Die Einzelkämpfer

Die Ausbildung gehört zu den besonders angesehenen in der Bundeswehr – aber auch zu den härtesten

Das Heer bildet seit 61 Jahren Einzelkämpfer aus. Wegen seiner Härte war der Lehrgang stets umstritten. Mit der Rückbesinnung auf die Landesverteidigung gewinnt er gerade wieder an Bedeutung.

Hammelburg Keuchen. Unentwegt. Unterbrochen von Schmerzseufzern. Die Schritte werden kürzer, die Füße katapultieren mit jedem Schritt kleine Steine weg. Seit einer Dreiviertelstunde geht das schon so. „Jetzt wird es zur Qual“, flüstert Stabsfeldwebel Sören K.. Neun Männer mit dem Gruppen-Decknamen „Bravo Eins“ müssen sich zur eigenen Truppe durchschlagen. 24 Kilometer Luftlinie. Steigungen bis zu 15 Prozent, um den Höhenunterschied zwischen 324 und 571 Metern zu überwinden. 30 Kilo Gepäck, dazu die Waffen. 24 Stunden Zeit. Das ist das Szenario, in dem die angehenden Einzelkämpfer der Bundeswehr gerade leben. Für sie ist in der Südrhön der Krieg ausgebrochen, ihr Fahrzeug in eine Sprengfalle geraten. Mitten im Feindesland.

Einer der Männer gilt als verwundet. Aus drei Meter langen Holzstangen und Zeltbahnen haben seine Kameraden eine Trage gebaut. Vier Mann haben sich den Verletzten auf die Schultern gehievt. Ein Soldat mit Maschinengewehr pirscht der Gruppe voraus. Ein anderer schleppt zusätzlich zu seinem den Rucksack des Verwundeten. Der Gruppenführer ordnet an, wann und wen die übrigen Einzelkämpferanwärter an der Behelfstrage ablösen. Diejenigen, die den Schmerz in Nacken und Schulter nicht mehr ertragen. So geht es mühselig voran durch die nachtfinsteren Wälder nördlich von Hammelburg im unterfränkischen Landkreis Bad Kissingen.

Ein Hauptgefreiter kommandiert die Gruppe: einen Hauptmann, Oberleutnante, Hauptfeldwebel. Zehn bis sieben Dienstgrade über ihm. „Seit einigen Jahren können auch Mannschaftsdienstgrade am Einzelkämpferlehrgang teilnehmen, wenn wir dafür freie Kapazitäten haben“, sagt Oberstleutnant Constantin Spallek, der am Ausbildungszentrum der Infanterie in Hammelburg die Ausbildung der Bundeswehr-Einzelkämpfer verantwortet.

Die setzt sich aus zwei Teilen zusammen. Nach dem ersten Teil sollen die Soldaten kleine versprengte Gruppen unter Bedrohung durch den Feind zur eigenen Truppe zurückführen können. Im Wesentlichen lernen sie, sich zu orientieren, schwierige Geländeabschnitte wie Gewässer und Hänge zu überwinden, sich aus der Natur zu verpflegen. Vor allem aber lernen sie, wie die eigenen Kameraden sie erkennen können, wenn sie aus einem vom Feind besetzten Gebiet den Anschluss an die eigene Truppe suchen. Dieser Lehrgang ist für alle Offiziere der Kampftruppe des Heeres Pflicht. An der vier Wochen dauernden Ausbildung kann teilnehmen, wer die elf Hindernisse auf einer 220 Meter langen Bahn in zwei Minuten und 14 Sekunden überwindet und einen 3000-Meter-Lauf mit einem zehn Kilo schweren Rucksack in unter 19 Minuten schafft.

Während des Lehrgangs gehen Teilnehmer und Ausbilder an ihre Grenzen. Ziel sei es, sagt Spallek, „über die körperlichen und geistigen Belastungsgrenzen hinauszugehen: um in einer Lage noch überlegt führen zu können, in der der Geist nur noch Gast im eigenen Körper ist“.

Im zweiten, zuletzt von drei auf sechs Wochen verlängerten Teil werden die Soldaten dazu ausgebildet, ein Jagdkommando zu führen. Dessen Aufgabe ist es, im feindbesetzten Gebiet Kommandooperationen durchzuführen. Also Gefechtsstände oder Radaranlagen zu zerstören, Umspannwerke oder Nachschubdepots zu sprengen. An diesem Lehrgang kann nur teilnehmen, wer den ersten Teil bestanden hat.

Ein Nadelöhr: Etwa zwei Drittel der Absolventen brechen die Ausbildung ab. So auch in diesem Durchgang. In dieser dritten Woche kämpfen sich nur noch 27 der ursprünglich 48 Anwärter auf das Einzelkämpferabzeichen durch die Rhön. Diese fünf Ausbildungstage sind berüchtigt: „Hungerwoche“ werden sie unter Bundeswehrlern deswegen genannt, weil die Soldaten ihren Hunger in dieser Zeit mit einer sogenannten Notration stillen müssen: vier Energieriegel, dazu zwei Teebeutel und ein Würfel Instantsuppe. Die Ration, ist das Verpflegungsamt der Bundeswehr sicher, hält „das Absinken der körperlichen und geistigen Leistungsfähigkeit des Soldaten und das Aufkommen von Hunger in vertretbaren Grenzen“ – über einen einzigen Tag.

