Die in Ungnade Gefallene lächelt und kämpft weiter

Eigentlich sollte Charlotte Klinghoffer aus der FDP ausgeschlossen werden, weil sie bei der Kommunalwahl auf einer konkurrierenden Liste angetreten ist. Noch gibt es dazu keine endgültige Entscheidung. Trotz des Ärgers tritt die Backnangerin bei der Landtagswahl als Kandidatin der FDP an – und die Partei kann nichts dagegen machen.

Charlotte Klinghoffer geht den Wahlkampf mit Volldampf und einer großen Portion guter Laune an. Ihrem 21 Jahre alten Beetle hat sie bereits eine neue Optik verpasst. Über sich selbst sagt sie lächelnd: „Egal, ob ich in der FDP bin oder nicht, ich bin eine überzeugte FDPlerin.“Foto: A. Becher

© Alexander Becher

Charlotte Klinghoffer geht den Wahlkampf mit Volldampf und einer großen Portion guter Laune an. Ihrem 21 Jahre alten Beetle hat sie bereits eine neue Optik verpasst. Über sich selbst sagt sie lächelnd: „Egal, ob ich in der FDP bin oder nicht, ich bin eine überzeugte FDPlerin.“Foto: A. Becher

Von Matthias Nothstein

BACKNANG. Die FDP im Raum Backnang hat ein Problem mit ihrem Personal. Dies gipfelte zuletzt darin, dass mit Charlotte Klinghoffer eine Vollblutliberale aus Backnang als Kandidatin der FDP für die Landtagswahl im kommenden März für den Wahlkreis Backnang nominiert wurde. Ausgerechnet Klinghoffer, die doch aus der Partei ausgeschlossen werden sollte. Wie passt das zusammen?

Vor der letzten Kommunalwahl wollte das Kirchberger FDP-Urgestein Gudrun Wilhelm ihren Posten als Regionalrätin ihrer Herzenspartei verteidigen. Bevor jedoch die Wähler darüber entscheiden, muss die Partei klären, wen sie ins Rennen schickt. Für die Amtsinhaberin eigentlich keine Frage, da sie mit großem Elan ihren Wahlkreis in der Regionalversammlung vertreten hatte. Doch oh weh, am Abend der Nominierungsversammlung im Januar 2019 trat mit Hartfrid Wolff ein Gegenkandidat auf, der laut Wilhelm nicht zuletzt deshalb auf Listenplatz 1 gewählt wurde, weil er all jene, die für ihn stimmen wollten, auf Kosten des Kreisverbandes mit einem Bus zum Versammlungsort chauffieren ließ. Wilhelm war erbost, verließ die Nominierungsversammlung ohne Listenplatz und trat mit einer eigenen Liste „Freie Regionale Rems-Murr“ bei der Wahl an. Auf der Liste der Freien Regionalen waren mehrere Mitstreiter aus dem Backnanger Raum, unter anderem Charlotte Klinghoffer, Ulrich Jeggle und Sabine Krautter.

Im Kreistag sitzt sie für die neue Gruppe Wilhelm/Klinghoffer.

Immerhin schafften es Wilhelm und Klinghoffer, bei der zeitgleichen Kreistagswahl als FDP-Mitglieder in das Gremium gewählt zu werden. Doch die Verärgerung der Liberalen, dass Wilhelm mit einer Konkurrenzliste bei der Regionalwahl angetreten war und im Rems-Murr-Kreis viele FDP-Stimmen abgesahnt hatte, war nach dem Wahltag nicht einfach vergessen. Vielmehr sollten auf Beschluss des Kreisvorstands sechs Mitglieder – alles Unterstützer der wilhelmschen Regionalliste – aus der Partei ausgeschlossen werden. Erste Konsequenz: Seitdem sitzen Wilhelm und Klinghoffer im Kreistag nicht im Kreis der FDP-Fraktion, sondern alleine unter der Bezeichnung „Gruppe Wilhelm/Klinghoffer“.

Doch vier der in Ungnade gefallenen Liberalen wehrten sich gegen ihren Rausschmiss. In einer ersten Runde musste das Quartett eine weitere Niederlage einstecken, das Landesschiedsgericht bestätigte im März dieses Jahres den Parteiausschluss. Nun sollte Ende Oktober das Bundesschiedsgericht tagen. Doch die Sitzung wurde wegen Corona erst von Berlin nach Kassel verlegt, dort war zu diesem Zeitpunkt der Inzidenzwert noch nicht überschritten. Und dann wurde auch dieser Termin drei Tage vorher wegen Corona abgesagt. Wie es weitergeht steht derzeit in den Sternen. Kreisvorsitzender Jochen Haußmann dazu in einem Mitgliederbrief: „Über das weitere Verfahren wird uns das Bundesschiedsgericht informieren.“

