Die Euphorie früherer Zeiten fehlt

Das EM-Spiel Deutschland gegen Frankreich hat nach der langen coronabedingten Pause wieder viele Menschen zum Public Viewing in die Lokale gelockt. Aber es gab – anders als früher – auch freie Plätze.

Zahlreiche Gäste haben auf der Terrasse im Merlin Fußball geschaut – die Ausgelassenheit von sonst war jedoch nicht zu spüren. Fotos: T. Sellmaier

© Tobias Sellmaier

Zahlreiche Gäste haben auf der Terrasse im Merlin Fußball geschaut – die Ausgelassenheit von sonst war jedoch nicht zu spüren. Fotos: T. Sellmaier

Von Carmen Warstat

BACKNANG. Im Merlin ist die Stimmung gedämpft, und die Besucher wirken recht still – zumindest am Anfang. Die Leute hätten sich an Corona gewöhnt, meint Inhaber Christos Kiroglou, aber das werde sich auch wieder ändern, man müsse Geduld haben. Er hat mehrere Fernseher aufgestellt, im „Palmengarten“ hinter dem Lokal gibt es einen gediegeneren Bereich, wo es besonders ruhig zugeht. Reaktionen auf das Spielgeschehen an den Bildschirmen sind rar, Torchancen und selbst ein Eigentor provozieren kaum ein Echo. Es geht wohl mehr ums Zusammensitzen als um die schönste Nebensache der Welt. Die Terrasse vorn wird vorwiegend von Jüngeren bevölkert, dort ist eher etwas los. Allen ist aufgefallen, dass früher weit mehr Fahnen und anderer Deutschland-Schmuck zu sehen waren – die Euphorie fehlt einfach. Haben die Fans inzwischen vielleicht einen kritischeren Blick auf ihre Helden entwickelt? – Man weiß es nicht. Immerhin finden sich einige in Trikots und mit Accessoires in Schwarz–Rot– Gold, darunter Regina Kübler mit ihrer Begleitung Silvia Treinat. Vermissen die beiden etwas? „Nein, wir wundern uns bloß! Die Stimmung war früher gelöster, lustiger und freier, wenn Deutschland spielte.“ Die Zwillingsbrüder Constantin und Fabian Zöllner mit Sophie Siegmund glauben, dass vielen das Risiko einer Ansteckung noch zu hoch ist und andere nicht Bescheid wissen, was so läuft. „Wenn das Turnier gut wird, ändert sich die Stimmung“, hoffen sie.

Das Eigentor trübt die Stimmung der Gäste.

Melanie Kopp und Ralf Ulmer sind mit Sohn Leon gekommen und genießen die neue Freiheit. Der Neuntklässler trägt sein Bayern-Trikot und vermisst nichts: Fußball, Cola, gutes Wetter machen ihn zufrieden, auch wenn man es ihm nicht ansieht. Mag sein, er ahnt den Spielausgang schon jetzt.

Halbzeitpause im Waldheim: Hier geht es lebhafter zu. An einem Tisch mit jungen Leuten in Trikots erinnert man sich: „Bei der WM 2014 waren wir auch schon in der Zeitung!“ Sie sind in Feierlaune, aber klar, das Eigentor trübt die Stimmung etwas. „Die zweite Halbzeit wird’s richten“, orakeln sie lachend. Ein paar „stolze Handballer“ waren nach eigenem Bekunden im Waldheim „die letzten vor Corona und die ersten danach“. Einer von ihnen, Heiko Langenfeld, bedauert, dass das Thema EM im Vorhinein nicht so gehypt worden sei, und kritisiert: „Corona war wichtiger in den Medien.“ Das Allerweltsthema habe viel kaputt gemacht und ein deutsches „krankhaftes Regulierenwollen nach dem Motto ‚Wir retten die Welt‘“ finde er schräg und unverständlich, weshalb er die Beschränkung der Zuschauerzahlen im Münchener Stadion auch ablehne. Andere Gäste finden sie als Schutzmaßnahme hingegen absolut richtig, schließlich dürfe es keine Ausnahmen für den Fußballsport geben und das sei zu akzeptieren.

Im Vereinsheim des SV Steinbach sieht man das ähnlich. Hier ist zu spüren, dass aktive Sportler unter den Gästen sind. Aufmerksam wird das Spiel verfolgt und relativ emotional reagiert. Ein bisschen so, wie man es kennt. Vereinspressesprecher Matthias Gronbach findet trotzdem, dass die Stimmung gedämpfter ist als gewohnt. Es ist der erste Abend, an dem das Vereinsheim wieder geöffnet hat, und man möchte jetzt wenigstens zwei weitere Deutschlandspiele hier zeigen. In der Nähe hat man eine Teststation eingerichtet, die Tische hat man in den deutschen Farben geschmückt und ein Fußballgewinnspiel vorbereitet. Joël Lombert hat sich mit zwei Freunden daran beteiligt und hofft auf ein Freigetränk. Auf das Ergebnis 2:0 hat er getippt, für Frankreich natürlich, denn er ist Franzose. Der Freundschaft zu Patrick L. und Stefan K. tut es auch an diesem Abend keinerlei Abbruch, denn sie sehen es nicht allzu verbissen. Man sei „needy nach Events“ heißt es in schönster Jugendsprache – man braucht einfach Veranstaltungen und ist „scharf darauf“, kultivierter übersetzt: bedürftig. Heute feiern sie „die Rückkehr des kollektiven Erlebens“, wie es einer von ihnen ausdrückt, dabei hätten sie „die EM fast verpennt“. Irgendwie scheint es auch anderen so gegangen zu sein – das Backnanger Fußballpublikum wirkt insgesamt noch nicht ganz wach.

Eine Bildergalerie mit weiteren Fotos vom Public Viewing des EM-Spiels Deutschland – Frankreich in Backnang ist online unter www.bkz.de zu sehen.

Im Biergarten des Waldheims haben Detlef und Sandra Gall bei kühlen Getränken und angenehmen Temperaturen das deutsche Team angefeuert.

© Tobias Sellmaier

Im Biergarten des Waldheims haben Detlef und Sandra Gall bei kühlen Getränken und angenehmen Temperaturen das deutsche Team angefeuert.

Der Franzose Joël Lombert hat das Spiel mit seinen deutschen Freunden Patrick L. und Stefan K. (von links) im Vereinsheim des SV Steinbach verfolgt.

© Tobias Sellmaier

Der Franzose Joël Lombert hat das Spiel mit seinen deutschen Freunden Patrick L. und Stefan K. (von links) im Vereinsheim des SV Steinbach verfolgt.

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Erstellt:
17. Juni 2021, 06:00 Uhr

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