In Hammelburg müssen die Einzelkämpfer vier Tage lang davon zehren. Hinzu kommen Schlafmangel, Nahkampf- und Orientierungsübungen, eine Überlebensnacht allein in der Wildnis und ohne Gepäck, Abseilen aus großen Höhen.

Und die 24-Stunden-Übung in den Rhön-Wäldern. Drei Kilometer weit haben acht Übungsversprengte ihren verletzten Kameraden geschleppt. „Die Jungs sind am Ende, aber noch lange nicht am Ziel“, sagt Ausbilder Sören K. Der Krieg geht weiter, K. drängt die Männer zur Eile. Drei, vier Kilometer entfernt ist ein feindlicher Lastwagen mit Motorschaden liegen geblieben. Die Gruppe soll ihn angreifen und seine Ladung erbeuten. Eine Stunde Planung. Der Lkw und der ihn bewachende Gegner werden beobachtet. Dann Gewehrfeuer. Die Versprengten hetzen durch das Abblendlicht des Lasters. Erklimmen die Ladefläche. Enttäuschung macht sich auf den Gesichtern breit: Bloß der Ausschnitt einer Landkarte fällt ihnen in die Hände. Und ein Kanister Wasser.

Weiter geht es. Die Männer hetzen einen Hügel hinauf. Den Blick nur noch auf die eigenen Füße gerichtet, die in der Dunkelheit verschwimmen. Oberfähnrich Johannes F. atmet schnell. Schweißperlen stehen auf seinem tarngeschminkten Gesicht. „Bei diesen körperlichen Anforderungen merke ich, dass ich auch nicht mehr der Jüngste bin“, sagt der 30-Jährige. „Eine heftige Erkältung macht mir zu schaffen. Aber ich will das Abzeichen.“ Warum? „Der Einzelkämpfer ist was Besonderes, den hat nicht jeder.“

Gerade bei Gebirgs- und Fallschirmjägern haben die beiden Einzelkämpferabzeichen – ein stilisiertes Eichenblatt für den ersten, zwei für den zweiten Teil – einen hohen Stellenwert. Unteroffiziere, Feldwebel und Offiziere, die den „Schinderorden“ nicht auf der rechten Brusttasche ihrer Uniform tragen, gelten unter Infanteristen als gut genug, Kaffee zu kochen.

Von dem träumt die Gruppe „Bravo Zwei“. Sie ist in einen Hinterhalt geraten – kaum, dass sie mit ihrem Bus im Kriegsgebiet angekommen ist. Nur umständlich löst sich der Trupp vom Übungsfeind und formiert sich im Unterholz neu. „Das war nix!“, wettert Oberfeldwebel Simon F. in bestem Badisch. Dann erklärt der Ausbilder, wie es hätte eigentlich sein müssen: Alle feuern auf den Gegner, während die Hälfte der Soldaten ihre Stellung hält, zieht sich die andere maximal 20 Meter zurück. In ihrem Feuerschutz weichen die Vorderen jetzt nach hinten aus. Das Muster wiederholt sich, bis die Gruppe in Sicherheit ist. „Sie leben nicht in der Lage. Das ist im Ernstfall tödlich!“

In den vergangenen Jahren ist Wesentliches anders geworden in den Einzelkämpferlehrgängen: Selbst während als Prüfung geltenden Phasen bilden die Instruktoren aus, geben Hinweise und Anleitungen. In verbindlicherem Ton und gegenüber früheren Jahrzehnten deutlich reduzierter Lautstärke. Sperrfächer für die Anwärter sind zwei Prüfungen als Gruppenführer und zwei im Orientieren. Wer hier eine schlechtere Note als 4,49 abliefert, hat den Lehrgang nicht bestanden. Das gilt auch für diejenigen, für die die Ausbilder eine schlechtere Gesamtnote als Vier minus vergeben.

Mit derzeit unbestimmten Folgen. Zwar schicken die Verbände des Heeres 70 Prozent ihrer Unteroffiziere, Feldwebel und Offiziere nach Hammelburg. Es gebe aber, beklagt Kommandeur Spallek, „kein Management der Konsequenzen für die, die den Lehrgang nicht bestehen“. Und er fordert, dass Führungskräfte gerade der Kampftruppe so lange auf den Einzelkämpferlehrgang geschickt werden, bis sie ihn bestanden haben. Oder aber Nachteile in ihrer Karriere in Kauf nehmen müssen.

Das wird im US-Heer so gehandhabt: Beförderungen und lukrative Dienstposten rücken für den in weite Ferne, der den Ranger-Kurs, das Gegenstück zum deutschen Einzelkämpfer, schmeißt. Anders in der Bundeswehr, wo selbst in der Spitze des höchsten Heeres-Kommandos Generäle eingesetzt werden, die keinen Einzelkämpferlehrgang bestanden haben – obwohl sie als Panzer- oder Fallschirmjägeroffiziere dienen. Das haben ihnen die 25 Teilnehmer voraus, am Ende der Woche den Lehrgang in Hammelburg dann bestanden zu haben.

In Deutschland hat ein nicht bestandener Lehrgang für Einzelkämpfer keine Folgen

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Erstellt:
16. März 2019, 03:04 Uhr

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