Deutsche Einheit „klassische Win-win-Situation“
dpa Frankfurt/Berlin. Wer hat mehr von der Wiedervereinigung profitiert - Ost oder West? Beide, sagen Wirtschaftsforscher. Ihre Mahnung: Der Fokus der nächsten Jahre muss auf einer ganz anderen Frage liegen.
Die Deutsche Einheit hat sich nach Einschätzung von Prognos-Forschern als „klassische Win-win-Situation“ erwiesen.
„Die wirtschaftliche Bilanz des vereinten Deutschlands nach 30 Jahren zeigt: "Blühende Landschaften" gibt es in Ost und West, Nord und Süd“, heißt es in einer Studie des Berliner Wirtschaftsforschungs- und Beratungsunternehmens für ZDFzeit, die der Deutschen Presse-Agentur vorab vorliegt. „Gleichwohl sind das faktische und wahrgenommene Wohlstandsniveau weiterhin verschieden. Diese Unterschiede beruhen allerdings auf einem zunehmenden Stadt-Land-Gefälle und einer andersartigen Branchen- und Unternehmensstruktur − die Himmelsrichtung spielt dabei keine Rolle.“
Bis 2030 wird sich nach Einschätzung der Prognos-Forscher an diesem Bild nicht viel ändern. „Die Schere zwischen Nord und Süd wird weiter aufgehen, der Abstand zwischen Ost und West wird tendenziell gleichbleiben beziehungsweise sich aufgrund der demografischen Entwicklung wieder leicht vergrößern.“
Für die Entwicklung der größte Volkswirtschaft Europas sei es für die nächsten Jahren entscheidend, „ob es gelingt, die unterschiedlichen Dynamiken zwischen Stadt und Land in ganz Deutschland zu durchbrechen“, schreiben die Prognos-Forscher. „Wenn in zehn Jahren erneut Bilanz gezogen wird, sollte die Frage Ost oder West endgültig in den Hintergrund gerückt sein. Denn der eigentliche Unterschied und damit die Herausforderung für die nächsten Jahre hängt nicht von der Himmelsrichtung ab, sondern beruht vielmehr auf dem Stadt-Land-Gefälle.“
Wirtschaftlich haben nach Einschätzung der Experten beide Teile Deutschlands von der Wiedervereinigung 1990 profitiert. „Der Westen hat mit einer starken Wirtschaft und einem stabilen industriellen Kern den Aufbau und die Entwicklung des Ostens unterstützt und über Programme, Strukturhilfen und Anreize gefördert“, heißt es in der Studie. „Umgekehrt hat der Osten dem Westen nicht nur viele junge und qualifizierte Menschen gebracht und den Binnenmarkt erheblich vergrößert, sondern auch die Tür nach Osteuropa geöffnet.“
Trotz einer rasanten Aufholjagd hinkt der Osten in der Gesamtbetrachtung wirtschaftlich dem Westen nach wie vor hinterher. Ein Grund ist die unterschiedliche Wirtschaftsstruktur: So haben beispielsweise nur acht Prozent der deutschen Top-500-Unternehmen ihren Sitz im Osten der Republik - auch deshalb sind die Einkommen dort tendenziell niedriger. Ein überdurchschnittlicher Anteil ostdeutscher Beschäftigter arbeitet in Basisbranchen: öffentlicher Dienst, Handel, Tourismus, Bau- und Energiewirtschaft. Strategisch bedeutsame Zukunftsbranchen wie technologieorientierte Industrie seien „im Osten im Vergleich zu West- und Süddeutschland deutlich unterproportional vertreten“, bilanzieren die Prognos-Forscher.
Diese Wirtschaftsstruktur habe dem Osten Deutschlands aber auch Vorteile gebracht, so die Experten: „Durch den hohen Anteil an weniger schwankungsanfälligen Branchen ist Ostdeutschland (...) stabiler als Westdeutschland mit einem höheren Anteil an exportabhängigen Wirtschaftszweigen.“ Das habe sich in der Finanz- und Wirtschaftskrise 2008/2009 gezeigt und bestätige sich nun in der Corona-Krise.
Ein weiteres positives Fazit der Prognos-Forscher: Im EU-Vergleich müsse sich keine deutsche Region verstecken. „Beim Pro-Kopf-Einkommen nehmen alle deutschen Regionen gute Positionen ein. Viele Bundesländer liegen deutlich über dem EU-Durchschnitt.“ Selbst die deutschen Regionen mit dem geringsten Bruttoinlandsprodukt pro Kopf lägen nur knapp unter oder genau im europäischen Schnitt.
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