Die neue Zukunft der Kindertagespflege

Eine Pilotgruppe hat jetzt den ersten Teil eines neuen Qualifizierungsprogramms für angehende Tageseltern absolviert. Der Kurs findet im Famfutur in Backnang für den ganzen Landkreis statt.

Teilnehmerinnen tauschen sich aus (von links): Pelin Bulkurcu und Nese San-Schassberger sowie Maria Slavova (im Hintergrund). Foto: A. Becher

© Alexander Becher

Teilnehmerinnen tauschen sich aus (von links): Pelin Bulkurcu und Nese San-Schassberger sowie Maria Slavova (im Hintergrund). Foto: A. Becher

Von Simone Schneider-Seebeck

BACKNANG. In kleinen Gruppen stehen die Frauen zusammen und besprechen die erreichten Fortschritte. Die Kursleiter Axel Conrad und Daniela Bay halten sich zurück, stehen aber jederzeit als Ansprechpartner zur Verfügung. Lena Müller vom Jugendamt Rems-Murr, die das Pilotprojekt mit Kollege Frank Schaible koordiniert und immer wieder vorbeigeschaut hat in den vergangenen Monaten, zeigt sich hochzufrieden mit der Entwicklung: „Die Gruppe ist sehr zusammengewachsen. Zunächst waren sie noch recht schüchtern und zurückhaltend. Jetzt sind sie sehr offen geworden und haben sich untereinander vernetzt.“

Im März startete der erste Kurs im Backnanger Famfutur. Im Programm „ProKindertagespflege: Wo Bildung für die Kleinsten beginnt (QHB 300)“ fördert das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend insgesamt 48 Kursangebote, darunter das im Famfutur, das der Verein Kinder- und Jugendhilfe kreisweit anbietet. Der Kurs ist für die Teilnehmer kostenlos.

Der coronabedingte Lockdown schien zunächst eine Zwangspause zu bedeuten, doch kurzfristig konnte auf Online-Seminare umgestellt werden, und seit Mitte Juni gibt es wieder Präsenzunterricht. Sechs hoch motivierte zukünftige Tagesmütter haben jetzt die tätigkeitsvorbereitende Grundqualifizierung über 160 Unterrichtseinheiten mit der Lernergebnisfeststellung abgeschlossen. Sieben weitere Teilnehmerinnen konnten als pädagogische Fachkräfte schon vorher den Kurs verlassen.

„Für das Selbstwertgefühl das Beste, was einem passieren kann.“

Zum Abschluss des ersten Kursteils steht Selbstreflexion an. Was hat sich in den vergangenen Monaten bei den Frauen getan? Selbstbehauptung, Lernbereitschaft und Authentizität sind die Stichworte, die am häufigsten auf den Reflexionsbögen stehen. Wo war ich am Beginn des Kurses, wo in der Mitte, wo jetzt?

Die Gruppe hat eine Wandlung durchgemacht. Zu Beginn teilweise noch von Selbstzweifeln und Unsicherheit geplagt, hat das Selbstbewusstsein stetig zugenommen. So muss es sein, denn die Tätigkeit als Tagesmutter oder -vater verlangt nicht wenig. Liebevoller und individueller Umgang mit den Kindern, adäquater Dialog mit den Eltern, die Fähigkeit, seine Grenzen festzusetzen, das eigene Profil zu entwickeln, das gehört alles dazu – ganz abgesehen von rechtlichen und wirtschaftlichen Fragestellungen.

Manche Teilnehmerin hat bereits Erfahrung in der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen, manche ist als Quereinsteigerin dazugestoßen. So etwa Claudia Langhammer. Sie hat sich entschieden, etwas vollkommen Neues zu machen. Ihre Motivation? „Ich möchte zurückgeben, was ich an Lebenserfahrung gemacht habe. Und das geht am besten bei kleinen Kindern.“ Den Kurs sieht sie nicht nur als berufliche Qualifizierung an, sondern auch als persönliche Weiterentwicklung. Auch Nese San-Schassberger kommt aus einem völlig anderen Bereich. Sie ist froh, dass sie den Kurs entdeckt hat: „Meine Erwartungen wurden total übertroffen.“ Pelin Bulkurcu geht noch weiter: „Das sollten alle Muttis machen. Der Kurs ist für das Selbstwertgefühl das Beste, was einem passieren kann“, ist sie überzeugt.

Praktika in einer Kita und bei Tageseltern gehören mit dazu.

Das Konzept zur Qualifizierung für Tageseltern ist komplett überarbeitet worden. Es werden jetzt fast doppelt so viele Unterrichtseinheiten wie zuvor angeboten. Themen sind unter anderem rechtliche Grundlagen, Kompetenzen in der Kindertagespflege, Vernetzung, Kommunikation, Hygiene, Ernährung, Gesundheit und, und, und.

