„Deutschland ist meine neue Heimat“

Wir schaffen das! Tatsächlich? (2): Ahmad Rami Salman ist 2013 aus Syrien geflohen. Nach einem Studium an der Hochschule Heilbronn arbeitet der 27-Jährige heute in Backnang als Projektmanager. Ein Gespräch über Flucht, Heimweh und Perspektiven.

Ahmad Rami Salman hat trotz seiner Flucht bereits mit 27 Jahren seinen Masterabschluss in der Tasche und arbeitet in Backnang. Foto: A. Becher

© Alexander Becher

Ahmad Rami Salman hat trotz seiner Flucht bereits mit 27 Jahren seinen Masterabschluss in der Tasche und arbeitet in Backnang. Foto: A. Becher

Von Matthias Nothstein

Sie flohen 2013 aus Syrien. Was hatte damals den Ausschlag gegeben?

Die sich verschlechternde Situation in Syrien im Zuge der Revolution. Ich wäre zum Militärdienst eingezogen worden und hätte auf das eigene Volk schießen müssen. Aber an solch einem Krieg wollte ich mich nicht beteiligen. Deshalb war die Flucht die einzige Möglichkeit. Auch mein Vater und zwei Brüder sind geflohen und leben heute in den USA.

Was waren die ersten Stationen der Flucht?

Ich bin nach Malaysia gegangen, wo ich in Cyberjaya mein Studium weiterführen konnte. Ich hatte von einer Universität ein Stipendium bekommen. Dort habe ich mein Studium der Betriebswirtschaftslehre erfolgreich absolviert. Dann jedoch durfte ich nicht länger in Malaysia bleiben, weil mein Visum nicht verlängert wurde. Deshalb bin ich in die Türkei geflogen, wo für Syrer kein Visum erforderlich war. Auch dort habe ich einem Monat zugebracht, bevor ich mich auf den Weg nach Deutschland gemacht habe.

Das war dann 2015 auf dem Höhepunkt der Flüchtlingswelle. Wie erging es Ihnen dann weiter?

Ich bin mit einem Schlauchboot und sieben weiteren Personen auf die griechische Insel Kos gefahren. Von dort aus ging es weiter über die sogenannte Balkanroute; Griechenland, Makedonien und Serbien. Wir wollten unbedingt vor dem 15. September nach Ungarn einreisen, da an diesem Tag ein Gesetz in Kraft treten sollte, das bei unbefugter Einreise eine dreijährige Freiheitsstrafe zur Folge gehabt hätte. Wir haben es Gott sei Dank geschafft, einen Tag vor dem Datum in Ungarn einzureisen. Zusammen mit Tausenden anderen Flüchtlingen wurden wir in Zügen zur österreichischen Grenze gefahren. In Wien gab es erst einmal Ruhe, dort war ich eine Woche lang krank. Danach machte ich mich auf den Weg weiter nach Deutschland. Mein Ziel war von Anfang an Deutschland.

Warum ausgerechnet Deutschland?

Das Wichtigste für mich war, dass ich weiterstudieren konnte, das wollte ich unbedingt. Und es war bekannt, dass Deutschland ein gutes Land dafür ist. Außerdem hat mir ein Freund dazu geraten. Er lebt auch hier und das war mir damals wichtig, dass ich in der Fremde auch jemand kenne.

Wie ist es Ihnen auf der Balkanroute ergangen?

Es war ziemlich schwierig. Es gab Tausende von Menschen, die sich auf der Flucht befanden, Familien, Kinder und auch ältere Menschen. Ich erinnere mich, damals mussten wir mit Tausenden Menschen auf einer direkten Zugfahrt von Südserbien nach Nordserbien fahren. Die Fahrt sollte 13 Stunden dauern und man konnte nicht sitzen und nur unter großen Anstrengungen atmen. Selbst wir jungen Männer konnten das nicht durchhalten und sind beim ersten Stopp des Zuges ausgestiegen.

Wie waren dann die ersten Monate nach der Ankunft in Deutschland?

