Nach Aufhebung des Weinstein-Urteils

Die Metoo-Debatte ist nicht vom Tisch

Sexueller Missbrauch bleibt ein Thema – ungeachtet juristischer Entscheidungen. Wer glaubt, mit der Aufhebung eines Urteils gegen Harvey Weinstein ende die Debatte um Machtmissbrauch und sexuelle Übergriffe, irrt, sagt unsere Kommentatorin Hilke Lorenz. Niemand kann in Abrede stellen, dass sexualisierte Gewalt gegen Frauen zunimmt.

Harvey Weinsteins Fall war Auslöser für die #metoo-Kampagne. Harvey Weinsteins Fall war Auslöser für die #metoo-Kampagne.

© dpa/Frank Franklin

Harvey Weinsteins Fall war Auslöser für die #metoo-Kampagne. Harvey Weinsteins Fall war Auslöser für die #metoo-Kampagne.

Von Hilke Lorenz

Stuttgart - Alle, die gehofft haben, die Diskussionen über sexualisierte Gewalt und Machtmissbrauch gegenüber Frauen seien endlich zu Ende, freuen sich zu früh. Das höchste Gericht im Bundesstaat New York hat zwar ein Urteil gegen Harvey Weinstein aufgehoben. Mit dieser Entscheidung könnte der 72-jährige auf freien Fuß kommen, gäbe es nicht noch ein anderes Urteil, in dem er zu einer Haftstrafe von 16 Jahren verurteilt worden ist. Soll heißen, die Vorwürfe sexueller Übergriffe gegen den Filmmogul bis hin zu Vergewaltigung sind nicht vom Tisch.

Die Richterinnen und Richter haben verfahrensrechtliche Gründe geltend gemacht. Sie haben nicht den Wahrheitsgehalt der Aussagen der Frauen in Abrede gestellt, die vor Gericht ihre Erlebnissen schilderten. Sie haben vielmehr entschieden, dass diese Schilderungen nicht ins Urteil gegenüber gegen den ehemaligen Hollywoodproduzenten hätten einfließen dürfen, weil die Fälle nicht angeklagt waren. Die Staatsanwaltschaft hatte mit der Aussage der Frauen ein Bild vom Charakter Harvey Weinsteins zeichnen wollen.

In der Zusammenschau haben ihn die Zeuginnen als seine Machtposition bis zur Vergewaltigung ausreizenden Menschen geschildert. Als einen, der seine Schlüsselstellung bei der Vergabe von Rollen in der US-amerikanischen Filmbranche ausgenutzt hat. Der Fall des Harvey Weinstein hat weltweit eine Debatte ausgelöst, die unter dem Schlagwort Metoo vieles ins Rollen brachte. Nicht nur in der Filmbranche, auch in anderen Lebensbereichen. Als habe es nur einer Initialzündung bedurft, lang Angestautes ans Tageslicht zu bringen.

Nein, mit dieser Gerichtsentscheidung stürzt die Metoo-Bewegung nicht wie ein Kartenhaus in sich zusammen. Wer darauf setzt, freut sich zu früh. Vieles, was Frauen und auch Männer in den vergangenen Jahren berichtet haben, hat zumindest zu einem gesellschaftlichen Nachdenken über die Machtstrukturen zwischen den Geschlechtern in dieser Gesellschaft geführt. Niemand will und kann ernsthaft in Abrede stellen, dass es durch Abhängigkeiten begünstigte sexuelle Übergriffe noch immer gibt. Dass es eine bis an die Grenze der Tat gehende und provozierend zur Schau gestellte Männlichkeit gibt, mit der Frauen jeden Tag konfrontiert werden. Nein, wir sind noch lange nicht in einer Welt angekommen, in der Frauen sicher sind und wo sie nicht besser durch den Tag kommen, wenn sie bei gewissen Äußerungen besser auf Durchzug stellen. Und das nicht nur, wenn sie an einer Baustelle vorbeilaufen. Denn das Nachdenken allein verändert die Lebenswirklichkeit noch nicht. Es müssen auch Korrekturen im Handeln folgen. Jenseits des Gerichtssaals.

Zur Wahrheit gehört jedoch auch, dass nachdem der Name Harvey Weinstein zum Synonym für Machtmissbrauch wurde, in einem aufgeheizten gesellschaftlichen Klima allein Beschuldigungen reichten, um Existenzen zu vernichten. Es zeugt nicht von mangelnder Solidarität unter Frauen, auch in der Metoo-Debatte darauf hinzuweisen, dass es in einem Rechtsstaat eine Instanz, also Gerichte gibt, die juristisch entscheiden. Und eben nicht nach moralischen Kriterien. So bitter das manchmal ist.

