Und Stephen Hawking hatte doch recht
Deutlichstes Signal zweier verschmelzender schwarzer Löcher entdeckt
Die Verschmelzung zweier Schwarzer Löcher ist das bislang deutlichste Gravitationswellen-Signal für die Existenz von Gravitationswellen. Es bestätigt zwei der wichtigsten kosmischen Theorien: die Allgemeine Relativitätstheorie Albert Einsteins und Stephen Hawkings Theorie über die Fläche Schwarzer Löcher.

© © Maggie Chiang für die Simons Foundation
Künstlerische Darstellung eines neu entstandenen Schwarzen Lochs, das nach der Verschmelzung zweier Schwarzer Löcher unter Aussendung von Gravitationswellen abklingt.
Von Markus Brauer
Stephen Hawking (1942-2018) hatte ein Faible für das Fantastische. Ideen, die andere für wirre Science-Fiction-Fantastereien halten, waren für ihn nur ein zwangsläufiger Schritt in der Entdeckungsgeschichte der Wissenschaft.
Der im Jahr 2018 verstorbene britische Astrophysiker, Mathematiker und Kosmologe war allerdings kein Fantast, sondern ein Visionär. Er dachte weit über die Grenzen des Denkbaren hinaus. Sein eigentliches Metier war die Meta-Physik – also all das, was das Erkennbare, Denkbare und Nachprüfbare unendlich transzendiert (überschreitet).
Stephen Hawking war kein Grenzgänger, sondern ein genialer Grenzen-Überschreiter, der die Grenzen des menschlichen Verstandes weit hinter sich ließ.
Grenzen überschreiten
Grenzen sind dazu da, sie zu überschreiten und nicht in Ehrfurcht vor ihnen zu erstarren. Es kommt nicht darauf an, bis an die Grenzen des Möglichen zu gehen, sondern in das Unbekannte des Unmöglichen aufzubrechen. Christoph Columbus tat es, Fernando de Magallan und James Cook ebenso. Und Stephen Hawking.
Was er vor Jahrzehnte schon dachte und theoretisch für möglich hielt, hat sich in der Wissenschaftspraxis oft als korrekt herausgestellt. Auch jetzt haben sich Hawkings Visionen – wieder einmal – als real erwiesen.
Gravitationswellen bestätigen Hawkings Theorie
Zehn Jahre nach dem ersten Nachweis von Gravitationswellen hat das internationale Netzwerk von Gravitationswellen-Detektoren Ligo-Virgo-Kagra (LVK) das bisher deutlichste - und lauteste - Gravitationswellensignal veröffentlicht, das je auf der Erde von zwei verschmelzenden Schwarzen Löchern gemessen worden ist.
Die Forscher führen es unter der Bezeichnung GW250114. Die Raum-Zeit-Welle des kosmischen Signals erreichte bereits am 14. Januar 2025 die Erde, wie das Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik in Potsdam und Hannover jetzt vermeldet hat.
Ein Wissenschaftsereignis von enormer Tragweite. Denn damit wird erstmals eine grundlegende Theorie zu Schwarzen Löchern durch einen physikalischen Nachweis bestätigt. Diese Theorie stammt von eben jenem Stephen Hawking und betrifft die Fläche der kosmischen Schwerkraft-Giganten.
Wenn Schwarze Löcher verschmelzen
Vor fast genau zehn Jahren, am 14. September 2015, gelang mithilfe der LIGO-Gravitationswellen-Detektoren in den USA der erste Nachweis von Gravitationswellen – also den Raumzeit-Erschütterungen durch die Verschmelzung von Schwarzen Löchern.
Im Jahr 2017 wurde diese Entdeckung mit dem Physik-Nobelpreis bedacht. Seither haben Astrophysiker mehr als 200 weitere Gravitationswellen-Ereignisse eingefangen. Dank technischer Fortschritte wurde auch die Sensitivität der LIGO-Detektoren verbessert. Zudem sind die Gravitationswellen-Observatorien Virgo in Italien und KAGRA in Japan dazugekommen.
- Zur Info: Schwarze Löcher sind eine der Vorhersagen der Allgemeinen Relativitätstheorie, die Albert Einstein am 25. November 1915 erstmals der Preußischen Akademie der Wissenschaften in Berlin vortrug. In ihnen ist die Masse von einigen bis mehreren Milliarden Sonnen auf einen Punkt komprimiert. Durch die immense Gravitation kann aus der direkten Umgebung nicht einmal Licht entkommen, daher der Name. Schwarze Löcher können beispielsweise entstehen, wenn ausgebrannte Riesensterne unter ihrem eigenen Gewicht zusammenstürzen.
Lautes Rufen statt leisem Flüstern
Das am 14. Januar 2025 eingefangene Gravitationswellen-Ereignis ist den Forschern zufolge so deutlich und detailreich wie keines zuvor. Die nur wenige Zehntelsekunden anhaltenden Raumzeitschwingungen hatten ein sogenanntes Signal-zu-Rausch-Verhältnis von 80 zu 1 – viermal besser als bei der Erstentdeckung im Jahr 2015.
