Die perfekte Führungskraft

Kapitän Alessandro Vergani (35) geht bei Stuttgart Surge in seine dritte und womöglich letzte Saison, die er mit dem Sieg im „Finale dahoim“ krönen will – dafür hat der Offensive Tackle hart gearbeitet.

Er weiß, wie man zupackt: Surge-Kapitän Alessando Vergani (rechts, Trikotnummer 55) bei der Arbeit in der Offensive Line.

© imago/American Football.Network/Florian Schust

Er weiß, wie man zupackt: Surge-Kapitän Alessando Vergani (rechts, Trikotnummer 55) bei der Arbeit in der Offensive Line.

Von Jochen Klingovsky

Stuttgart - Im American Football gibt es innerhalb der Teams klare Hierarchien, eindeutige Regeln, unmissverständliche Ansagen. Und trotzdem hin und wieder Platz für ein paar demokratische Elemente, zumindest bei Stuttgart Surge: Der Kapitän wird nicht von Cheftrainer Jordan Neuman bestimmt, sondern gewählt. Ein Wagnis ist der Coach damit allerdings nicht eingegangen – ihm war klar, dass die Kollegen sich hinter dem selben Spieler versammeln, für den auch er sich entschieden hätte. „Alessandro Vergani ist einer der besten Leader, die ich je hatte“, sagt Neuman, „er ist wie geschaffen, um eine Mannschaft anzuführen.“ Das zeigt schon ein Blick in dessen Vita.

Alessandro Vergani (35) ist Kapitän des italienischen Nationalteams, mit dem er 2021 Europameister wurde, und er war auch bei den Schwäbisch Hall Unicorns der Kopf der Mannschaft, als diese unter Jordan Neuman die German Football League (GFL) dominierte. 2023 wechselte der Koloss (1,91 Meter, 130 Kilogramm) zusammen mit dem Coach zu Stuttgart Surge in die European League of Football (ELF) – und wurde dort als Neuzugang gleich wieder zum Kapitän gewählt. Seither hält er den Kader zusammen. „Ich liebe es, mich um junge Leute zu kümmern. Mein Anspruch ist, für alle der beste Teamkollege zu sein“, sagt Alessandro Vergani, „mein Motto lautet: lead by example!“ Geh mit gutem Beispiel voran! Außerhalb des Stadions, in der Kabine – und erst recht auf dem Rasen.

Alessandro Vergani gehört zur Offensive Line von Stuttgart Surge, die zwei Aufgaben hat: Sie muss Quarterback Reilly Hennessey schützen und ihm möglichst viel Zeit verschaffen, damit er seine Pässe anbringen kann. Und sie muss bei Laufspielzügen dem Ballträger den Weg freiblocken. Die großen, schweren Jungs in der Offensive Line sind die Akteure, die am seltensten das Ei in Händen halten, sie spielen aber trotzdem eine tragende Rolle. „Wir sind sehr wichtig“, sagt Vergani, „wenn in der Offensive alles funktioniert, haben wir unseren Job erledigt und niemand kümmert das groß. Doch wenn es nicht läuft, dann ist immer die O-Line schuld und wir haben ein Riesenproblem.“

Umso zuversichtlicher schaut der Surge-Anführer auf die Saison, die am Sonntag (16.25 Uhr) im Gazistadion gegen Frankfurt Galaxy beginnt: „Wir haben uns richtig gut verstärkt. Das ist die beste O-Line, in der ich jemals gespielt habe.“ Was nicht zuletzt an ihm selbst liegt.

Alessandro Vergani (Spitzname „italienisches Walross“) ist dank seiner ansteckenden Entschlossenheit nicht nur der geborene Anführer, sondern auch ein enorm ehrgeiziger Footballer. Der Offensive Tackle hat sich vorgenommen, in dieser Saison auf seiner Position der Beste in Europa zu sein. Dafür arbeitet er hart. Vergani, der in Mailand Luft- und Raumfahrttechnik studierte, arbeitet in Vollzeit als Labormanager beim Maschinenbauunternehmen Nicotra Gebhardt in Waldenburg im Hohenlohekreis – weshalb er anstrengende Monate hinter sich hat. In der Vorbereitung, die von November bis April ging, war der Footballer fast an jedem Morgen um 6 Uhr im Kraftraum, um vor der Arbeit Gewichte zu stemmen. „Meine Aufgabe auf dem Feld ist es, meinen Gegenspieler von Punkt A zu Punkt B zu befördern“, sagt Alessandro Vergani, „weil ich schon ziemlich alt bin, muss ich umso mehr tun, um mich gegen die Jüngeren behaupten zu können.“

Mit der Form, in die sich sein Offensive Tackle gebracht hat, ist Jordan Neuman sehr zufrieden. „Er ist enorm athletisch, verfügt über den perfekten Körper für seine Position“, erklärt der Coach, der aber auch sagt: „Zugleich gehört zu seinen Qualitäten, dass er sehr clever und schlau ist.“ Und folglich genau weiß, was er zu tun hat.

Wenn Alessandro Vergani am Sonntag erstmals in dieser Saison sein Team auf den Rasen führt, dann wird aus dem sanften Riesen ein Footballer, der die Aggressivität ins Spiel bringt, ohne die es nicht geht. Erst recht nicht in dieser ganz besonderen Saison. Am 7. September findet das ELF-Endspiel in der MHP-Arena statt – wo das Surge-Team unbedingt den Titel holen will. „Natürlich haben wir dieses Ziel im Kopf“, sagt Vergani, der Fan von Champions-League-Finalist Inter Mailand ist, „und wir sind auch gut genug, um es zu erreichen. Aber wir müssen Schritt für Schritt gehen.“

Das „Finale dahoim“ ist ohnehin schon speziell, doch für Vergani könnte es noch bedeutsamer sein als für den Rest des Teams – es ist nicht ausgeschlossen, dass es sein Abschiedsspiel wird. Der 35-Jährige weiß, dass sein Karriereende naht, er weiß aber auch, was danach kommen soll: Er will Trainer werden, am liebsten im Team von Jordan Neuman, dem er sich stark verbunden fühlt. „Wir müssen nur weiter an ihn und seine Vision glauben, dann holen wir den Titel“, sagt Vergani, „anschließend wäre mein Wunsch, auch als Trainer von ihm zu lernen.“ Noch haben die beiden über diese Pläne nicht gesprochen, auf die entsprechende Frage antwortet Neuman aber kurz und knapp: „Ich hoffe, dass Alessandro für mich arbeitet.“

Weil Führungskraft im Football immer gebraucht wird. Egal an welcher Stelle.

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Erstellt:
14. Mai 2025, 22:06 Uhr
Aktualisiert:
14. Mai 2025, 23:57 Uhr

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