„Die Sprache macht den feinen Unterschied“

Interview Arne Grätsch ist Berater für Menschen, die nach Spanien auswandern möchten. Der Backnanger ist einer von gerade einmal zwei Auswanderungsberatern in Baden-Württemberg, die offiziell von der Bundesregierung anerkannt sind. 16 Jahre hat er auf Teneriffa gelebt.

Als nie endenden Urlaub: So stellen sich viele ihr neues Leben im Ausland vor. Die Realität sieht oft anders aus. Foto: Adobe Stock/El Gaucho

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Als nie endenden Urlaub: So stellen sich viele ihr neues Leben im Ausland vor. Die Realität sieht oft anders aus. Foto: Adobe Stock/El Gaucho

Backnang. Einwanderungscoach statt Auswanderungsberater: Das ist die Bezeichnung, die Arne Grätsch für seinen außergewöhnlichen Beruf bevorzugt. Der 61-Jährige lebt mit seiner Frau in Backnang-Steinbach und verhilft Menschen, die in Spanien ein neues Leben beginnen wollen, zu einem reibungslosen Start in ihrer Wahlheimat.

Herr Grätsch, Auswanderungsberater – das ist kein geläufiges Berufsbild. Wie sind Sie zu dieser Tätigkeit gekommen?

Das hat angefangen, als meine Familie und ich noch in Spanien gelebt haben. Immer wieder sind Menschen auf mich zugekommen und haben gefragt, ob ich etwas für sie übersetzen oder Behördengänge erledigen kann. Irgendwann war das so viel, dass ich gesagt habe: Eigentlich bin ich nicht hier, um kostenlos zu arbeiten. Deshalb habe ich angefangen, das beruflich zu machen. In Spanien ist das nicht reguliert. Sie melden ein Gewerbe an und arbeiten freiberuflich.

Wann war das?

Das Gewerbe angemeldet habe ich 2012. Von da an lief das eigentlich nebenher. Als wir zurück nach Deutschland gekommen sind, habe ich festgestellt: Ich kann das nicht so einfach fortführen. In Deutschland muss man eine Genehmigung dafür haben. Die Zulassung habe ich 2016 erhalten.

Nur für Spanien?

Ja. Bei anderen Ländern ist zwar vieles ähnlich. Aber ähnlich ist eben nicht gleich.

Wer nimmt Ihre Leistung in Anspruch?

Am Anfang waren es vor allen Dingen die Rentner, die ihren Lebensabend in Spanien verbringen wollten. Inzwischen sind es zunehmend auch Jüngere, die von dort aus arbeiten wollen. Das ist natürlich verlockend: Homeoffice – da arbeite ich sowieso von der Couch aus, da ist es doch egal, ob die Couch in Backnang steht oder schön am Mittelmeer. So einfach ist es aber nicht.

Und woher kommen Ihre Kunden?

Aus dem gesamten deutschsprachigen In- und Ausland. Einige sind schon in Spanien. Sie haben meist Fragen zur Doppelbesteuerung. Damit kennen sich auch viele spanische oder deutsche Steuerberater nicht aus.

Wie viele Anfragen bekommen Sie?

Noch nicht genug. Bis jetzt ist das eher ein Teilzeitjob – in Coronazeiten sowieso. Als die Nachricht aus Spanien kam, dass die Eissporthalle in Madrid als Leichenhalle genutzt wird, da war die Nachfrage schlagartig bei null. Man schätzt, dass um die 50000 Deutsche jedes Jahr nach Spanien auswandern. Das ist die Zahl der spanischen Behörden. Inwieweit die belastbar ist, da wage ich keine Prognose. Viele Menschen, die sich länger als 90 Tage in Spanien aufhalten – ab dem Zeitpunkt gelten sie als Resident –, melden sich nicht um. Es gibt also viele illegale Ausländer. Auch weil im Internet viele Falschinformationen kursieren – etwa: Man muss sich 183 Tage lang nicht in Spanien anmelden. Das ist natürlich barer Unsinn, aber das wird dankbar angenommen.

Was möchten Ihre Kunden wissen?

Das ist sehr individuell und kommt ganz auf die jeweilige Situation an. Deshalb beginne ich meist damit, dass ich nachhake: Warum will die Person überhaupt weg aus Deutschland? Und warum möchte sie gerade nach Spanien? Viele sind sich darüber gar nicht so im Klaren. Die Motivlage ist aber sehr wichtig, denn die hat natürlich damit zu tun, wie die Person ihren Aufenthalt auch rechtlich gestaltet und welche Gegend sie sich als ihren neuen Wohnort aussucht.

Wie unterstützen Sie diesen Prozess?