Zuerst war ich ziemlich froh, dass ich diese Reise hinter mir hatte. Obwohl ich in der Aufnahmeeinrichtung und später im Asylheim kein eigenes Zimmer hatte. Zumindest wusste ich, dass ich angekommen bin. Zuerst habe ich drei Wochen in Karlsruhe verbracht, dann wurde ich nach Aspach geschickt, wo ich für vier Monate in der Sporthalle der Großaspacher Schule unterkam. Dann bin ich für ein Jahr in die neu errichtete Containersiedlung umgezogen. Nachdem ich meine Aufenthaltsgenehmigung erhalten hatte, habe ich ein Zimmer im Teilort Fürstenhof bekommen.

Wie haben Sie die Aufnahme in Aspach erlebt?

Da gab es eine Gruppe von Ehrenamtlichen, die heißt Awia, also Asylbewerber willkommen in Aspach. Sie hat uns geholfen und hat uns das Leben sehr erleichtert. Das war ein herzlicher Empfang, ich habe mich willkommen gefühlt.

Haben Sie auch schon schlechte Erfahrungen gemacht, seit Sie in Deutschland sind?

Die Menschen sind immer nett zu mir gewesen. Und man kommt noch besser zurecht, sobald man die Gewohnheiten und Charakteristik der Menschen hier besser versteht. Zudem war eine der größten Schwierigkeiten für uns Syrer – so glaube ich – die immense Menge an Bürokratie in Deutschland. Alles ist mit amtlichem und kompliziertem Deutsch verbunden. Aber hier kamen unsere ehrenamtlichen Freunde noch einmal zur Rettung, auch wenn sie selbst manchmal nicht wirklich alles verstanden haben, was in manchen Briefen stand. Aber ja, irgendwie haben wir es hinbekommen.

Wohnen Sie immer noch in Fürstenhof?

Ich habe ein Praktikum beim Unternehmen Boehringer in Ingelheim am Rhein gemacht und kurz da gewohnt, dann während des Studiums in Heilbronn. Als ich mir ein Auto leisten konnte, bin ich wieder nach Fürstenhof gezogen.

Sie haben mittlerweile Ihre Masterarbeit abgeschlossen?

Richtig. Ich habe ein Masterstudium an der Hochschule Heilbronn in Transport- und Logistik-Management erfolgreich abgeschlossen. Das Studium ging drei Semester lang, das ist die kürzeste Variante, die es gibt. Manche brauchen viel länger, sie machen Auslandssemester und nehmen sich Zeit. Mein Studium wurde über Bafög finanziert, und ich wollte es schnellstmöglich abschließen, um danach arbeiten zu können. Das war sehr herausfordernd. Aber ich war fleißig, habe viel gelernt. Für meine Masterarbeit musste ich viele Interviews führen. Ich war dazu in Bremen, in Berlin, in Mannheim, in Düsseldorf und in Köln. Die Masterarbeit habe ich über das Thema „Hindernisse im Schienengüterverkehr“ geschrieben und dafür die Note 1,0 erhalten.

Inzwischen haben Sie eine Arbeitsstelle gefunden. War das schwierig oder hat sich schon während des Studiums eine Möglichkeit abgezeichnet?

Parallel zu meinem Studium habe ich bereits auf Minijobbasis bei dem Backnanger Eisenbahnverkehrsunternehmen Elba Logistik gearbeitet, die Firma ist ein Teil der Eisenmann-Gruppe. Und nach dem Studium hat die Geschäftsführung mir sofort eine Vollzeitstelle angeboten, die ich seit März angetreten habe. Seit dem Ablauf der Probezeit vor wenigen Wochen bin ich dort jetzt unbefristet angestellt. Ich arbeite als Projektmanager „Neuverkehre“ und setze mich dabei für eine starke Schiene in Deutschland ein. Ich versuche also, mehr Güter von der Straße auf die Schiene zu bekommen und so ein neues Geschäftsmodell für das Unternehmen zu entwickeln.

Es läuft nicht nur beruflich gut für Sie, Sie haben auch im Privaten Ihr Glück gefunden.

Ja, ich lebe seit zwei Jahren mit meiner Partnerin – einer Italienerin – zusammen. Sie ist, wie ich, vor etwa fünf Jahren nach Deutschland gekommen, um zu arbeiten und eine Ausbildung zu finden. Das hat sie auch geschafft, sie macht derzeit ihre Ausbildung als Zahnarzthelferin und ist im ersten Ausbildungsjahr mit einem sehr guten Durchschnitt durchgekommen. Unser beider Situation hier in Deutschland ähnelt sich; wir sind beide fern von der Heimat und haben keine Familie hier. Aber jetzt sind wir eine Familie geworden.

