Die Partei des Volkszorns
Die Migration ist der wichtigste, aber nicht der einzige Nährboden, der die AfD erstarken lässt.
Von Eidos Import
Vieles, was heute unsere Realität bestimmt, wäre vor zehn Jahren undenkbar erschienen. Dazu zählen auch Petitessen wie die aktuellen Zahlen des „Politbarometers“. Sie spiegeln gesellschaftliche Verwerfungen, die damals ihren Ursprung hatten. Erstmals liegen Union und AfD in der Wählergunst gleichauf. Es gibt auch schon Umfragen, welche die Systemsprenger von rechts vorne sehen. Das ist kein Anlass für Panik oder schiefe historische Vergleiche – aber allemal alarmierend.
Der Höhenflug dieser Partei begann mit dem Ausufern der irregulären Migration – zu Zeiten, als eine CDU-Kanzlerin Verantwortung trug. Sie ist bis heute bemüht, das Problem kleinzureden, ihre Mitschuld am Wachsen jener unliebsamen Konkurrenz zu ignorieren, die just davon profitiert. Inzwischen wirkt das wie ein Paradoxon: Unter der Regie der Union hat ein Umdenken eingesetzt. Die neue Bundesregierung geht bis an die Grenzen der rechtlichen Möglichkeiten, um die irreguläre Migration einzudämmen. Dennoch verbucht die AfD Rekordwerte. Die Zahl der Asylanträge ist binnen Jahresfrist um 60 Prozent gesunken, der Trend nach rechts nimmt trotzdem zu.
War es ein Trugschluss, diese Entwicklung vor allem mit dem Kontrollverlust an den Grenzen zu erklären? Alle Umfragen sprechen dagegen. Die Migrationskrise war der entscheidende Türöffner für die Rechtspopulisten. Sie trieb viele Wähler nach Rechtsaußen. Eine vermeintliche Trendwende wird diese Leute kurzfristig nicht umstimmen. Sie misstrauen der Nachhaltigkeit aller Bemühungen, die Kontrolle an den Grenzen zurück zu gewinnen.
Zudem wird die AfD immer mehr versprechen, als die Bundesregierung mit rechtsstaatlichen Mitteln und humanitären Prämissen je erreichen kann. Dazu kommt: Die Folgeprobleme einer jahrelang verfehlten Politik lassen sich mit einer Kurskorrektur nicht kurzfristig aus der Welt schaffen – überlastete Schulen, Sicherheitsrisiken, einschlägige Kriminalität, soziale Kosten. Obendrein sind gerade jene bemüht, die Kurskorrektur schlechtzureden, die sich in der vergangenen Legislaturperiode lange dagegen gesträubt hatten – und damit für die Misere mit verantwortlich sind.
Die AfD wähnt sich als Volkspartei. Sie ist eine Partei des Volkszorns, der überhand nimmt. Er nährt sich aus vielerlei Quellen. Dazu zählt der Gefühl einer vermeintlichen Fremdheit im eigenen Land – aber auch dessen Verlotterung, die Ignoranz gegenüber offenkundigen Missständen sowie wirtschaftliche Probleme, von der eine ganze Generation verschont geblieben war. Die AfD offeriert verwaisten Milieus eine neue Heimat: von der SPD verdrossene Arbeiter, von der Merkel-CDU verprellte Konservative.
Die zum Schreckgespenst liberaler Demokraten herangewachsene Rechtsaußenpartei ist das Resultat einer Verbiesterung der politischen Kultur. Soziologen nennen das „affektive Polarisierung“. Sie wird nicht nur aus dem rechten Abseits befeuert – auch von der Rechthaberei derer, die allen vorschreiben wollen, wie sie reden sollen und was sie zu tolerieren haben. Die alles als „rechts“ schmähen, und damit rhetorisch mit rechtsextrem gleichsetzen, was nicht ihren Ansichten von Fortschrittlichkeit entspricht.
Wer diesen Kulturkampf weiter anheizt, trägt seinen Teil dazu bei, die liberale Demokratie zu unterminieren. Das nützt am Ende nur jenen, die damit ohnehin nichts im Sinne haben. Das verlangt keineswegs eine Kapitulation, lediglich die Konzentration auf jene Aufgaben, die der Partei des Volkszorns Vorschub leisten, sofern sie unerledigt bleiben. Destruktive Kräfte lassen sich nur mit konstruktiver Politik bekämpfen.