Die Hagia Sophia öffnet als Moschee

dpa Istanbul. Eine „Auferstehung“ nennt der türkische Präsident Erdogan die Umwandlung der Istanbuler Hagia Sophia in eine Moschee. Touristen sollen das Gebäude weiter besichtigen dürfen. Doch Erdogans Traum ist der Alptraum anderer.

Blick auf die Hagia Sophia. Foto: Jason Dean/ZUMA Wire/dpa

Blick auf die Hagia Sophia. Foto: Jason Dean/ZUMA Wire/dpa

Für den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan geht ein „Traum aus Jugendjahren“ in Erfüllung, wie er selbst sagt: Das Istanbuler Wahrzeichen Hagia Sophia - einst Kirche, dann unter den Osmanen eine Moschee und von Republikgründer Mustafa Kemal Atatürk 1934 säkularisiert und zum Museum gemacht - wird ab Freitag wieder als Moschee genutzt.

Das Oberste Verwaltungsgericht der Türkei hatte am 10. Juli der Hagia Sophia den Status als Museum aberkannt. Erdogan ordnete daraufhin an, das Gebäude für das islamische Gebet als Moschee zu öffnen.

Die Entscheidung ist hoch umstritten. Während Erdogan von einer „Auferstehung“ spricht und einem „Fehler“, der behoben werde, kritisieren Kirchenvertreter sowie Russland und Griechenland die Entscheidung scharf. In den Ländern spielt die orthodoxe Kirche eine wichtige Rolle.

ERDOGAN, FATIH UND ATATÜRK

Wenn Erdogan einen Lieblingssultan hat, dann ist es sicher Mehmet II., genannt Fatih - der Eroberer. Er war es, der die Hagia Sophia nach der Eroberung Konstantinopels (heute: Istanbul) 1453 von einer Kirche in eine Moschee umwandelte. Die Eroberung markierte den Untergang des Byzantinischen und den Aufstieg des Osmanischen Reiches als Großmacht. Die Umwandlung der Hagia Sophia war das Symbol dieses Sieges.

Der türkische Präsident versucht seit Jahren, an die Stärke des Osmanischen Reiches anzuknüpfen. Einige Twitter-Nutzer bezeichneten Erdogan als zweiten Fatih, nachdem dieser die Öffnung der Hagia Sophia als Moschee verkündet hatte. Bei einigen Anhängern kommt die Entscheidung an und wird angesichts der mehrheitlich muslimischen Bevölkerung als überfällig gewertet.

Kritiker werfen Erdogan dagegen seit langem vor, das Land zu islamisieren und den in der Verfassung festgelegten Laizismus - also die Trennung zwischen Religion und Staat - zu untergraben. Der Kolumnist Merdan Yanardag wertet die Umwandlung der Hagia Sophia als Abrechnung Erdogans mit Atatürk und dessen Vorstellung einer laizistischen Republik. „Es ist ein Angriff auf die Gründungsideen der Republik und die fortschrittlichen Werte, die von ihr ausgehen“, schreibt er in der regierungskritischen Zeitung „Birgün“.

WIRTSCHAFT UND WAHLEN

Opposition und Beobachter werfen Erdogan vor, mit der Umwandlung der Hagia Sophia in eine Moschee von wirtschaftlichen Problemen ablenken zu wollen. Das sehen dem Meinungsforschungsinstitut Metropoll zufolge auch 44 Prozent der Bevölkerung so.

Eine Umwandlung der Hagia Sophia stand jahrelang immer wieder auf der Tagesordnung und Erdogan hatte das Thema oft vor Wahlen angesprochen. Aus dem Schulterschluss mit dem religiösen Klientel und mit Polarisierung konnte der Präsident in der Regel profitieren. Die Umwidmung hat deshalb in der Türkei auch eine Debatte über vorgezogene Wahlen bestärkt, die regulär erst 2023 anstehen.

DIE HAGIA SOPHIA, JUSTINIAN UND DIE ORTHODOXIE

Schon die Errichtung der Hagia Sophia war eine „Machtdemonstration“ von Kaiser Justinian, wie es Justinian-Experte und Professor für Alte Geschichte an der Universität Tübingen, Mischa Meier, beschreibt. Der Kaiser habe die Kirche nach dem Nika-Aufstand von 532 errichten lassen, den er ausgenutzt habe, um die Opposition, darunter viele Senatoren, zu eliminieren, sagt er. Mit dem konfiszierten Vermögen der Senatoren habe er die Hagia Sophia finanziert. „Diese Machtdemonstration war gerichtet auf die traditionelle römische Elite, die Justinian größtenteils verachtet hat, weil er aus ganz kleinen Verhältnissen aufgestiegen war.“

Fast ein Jahrtausend lang war die Hagia Sophia das größte Gotteshaus der Christenheit. Sie war Hauptkirche des Byzantinischen Reiches. Ab dem 7. Jahrhundert wurden dort die Kaiser gekrönt. Wie der Petersdom für die Katholiken, so sei die Hagia Sophia für alle orthodoxen Christen auf der Welt ein wichtiges Symbol, sagt Metropolit Ilarion vom Moskauer Patriarchat.

KULTURDENKMAL UND TOURISTENATTRAKTION

Touristen können die Hagia Sophia außerhalb der Gebetszeiten problemlos besuchen, wie die türkische Regierung versichert. Der Eintritt ist nun kostenlos. Die berühmten Mosaiken werden nur während des Gebets verhangen. Der Boden soll mit einem Gebetsteppich ausgelegt werden, den Erdogan vor Ort inspiziert hat.

Die Unesco habe man über die Änderungen nicht informiert, sagt der Mediendirektor der Organisation, Matthieu Guevel. Er betont, dass die Türkei jegliche Änderung mit der Unesco diskutieren müsse. Es sei ohnehin „bedauerlich“, dass die Türkei die Entscheidung über die Umwandlung der Hagia Sophia ohne Rücksprache mit der Unesco getroffen habe. Seit 1985 gehört die Hagia Sophia als Teil der Istanbuler Altstadt zum Unesco-Weltkulturerbe.

© dpa-infocom, dpa:200723-99-897230/3

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Erstellt:
23. Juli 2020, 12:09 Uhr

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