„GW250114 ist das lauteste Ereignis, das wir jemals eingefangen haben, vergleichbar einem lauten Ruf gegenüber dem anfänglichen Flüstern“, erklärt Geraint Pratten von University of Birmingham in der im Fachjournal „Physical Review Letters“ veröffentlichten Studie.
Verursacher des Signals waren zwei rund 32 Sonnenmassen schwere Schwarze Löcher in rund 1,3 Milliarden Lichtjahren Entfernung von der Erde. „Dieses neue Paar Schwarzer Löcher ist damit fast ein Zwilling des historischen ersten Gravitationswellen-Nachweises von 2015“, erläutert Maximiliano Isi von der Columbia University in New York. „Aber unsere Instrumente sind inzwischen so viel besser, so dass wir das Signal heute auf eine Weise analysieren konnten, die vor zehn Jahren noch nicht möglich war.“
Einstein und das Geheimnis der kosmischen Wellen
Was sind Gravitaionswellen, von denen hier die Rede ist?
- Gravitationswellen entstehen, wenn große Objekte wie Sterne beschleunigt werden. Dabei stauchen und strecken sie die Raumzeit. Sie breiten sich mit Lichtgeschwindigkeit aus und verbiegen dabei den Raum – ähnlich wie ein ins Wasser geworfener Stein, der sich ausbreitende Wellen auf der Oberfläche erzeugt.
- Gravitationswellen gehören zu den spektakulärsten Vorhersagen von Albert Einsteins Allgemeiner Relativitätstheorie, die er 1915 veröffentlichte (die Spezielle Relativitätstheorie präsentierte er bereits im Jahr 1905).
- Jeder beschleunigte Körper sendet demnach Gravitationswellen aus – also auch ein Autofahrer, der an einer Ampel startet. Die Wellen sind umso stärker, je mehr Masse der Körper hat. Jedoch sind sie in der Regel so winzig, dass Einstein selbst nicht daran glaubte, dass man sie jemals messen könnte. Jahrzehntlang hatten Physiker nach einem direkten Nachweis gesucht.
Schwarzes Loch schwingt nach und klingt
Dank der sensationellen Auflösung des neuen Signals GW250114konnten die Astrophysiker der LIGO-Virgo-KAGRA Collaboration erstmals das Nachklingen genauer analysieren, das nach der Verschmelzung vom Schwarzen Loch ausgeht.
Dieses schwingt demnach wie eine angeschlagene Glocke nach und erzeugt dabei ein wenige Millisekunden kurzes, an speziellen „Obertönen“ der Gravitationswellen erkennbares Signal. „Mit der neuen Detektion haben wir eine außerordentlich detaillierte Sicht des Signals – sowohl vor als auch nach der Verschmelzung“, erklärt Isi.
„Wir haben mit GW250114 die bisher stärksten Belege dafür gefunden, dass die im Kosmos existierenden Schwarzen Löcher tatsächlich den von Albert Einsteins allgemeiner Relativitätstheorie vorhergesagten Gesetzmäßigkeiten folgen“, konstatiert Isi.
Hawkings Theorie hat Realitätscheck bestanden
Im Jahr 1971 stellte Stephen Hawking die Theorie auf, dass die vom Ereignishorizont umschlossene Fläche bei einer Verschmelzung zweier Schwarzer Löcher nur größer, aber niemals kleiner werden kann.
- Zur Info: Als Ereignishorizont (englisch: event horizon) bezeichnen Physiker die Grenze um ein Schwarzes Loch, hinter die sich nicht blicken lässt, weil aus dem Bereich dahinter nichts, nicht einmal Licht, entkommen kann.
Dieses sogenannte Flächentheorem Hawkings besagt zweierlei:
- Die Oberfläche eines Schwarzen Lochs kann niemals schrumpfen.
- Wenn zwei Schwarze Löcher miteinander verschmelzen, werden ihre Massen und damit auch die Fläche ihres gemeinsamen Ereignishorizonts größer.
Meilenstein für die Astrophysik
Mithilfe des Signals GW250114 konnten die Wissenschaftler die Fläche der beteiligten Schwarzen Löcher erstmals mit 99,9-prozentiger Genauigkeit bestimmen:
- Vor der Verschmelzung umschlossen die beiden Ereignishorizonte eine Fläche von rund 240.000 Quadratkilometern (etwa die Fläche Großbritanniens).
- Das aus der Verschmelzung resultierende Schwarze Loch hatte eine Fläche von rund 400.000 Quadratkilometern und demnach deutlich mehr. „Damit bestätigen die Daten diese Vorhersage von Stephen Hawking“, stellt Pratten fest.
„Dieses Fachgebiet beruhte so lange auf rein mathematischer und theoretischer Spekulation“, erklärt Isi. „Aber jetzt sind wir in der Lage, diese erstaunlichen Prozesse in Aktion zu beobachten. Dies unterstreicht, welche großen Fortschritte es in diesem Feld gegeben hat – und weiter geben wird.“