Die besondere Note erhält die Episode dadurch, dass im Juli die FDP-Wahlkreiskonferenz für den Wahlkreis Backnang zur Landtagswahl am 14. März 2021 stattgefunden hat. Angetreten war dort der Backnanger Björn Michl. Doch am Wahlabend kam es erneut anders. Ulrich Jeggle habe spontan Klinghoffer als Kandidatin vorgeschlagen. Diese erhielt im ersten Wahlgang die nötige Mehrheit. Also eben jene FDP-Frau, die eigentlich ausgeschlossen werden sollte. Im Mitgliederbrief schreibt Kreisvorsitzender Haußmann dazu: „Nach dem Landtagswahlrecht ist eine Mitgliedschaft keine Voraussetzung für eine Kandidatur.“ Das heißt: Klinghoffer wird unabhängig vom Ausgang des Verfahrens Landtagskandidatin bleiben. Zumal sie und die Zweitkandidatin und Kreisvorsitzende der Jungen Liberalen, Anna Stubert, bereits mit dem Wahlkampf begonnen hätten.

Für Klinghoffer ist es ohnehin nicht verständlich, warum sie ausgeschlossen werden sollte, „ich weiß bis heute nicht, was wir falsch gemacht haben“. Sie erklärt, dass sie „nichts ahnend“ auf der Regionalliste kandidiert habe. Und sie verweist darauf, dass sie auch im Backnanger Gemeinderat seit Jahren für die Liste „Bürgerforum Backnang“ angetreten sei, auch dies sei nie ein Problem gewesen. Selbstkritisch räumt sie jedoch ein, „vielleicht war ich da zu naiv“.

Dass sie die richtige Kandidatin ist, daran lässt sie keinen Zweifel. So habe bei der Nominierung den Ausschlag gegeben, dass sie auf langjährige Erfahrung zurückblicken könne und kein Newcomer sei. Sie verweist auf ihre Ämter im Kreistag und Gemeinderat und – mit besonderer Genugtuung – dass sie auch die Rückendeckung des Kreisvorstands inklusive seines Vorsitzenden Haußmann habe. Nochmals betont sie, dass die Kandidatur auf der Liste Freie Regionale „kein böser Wille“ war. Und sie verrät, dass der geplante und bei einigen bereits erfolgte Ausschluss den jeweiligen Betroffenen persönlich sehr nahe gehe: „Es handelt sich da ja nicht um ein paar Neumitglieder, die jetzt wieder gehen, sondern um eingefleischte und verdiente Mitglieder.“

Die Gruppe Wilhelm/Klinghoffer im Kreistag hat neuerdings Zuwachs bekommen. Wolfgang Kölz aus Schwaikheim, der vor Wochenfrist erst aus der CDU-Fraktion ausgeschieden ist, informierte Landrat Richard Sigel darüber, dass er sich ab sofort dem Frauenduo anschließe.

Kommentar
Kandidatin wider (Partei-)Willen

Von Matthias Nothstein

Beide Parteien machen bei diesem Thema gute Miene zum bösen Spiel. Wenn nun Jochen Haußmann per Mitgliederbrief allen Liberalen mitteilt, die Kandidatur von Charlotte Klinghoffer sei rechtens, so muss er dies notgedrungen tun, das Landtagswahlrecht gibt ihm keine andere Handhabe. Es gehört jedoch nicht viel Fantasie dazu, sich auszumalen, wie schwer er und der Großteil des Kreisvorstands sich damit getan haben. In den nächsten Wochen und Monaten müssen die Liberalen zusammenhalten, um ein gutes Wahlergebnis zu erzielen. Offen ausgetragener Streit ist da offensichtlich wenig förderlich.

Jochen Haußmann und andere prominente Liberale werden Klinghoffer künftig an Wahlständen und Veranstaltungen (wenn es die in Coronazeiten überhaupt gibt) unterstützen müssen und sich vermutlich jedesmal kräftig auf die Zunge beißen, wenn es um das Thema Parteiausschluss geht. Auch wenn Klinghoffer inzwischen schon die Unterstützung beispielsweise von Haußmann zugesagt bekommen hat, so weiß sie doch, sie ist eine Kandidatin wider Willen der Partei.

Gute Miene zum bösen Spiel macht aber auch Klinghoffer, wenn sie sagt, sie habe sich bei der Kandidatur auf Wilhelms Liste nichts Böses gedacht und sei nur „naiv gewesen“. So viel Naivität geht gar nicht, zumal Politikprofi Gudrun Wilhelm genau weiß, wie der Hase läuft. Und wenn doch, dann ist es zu viel Naivität für so ein wichtiges Amt.

m.nothstein@bkz.de

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Erstellt:
26. November 2020, 11:30 Uhr

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