„Die Belastung wurde zu groß“

Moritz Riedacher hat sich von Anfang an in der Bewegung der Letzten Generation eingebracht. An Protestaktionen mitmachen will er nicht mehr – es übersteige seine Kräfte. Was hat den 27-Jährigen so stark belastet?

Der Stuttgarter Moritz Riedacher will zwar an Protestaktionen nicht mehr teilnehmen, an seinen Idealen hält er aber fest.

© Lichtgut/Max Kovalenko

Der Stuttgarter Moritz Riedacher will zwar an Protestaktionen nicht mehr teilnehmen, an seinen Idealen hält er aber fest.

Von Christine Bilger

Stuttgart - Viel ist bei der Diskussion über die Aktionen der Letzten Generation darüber diskutiert worden, was diese für andere Personen bedeuten: belastend, nervenaufreibend, lästig, störend. Wie aber ergeht es Menschen, die sich aufgrund ihrer Grundüberzeugung für den Klimaschutz einsetzen und damit auch dem großen Groll eines Teils der Bevölkerung aussetzen? Moritz Riedacher aus Stuttgart hat festgestellt, dass ihm das an die Substanz geht. Der 27-Jährige kann nicht mehr. „Die Belastung wurde zu hoch. Ich muss jetzt Selbstfürsorge betreiben“, sagt er. Er nimmt fortan an keinen Protestaktionen der Letzten Generation mehr teil, um sich selbst zu schützen.

Das gilt nicht nur für die Protestform der Straßenblockade mit Ankleben, von der sich die Bewegung abgekehrt hat. Auch bei der „ungehorsamen“ Versammlung am Stuttgarter Flughafen vergangenes Wochenende hat er nicht mehr mitgemacht. An seiner Überzeugung hat das aber nichts geändert. Nach wie vor hält er es für richtig, sich für den Klimaschutz einzusetzen, und er bereut das auch nicht. Zur Letzten Generation steht er nach wie vor, ebenso zu Greenpeace oder Extinction Rebellion. Mit Letzteren zusammen habe er sich Anfang März ein letztes Mal an einer Blockade beteiligt.

Doch unterm Strich sei alles „viel zu anstrengend geworden mit all den Reisen und dem Stress auf der Straße“, sagt Riedacher. Er war in Kiel dabei, in Hamburg am Flughafen und viele Male in anderen Städten. Das habe Kraft gekostet. In Berlin sei er im Oktober angegriffen worden. Mit Pfefferspray und tätlich. Auch sonst habe man als Aktivist damit leben müssen, dass wildfremde Menschen – also nicht die Polizei – „einen einfach hochheben und wegtragen. Ich bin nicht sehr groß und nicht schwer, das geht mit mir leicht.“ Das Gefühl dabei sei ungut gewesen. „Man weiß ja nicht, was die mit einem machen. Die wollen einem nichts Gutes und handeln vielleicht auch nicht mehr rational.“ Aber zurückschlagen, die eigene Gewaltfreiheit aufgeben, das sei ihm dabei nie in den Sinn gekommen. Genagt hat es dennoch an ihm, sagt der Klimaschützer.

Es sei nicht so, dass man sich in der Bewegung nicht umeinander kümmere. Es würden Bildungsveranstaltungen, Protesttrainings und Schulungen zum gewaltlosen Handeln angeboten, aber auch Resilienztraining. In diesen Veranstaltungen zeige sich, wer sich an den Konsens der Letzten Generation, der Friedlichkeit voraussetze, halten könne. Auch über die rechtlichen Folgen des Handelns werde man aufgeklärt, und die sind bei Moritz Riedacher nicht gering – wenngleich auch noch nichts endgültig rechtskräftig ist. Verurteilt ist er zu insgesamt 20 Monaten Freiheitsstrafe. Hinzu kommen immense Schadenersatzforderungen von zwei Fluggesellschaften nach einer Blockadeaktion am Hamburger Flughafen im Juli 2023. Riedacher war keiner der Festgeklebten auf dem Rollfeld, sagt er. „Ich habe Fotos und Videos gemacht.“ Aber er sei mit in die Verantwortung genommen worden. Condor fordere 89 840,13 Euro, Eurowings den Betrag von 350 979 Euro. „Wir haben erst mal Widerspruch eingelegt“, sagt der 27-Jährige. Aber ausgestanden ist auch das noch nicht.

Wie kann man weiter protestieren, wenn man schon Verurteilungen und derart hohe Geldforderungen als Belastung mit sich trägt? „Wenn man eine Aktion macht, ist man in einem besonderen Modus. Man schiebt das beiseite“, sagt Moritz Riedacher.

Er ist nicht allein mit den Problemen, die ihm sein Idealismus beschert hat. Natürlich habe er sich Hilfe gesucht, professionelle und bei Freundinnen und Freunden. Und dabei hat er mehrfach gehört, dass einige sich nicht mehr auf die Straße setzen können – „aber die wollen damit nicht an die Öffentlichkeit gehen“. Verschwiegen werden solle aber nichts. Er spreche über sein Befinden, weil er ein Bewusstsein dafür schaffen wolle, wie man mit Menschen umgehe, „die sich für das Gemeinwohl einsetzen“ – so ordnet Riedacher seinen Kampf gegen die Klimakrise nach wie vor ein.

Oberstes Gebot seines Handelns sei immer gewesen, Menschen Gutes zu tun. „Ich gehe Blut spenden, bin Wahlhelfer, war in der Kinder- und Jugendarbeit“, zählt er auf. Nun suche er seinen Protest und die Möglichkeit, anderen zu helfen, in der Politik. „Bei den Demos gegen rechts ist in mir die Überzeugung gereift, dass das die logische Folge ist.“ Schon früher seien Menschen auf diesem Wege politisch geworden, etwa viele bei den Grünen. Bei einem Besuch im Ahrtal 2021 sei ihm klar geworden, dass er sich daran beteiligen wolle, mehr Druck auf die Politik auszuüben. „Dabei muss man sich klarmachen: Protest ist keine Pizzabestellung. Man meldet sich nicht einmal mit seinen Wünschen und bekommt, was man will.“ Man müsse „radikal hoffnungsvoll sein“ und an eine Verbesserung glauben.

Das politische Engagement mündet in einem Listenplatz 7 bei der Tierschutzpartei für den Stuttgarter Gemeinderat. Er hoffe reinzukommen. Das sei auch von Platz 7 möglich. Die Zuwendung zur Lokalpolitik bedeute keine Abkehr von den bisherigen Weggefährten. Bei der Letzten Generation herrsche ein „sehr starkes Bewusstsein um die psychische Verfassung der Menschen in der Bewegung“, erläutert der Aktivist. Und: „Tiefer Respekt vor Menschen, die sich zurücknehmen.“

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Erstellt:
27. März 2024, 23:20 Uhr
Aktualisiert:
28. März 2024, 21:53 Uhr

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