War es schwierig, eine Wohnung zu finden?

Ja, sehr schwierig. Aber wir hatten am Ende Glück. Mit der Hilfe der Ehrenamtlichen aus Aspach hat es geklappt. Aber ich kenne viele andere Flüchtlinge, die ein solches Glück nicht hatten. Wobei ich sagen muss: Ich weiß auch von vielen Deutschen, die keine angemessene Wohnung haben.

Was raten Sie anderen Flüchtlingen, die sich auch fünf Jahre nach ihrer Ankunft in Deutschland noch sehr schwertun?

Das Beherrschen der Sprache ist der Schlüssel zu allem. Wir befinden uns in einem Land, in dem auch den Flüchtlingen alle Türen offen stehen. Der Staat fördert uns mit Sprachkursen und Weiterbildungen, eigentlich haben wir jeglichen Zugang zu Bildung. Deshalb empfehle ich allen, zügig die Sprache zu lernen und sich weiterzuqualifizieren, um so in den Arbeitsmarkt reinzukommen.

Möchten Sie jemals wieder zurück nach Syrien oder ist Deutschland inzwischen Ihre Heimat geworden?

Syrien ist die Heimat, die ich mir nicht ausgesucht habe. Aber Deutschland habe ich mir ausgewählt. Und dieses Land ist mittlerweile meine Heimat geworden. Es wäre meines Erachtens schwierig, nach so vielen Jahren wieder nach Syrien zurückzukehren. Aber trotzdem habe ich immer noch Sehnsucht nach der alten Heimat.

Haben Sie auch noch Kontakte in die Heimat?

Meine Mutter ist dort geblieben. Ich habe mit ihr Kontakt, habe sie aber seit acht Jahren nicht gesehen. Das schmerzt sehr. Ich habe auch viele andere Verwandte und Freunde, die ich nicht mehr sehen und treffen kann.

Wenn Sie jetzt nochmals fünf Jahre nach vorne blicken, wo sehen Sie sich dann?

Ich sehe mich mit ein paar Kindern, hoffentlich. Und ich arbeite immer noch an meiner Karriere. Aber immer noch in Deutschland. Und ich hoffe, dass sich bis dahin die Krise in Syrien gelöst hat und ich in meine alte Heimat zurückreisen kann. Ich möchte durch die Straßen laufen, dort wo ich aufgewachsen bin, und die Menschen dort, vor allem meine Mutter, endlich wiedersehen.

Welche Hobbys haben Sie?

Ich spiele die Gitarre und die arabische Laute, die Oud. Am Anfang in Deutschland habe ich viele Konzerte gegeben. Aber irgendwann habe ich aufgehört. Ich war nicht damit einverstanden, hier Musik zu spielen und zu feiern und in der Heimat fallen gleichzeitig Bomben auf die Zivilbevölkerung. Wir Syrer bekommen über Facebook alles mit, was zu Hause passiert, all die Bombardierungen und das ganze Unglück, das sich dort abspielt. Ich fand es nicht angemessen, gleichzeitig Musik zu spielen.

Inzwischen engagieren Sie sich auch ehrenamtlich. Was tun Sie genau?

Ich betreue eine vierköpfige Familie aus Syrien, die erst frisch hier angekommen ist. Sie ist von Ägypten im Rahmen eines Abkommens hierhergekommen und wohnt jetzt in einer Wohnung in einem Aspacher Teilort. Ich merke es schon, wie die Integration eine große Herausforderung ist, vor allem für die Kinder, die auf einmal in eine ganz neue Welt gekommen sind mit einer neuen Sprache und neuen Gewohnheiten. Ich hoffe, sie werden ihren Weg hier finden.

Mit Greta Oliviero hat Ahmad Rami Salman auch privat sein Glück gefunden. Die Italienerin und der Syrer genießen die Stimmung auf dem typisch deutschen Weihnachtsmarkt in Backnang. Foto: privat

Mit Greta Oliviero hat Ahmad Rami Salman auch privat sein Glück gefunden. Die Italienerin und der Syrer genießen die Stimmung auf dem typisch deutschen Weihnachtsmarkt in Backnang. Foto: privat

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Erstellt:
18. Oktober 2020, 11:30 Uhr

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