Die Dame ist ein wenig hölzern

Sagenhaft Auf dem Pfullinger Ursulaberg wartet die Urschel schon seit Jahrhunderten auf Erlösung

Die Dame ist ein wenig hölzern

pfullingen Übermenschliche Mutproben waren eine Spezialität der antiken Mythen. Odysseus musste in die Unterwelt, Herkules eigenhändig eine Schlange erwürgen, der Argonautenführer Jason Ungeheuer besiegen, Damokles unter einem am Faden baumelnden Schwert ausharren. Aber alles auf einmal schaffen: Das wird von demjenigen verlangt, der die Urschel vom Pfullinger ­Ursulaberg erlösen will.

Lohnt sich das überhaupt? Wer erst mal einen prüfenden Blick auf das Mädel werfen will, findet es dahingelagert am Rand einer Wiese oberhalb der Pfullinger Skischanze. Ein bisschen hölzern kommt die Dame daher: Der Kettensägen-Künstler Billy Tröge hat sie am Stück aus einem Eichenstamm gefertigt. Und vor ihr eine ganze Front von Fachwerkhäusern, Mühlen, Hütten drapiert – Pfullingens Skyline.

Die Urschel hat ihren Arm behütend über die ganze Szenerie gelegt. Denn auch wenn sie eine von ihren Schwestern verwünschte Frau ist, als Ragall führt sie sich trotzdem nicht auf. Der Urschel-Sagenkranz kennt viele Taten, mit denen sie die Pfullinger unterstützt. Sie tritt dabei vornehm gewandet auf. Mit langem weißen Kleid, roten Strümpfen, weißen Schuhen (eine frühe Art von VfB-Kutte?). Mit einer prächtigen Radhaube auf dem Kopf (wie aus der Hutschachtel von Queen Mum). Mit goldenem Gürtel samt goldenem Schlüsselbund. Die drei Schlüssel stehen für ihre drei Schlösser, eines davon im Inneren des Ursulaberges.

Also eindeutig feudale Großgrundbesitzerin – aber mit so was von Herz für das einfache Volk! Die Sagen überschlagen sich fast mit Details ihres hilfreichen Wesens. Sie stand Fuhrleuten und Holzmachern bei ihrer gefährlichen Arbeit im Wald zur Seite, schenkte Familien Korn zum Brotbacken und setzte sich in den Weberhäusern mit ans Spinnrad. Besonders gerne half die Urschel einem Burschen aus Pfullingen, dem Michael Weiß, geboren um 1720. Bremste eigenhändig dessen Wagen, wenn der die gefährlichen, steilen Steigen nach Pfullingen runter musste. Schon als der noch ein Kind war, hatte sie sich an ihn rangeschmissen. Da fand der Michael nämlich so ein hölzernes Pferdegeschirr, nahm es in die Hand – und, huch, verwandelte sich das in die Urschel.

Das Ganze sollte nur auf das eine hinauslaufen – dass der Michael den Supermann macht: den unsichtbaren Schlosseingang finden, unter einem Mühlstein, der an einem Faden hängt, durchschlüpfen, einem Hund mit feurigen Augen cool in dasselbige blicken und noch eine Schlange eigenhändig erwürgen. Ob dann die letzte Tat noch unter Mutprobe oder schon Belohnung fällt, sei dahingestellt: eine schlangenschwänzige Jungfrau küssen, die sich zur Urschel materialisieren würde. Und die Schatzkiste, auf der der Hund hockte, sei dann auch die seine.

Der gute Michael aber war ein Helikopterkind und wollte nur mit Mama und Papa kommen. So hatte sich die Urschel ihr Date aber nicht vorgestellt, sie wurde fuchsig und drohte dem Michael einen baldigen Tod an. Was den Michael auch nicht mehr motivierte – so starb er dann im Jahr 1757 unter mysteriösen Umständen, und die Urschel ist immer noch unerlöst. Eine Chance hat sie noch: Wenn ein Hirsch eine Eichel in den Boden tritt und aus der Eichel ein Baum und aus dem Baum eine Wiege wird, so kann das Kind, das da hineinkommt, sie erlösen.

Aber wo stehen heute noch Wiegen? Aus Vollholz? So bleibt den Pfullingern wenigstens ihre Urschel erhalten. Mit einem Sagenweg huldigen sie ihr und manch anderen Gestalten wie dem Pelzmichel, der der Schreck der unartigen Pfullinger Kinder ist. Na ja, vermutlich finden die den – genauer gesagt die klobige Bill-Tröge-Figur – eher schräg und machen begeistert ein Selfie mit dem.

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Erstellt:
28. Dezember 2018, 03:14 Uhr

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