer grantigen Anti-Mutter hat der Filmemacher Menschenkenntnis und Beobachtungsgabe psychologischer Prozesse bewiesen.
In „Islands“ kommt noch das Spiel mit Genre-Versatzstücken hinzu, ohne, dass Gerster dafür auf Klischees und übliche Plotwendepunkte zurückgreift. Wer sich allerdings eine Auflösung des Krimis mit Knalleffekt erhofft, könnte enttäuscht werden, denn selbst in diesem zentralen Punkt bricht Gerster mit der Konvention. Und ist damit dem unbequemen Leben näher als mancher langweilig vorhersehbaren Fiktion.
Islands. Deutschland 2025. Regie: Jan Ole Gerster. Mit Sam Riley, Stacy Martin und Jack Farthing. 123 Minuten. Ab 6 Jahren.