Dabei gibt es nicht nur Vorträge und Referate, ein Schwerpunkt liegt auf den Selbstlerneinheiten. Ein Lerntagebuch dient dazu, sich mit dem Gelernten auseinanderzusetzen und für sich herauszufinden, welche Themen besonders vertieft werden sollen, und somit eigene Schwerpunkte zu setzen, individuelle Kompetenzen auszubauen, die „kompetenzorientierte Qualifizierung“. 80 Stunden Praktikum in einer Kindertagesstätte und bei Tageseltern gehören ebenfalls dazu. Aufgrund von Coronabeschränkungen konnte dies im ersten Kurs nicht in die Tat umgesetzt werden, doch der nächste Kurs wird dies – voraussichtlich – tun.

Im Anschluss folgt ein weiterer Block mit 140 tätigkeitsbegleitenden Unterrichtseinheiten. Vorteilhaft findet Lena Müller, dass die Themen im neuen Konzept ineinander übergreifen. Vorher war die Weiterbildung mit 160 Einheiten relativ starr aufgebaut, die Vertiefung von Themen war so nicht möglich. Nun werden die angehenden Tageseltern ermutigt, ihre Themen herauszuarbeiten und zu vertiefen, sich untereinander und auch mit den Kursleitern auszutauschen. „Der Kurs ist ein Prozess“, erläutert Müller.

Was bei der Pilotgruppe offenbar sehr gut funktioniert hat. Teilnehmerin Hülya Russ: „Der Kurs ist super! Wir sind richtig zusammengewachsen. Es herrscht eine tolle Atmosphäre. Wir nehmen unheimlich viel mit. Die Online-Kurse waren eine Herausforderung, aber die Referenten haben das sehr gut gemacht.“ Eine weitere Teilnehmerin ergänzt: „Wir brauchen eine andere Erziehungsarbeit. Man sollte mit Kindern liebevoller umgehen, denn sie sind von Natur aus kooperationsbereit. Das schöne neue Bild über Kinder finde ich toll.“

Und Maria Slavova, der es sowieso leichtfällt, mit Kindern in Beziehung zu treten, ergänzt: „Der Kurs war wunderbar. Die Referenten waren so gut vorbereitet, auch trockene Themen waren interessant gestaltet.“ Besonders gut gefallen haben ihr der Austausch und die gegenseitige Reflexion.

Fünf Prozent der Tageseltern in Backnang sind männlich.

Auch wenn dieses Mal keine männlichen Teilnehmer dabei sind – Tagesväter sind im Kommen. In Backnang etwa sind etwas über fünf Prozent der Tageseltern männlich. Und es wäre wünschenswert, wenn diese Zahlen steigen. Menschen im ganzen Landkreis sind dazu eingeladen, die Infoveranstaltungen ganz unverbindlich zu besuchen. Wie sich am aktuellen Kurs zeigt – nicht nur beruflich, auch persönlich ist er ein Gewinn.

Ausbildung zu Tageseltern

Die Grundqualifizierung umfasst 300 Unterrichtseinheiten (UE). Davon sind 160 tätigkeitsvorbereitend (7 Module als Orientierungsphase, 17 als Basisphase), dazu kommen 80 Stunden Praktikum und 100 UE Selbstlerneinheiten.

Im Anschluss folgen 140 tätigkeitsbegleitende UE und etwa 40 UE Selbstlerneinheiten. Zur vertiefenden Weiterbildung werden jährlich 15 UE absolviert.

Der neue Kurs beginnt am 4. November, Anmeldefrist ist der 28. September beim jeweils zuständigen Tageselternverein – in Backnang und Umgebung ist das der Verein Kinder- und Jugendhilfe.

Die nächsten Informationsveranstaltungen finden statt am 11. August, 9 bis 10.30 Uhr, 27. August, 18.30 bis 20 Uhr, 9. September, 18.30 bis 20 Uhr, im Famfutur, Backnang, Theodor-Körner-Straße 1.

Bereits aktive Tageseltern können die neue Zusatzqualifikation absolvieren; verpflichtend ist dies aber nicht. Infos dazu gibt es am Montag, 30. November, um 19 Uhr ebenfalls im Famfutur in Backnang.

Weitere Informationen zur Qualifizierung und zu den Kursangeboten gibt es bei Daniela Bay und Axel Conrad unter der Telefonnummer 07191/3419-120 oder E-Mail qhb@kinderundjugendhilfe-bk.de.

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Erstellt:
14. August 2020, 06:00 Uhr

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