Polizei, Staatsanwaltschaften und Opferhilfeorganisationen können ein Lied davon singen, wie viel Überwindung es Betroffene kostet, eine Gewalttat zu melden. Doch solche Taten lassen sich eben nur verfolgen, wenn sich Betroffene einem für sie quälendem Prozedere der Beweisfindung stellen. Die Entscheidung von New York darf nicht dazu führen, dass Frauen sich entmutigen lassen, Täter anzuzeigen. Dazu ist die Welt noch viel zu sehr in Schieflage.

Stuttgart - Alle, die gehofft haben, die Diskussionen über sexualisierte Gewalt und Machtmissbrauch gegenüber Frauen seien endlich zu Ende, freuen sich zu früh. Das höchste Gericht im Bundesstaat New York hat zwar ein Urteil gegen Harvey Weinstein aufgehoben. Mit dieser Entscheidung könnte der 72-Jährige auf freien Fuß kommen, gäbe es nicht noch ein anderes Urteil, in dem er zu ein 16 Jahren Haft verurteilt worden ist. Soll heißen, die Vorwürfe sexueller Übergriffe gegen den Filmmogul bis hin zu Vergewaltigung sind nicht vom Tisch.

Die Richterinnen und Richter haben verfahrensrechtliche Gründe geltend gemacht. Sie haben nicht den Wahrheitsgehalt der Aussagen der Frauen in Abrede gestellt, die vor Gericht ihre Erlebnisse schilderten. Sie haben vielmehr entschieden, dass diese Schilderungen nicht ins Urteil gegenüber gegen den ehemaligen Filmmogul hätten einfließen dürfen, weil die Fälle nicht angeklagt waren. Die Staatsanwaltschaft hatte mit der Aussage der Frauen ein Bild vom Charakter Weinsteins zeichnen wollen.

In der Zusammenschau haben ihn die Zeuginnen als seine Machtposition bis zur Vergewaltigung ausreizenden Menschen geschildert. Als einen, der seine Schlüsselstellung als Gatekeeper für Rollen in der Filmbranche ausgenutzt hat. Der Fall des Harvey Weinstein hat weltweit eine Debatte ausgelöst, die unter dem Hashtag #metoo vieles ins Rollen brachte. Nicht nur in der Filmbranche, auch in anderen Lebensbereichen. Als habe es nur einer Initialzündung bedurft, lang Angestautes ans Tageslicht zu bringen.

Nein, mit dieser Gerichtsentscheidung stürzt die #metoo-Bewegung nicht wie ein Kartenhaus in sich zusammen. Wer darauf setzt, freut sich zu früh. Vieles, was Frauen und auch Männer in den vergangenen Jahren berichtet haben, hat zumindest zu einem gesellschaftlichen Nachdenken über die Machtstrukturen zwischen den Geschlechtern in dieser Gesellschaft geführt. Niemand will und kann ernsthaft in Abrede stellen, dass es durch Abhängigkeiten begünstigte sexuelle Übergriffe noch immer gibt. Dass es eine bis an die Grenze der Tat gehende und provozierend zur Schau gestellte Männlichkeit gibt, mit der Frauen jeden Tag konfrontiert werden.

Nein, wir sind noch lange nicht in einer Welt angekommen, in der Frauen sicher sind und in der sie sexistische Äußerungen überhören müssen. Äußerungen, die übrigens in allen Milieus immer noch üblich sind und nicht nur beim Passieren einer Baustelle fallen. Denn das Nachdenken allein verändert die Lebenswirklichkeit noch nicht. Es müssen auch Korrekturen im Handeln folgen, jenseits des Gerichtssaals.

Zur Wahrheit gehört jedoch auch, dass nachdem der Name Harvey Weinstein zum Synonym für Machtmissbrauch wurde, in einem aufgeheizten gesellschaftlichen Klima allein Beschuldigungen reichten, um Existenzen zu vernichten. Es zeugt nicht von mangelnder Solidarität unter Frauen, auch in der #metoo-Debatte darauf hinzuweisen, dass es in einem Rechtsstaat eine Instanz, nämlich Gerichte, gibt, die juristisch entscheiden – und eben nicht nach moralischen Kriterien. So bitter das manchmal ist.

Polizei, Staatsanwaltschaften und Opferhilfeorganisationen können ein Lied davon singen, wie viel Überwindung es Betroffene kostet, eine Gewalttat zu melden. Doch solche Taten lassen sich eben nur verfolgen, wenn sich Betroffene einem für sie quälendem Prozedere der Beweisfindung stellen. Die Entscheidung von New York darf nicht dazu führen, dass Frauen sich entmutigen lassen, Täter anzuzeigen. Dazu ist die Welt noch viel zu sehr in Schieflage.

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Erstellt:
26. April 2024, 22:04 Uhr
Aktualisiert:
27. April 2024, 21:56 Uhr

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