Der Traum vom Titelchen
Bundestrainer Julian Nagelsmann strebt mit der DFB-Elf den Gewinn der Nations League an – und hat eine klare Referenzgröße vor Augen.
Von Carlos Ubina
Herzogenaurach - Wie ein Klassentreffen. So hat es Niclas Füllkrug, Stürmer und Stimmungsbarometer in Personalunion, beschrieben, wenn sich die Nationalspieler gut gelaunt in Herzogenaurach treffen. Und das an der alten Schule müsste man wohl ergänzen, denn der sogenannte Homeground auf dem Areal des Sportausrüsters Adidas hat sich seit der EM im vergangenen Sommer zur Wohlfühloase für die Auswahl des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) entwickelt. Hier finden der Bundestrainer Julian Nagelsmann und Co. beste Voraussetzungen vor, hier ist ein starker Teamgeist entstanden, der die Mannschaft nun auch durch das Finalturnier der Nations League tragen soll.
An der Zielsetzung lässt Nagelsmann dabei keinen Zweifel. „Natürlich wollen wir beide Spiele gewinnen. Wir möchten unser Selbstvertrauen füttern“, sagt der Bundestrainer vor dem ersten Halbfinale gegen Portugal am Mittwoch (21 Uhr/ZDF). Der 37-Jährige betrachtet die Nations League auf dem Weg zur Titelmission bei der WM 2026 zwar nur als Etappenziel, aber es ist eine wichtige Zwischenstation.
Trainer und Team wollen den „kleinen Titel“, von dem Nagelsmann spricht, unbedingt gewinnen, um den Prozess, der während der Heim-Europameisterschaft begonnen und hinterher als Aufbruch in eine neue Ära gewertet wurde, auf die nächste Stufe zu bringen. Die Selbstverständlichkeit des Siegens soll sich einstellen. Dabei bildet Spanien die Referenzgröße. Die Mannschaft von Luis de la Fuente triumphierte nicht nur bei der EM, sondern zuvor in der Nationenliga und stabilisierte ihre Leistungen mit einer Erfolgsserie bis zum EM-Endspiel in Berlin. Leidtragende waren vor einem Jahr auch das DFB-Team und seine Anhänger mit dem dramatischen Aus im EM-Viertelfinale.
„Die spanische Mannschaft hat begriffen, wie bedeutungsvoll die Nations League sein kann. Es kann eine Mini-EM sein“, sagt Nagelsmann, der Ähnliches wie de la Fuente anpeilt. Ohnehin hat der noch junge Uefa-Wettbewerb durch den Bundestrainer in Deutschland eine neue Wertigkeit erhalten. Der Blick auf die Siegerliste zeigt dabei, dass sich bisher nur fußballerische Topnationen eingetragen haben: Portugal (2019), Frankreich (2021) und eben Spanien (2023).
Diese Länder sind auch diesmal beim Final Four vertreten. Im zweiten Halbfinale treffen Frankreich und Spanien am Donnerstag (21 Uhr/ARD) in Stuttgart aufeinander. Die Sieger bestreiten das Finale am Sonntag, 8. Juni, in München, Platz drei wird am gleichen Tag in Stuttgart ausgetragen. Als „absolute Weltklasse“ bezeichnet der DFB-Sportdirektor Rudi Völler die Gegner. Und gerade nach dem spektakulären Viertelfinale in der Nations League gegen Italien im März geht es für die Nationalelf darum, das gleiche Niveau zu erreichen. Mindestens.
Allerdings muss Nagelsmann auf eine Reihe von Schlüsselspielern verzichten. So sind Jamal Musiala, Kai Havertz und Antonio Rüdiger nicht dabei, weil der Bundestrainer bei ihnen nach Verletzungspausen kein Risiko eingehen wollte. „Es bringt ja nichts, wenn sie hinterher drei Monate lang ausfallen“, sagt Nagelsmann, dem ebenso der angeschlagene Stuttgarter Angelo Stiller (Absage nach dem Pokalsieg) sowie die langzeitlädierten Nico Schlotterbeck, Tim Kleindienst und Benjamin Henrichs fehlen.
Dafür kehren zwei Hoffnungsträger zurück: Torhüter Marc-André ter Stegen und Zauberfuß Florian Wirtz. Durch die Neulinge Nick Woltemade (VfB Stuttgart) und Tom Bischof (TSG Hoffenheim) soll dazu ein frischer Wind durch die Wohlfühloase in Herzogenaurach ziehen.