Sobald ich weiß, wie die persönliche Situation ist und wie die Lebenssituation in Spanien geplant ist, kann ich gezielt Rat geben: Was muss die Person hier schon regeln, damit es dort nahtlos weitergehen kann? Von mir bekommt sie die nötige Hilfestellung. Es geht vor allen Dingen darum, den rechtlichen Rahmen abzustecken – da spielen unter anderem das Arbeitsrecht, das Sozialversicherungsrecht, das Steuerrecht und natürlich das Ausländerrecht eine Rolle.

Manche Auswanderer kommen schon nach einem Jahr zurück. Weshalb?

Ich würde sagen, dass es bei mindestens der Hälfte der Menschen, die scheitern, daran liegt, dass die Motivlage nicht klar ist. Es gibt ein schönes chinesisches Sprichwort: „Wer nicht weiß, welchen Hafen er anlaufen soll, für den weht nie ein günstiger Wind.“ Und das ist so. Wenn Sie nicht wissen, was Sie suchen, dann nehmen Sie Ihre ganzen Probleme mit. Der Ehepartner ist auch im Ausland noch derselbe. Und Probleme mit Geld oder den Behörden gehen nicht weg, sondern verschlimmern sich vielleicht sogar, wenn keine ausreichenden Sprachkenntnisse da sind. Deshalb werfen viele schon nach einem Jahr das Handtuch.

Wie unterscheidet sich die spanische Kultur von der deutschen?

Die deutsche Kultur ist regelorientiert. Wenn es heißt: „So macht man das“, dann muss das auch so gemacht werden. Das hat auch Vorteile, es macht alles berechenbar. Wenn Sie etwas angehen, wissen Sie schon vorher, was am Ende dabei rauskommt. Die spanische Kultur ist lösungsorientiert. Eine typische Redewendung: „Wie muss ich lügen, damit die Versicherung zahlt?“ Heißt: Ich weiß, was ich will, und sorge dafür, dass es passt. Dieser Unterschied ist eklatant. Und damit kommen einige Deutsche nicht gut zurecht.

Wie wichtig ist die Sprache?

Die Sprache zu können, macht den feinen Unterschied zwischen auswandern und einwandern aus. Auswandern aus Deutschland ist einfach: Sie gehen aufs Einwohnermeldeamt, melden sich ab, packen ihre Koffer und dann sind sie ausgewandert. Aber damit sind Sie ja noch lange nicht im neuen Land angekommen. Ohne Sprachkenntnisse können Sie sich nicht integrieren. Natürlich dürfen Sie trotzdem Ihre eigene Identität bewahren. Ich muss kein Spanier werden, um dort leben zu können. Aber Sie müssen die Kultur verstehen und lernen, mit den Leuten zu interagieren. Meine Faustregel lautet: Das, was Sie von einem Ausländer erwarten, der sich hier niederlässt, das sollten Sie im Ausland auch selbst erbringen.

Warum sind Sie 1998 nach Teneriffa?

Das war ein ganzes Konglomerat aus Gründen, wie bei den meisten anderen auch. Ich war damals schon pensioniert als Beamter. Aber mit fünf Kindern bleibt von der Pension nicht viel übrig. Außerdem gab es gesundheitliche Gründe. Durch verschiedene Umstände sind wir auf Teneriffa aufmerksam geworden. Im Januar 1998 waren wir mal da und haben uns umgeschaut. Und im August ’98 sind wir da aufgeschlagen, mit Sack und Pack – fünf Kindern und einem Hund. Wir dachten, wir hätten uns ganz gut informiert, vor Ort aber schnell festgestellt: Wir haben keinen Dunst von nichts und die Sprachkenntnisse sind gleich null. Das war schon etwas abenteuerlich.

Wie alt waren Ihre Kinder damals?

Die Älteste war 15, die Jüngste zwei.

Und wie sah Ihr Leben auf Teneriffa damals aus? Waren Sie, wie man sich das so vorstellt, jeden Tag am Strand?

So viel Strand war da nicht, eher Tiere. Die ganze Familie ist besonders tierlieb. Wir hatten ein ganz normales Leben wie in Deutschland – ein bisschen wärmer halt. Ohne Heizung und ohne Winterklamotten. Aber es ist doch so: Wenn Sie neben dem Schwimmbad wohnen, gehen Sie weniger oft hin, als wenn Sie sich ins Auto setzen und fünf Kilometer fahren müssen (lacht). Es ist auch ein Unterschied, ob man da im Urlaub ist oder ob man da lebt und arbeitet.

Vermissen Sie Teneriffa?

Manchmal schon. Aber einiges habe ich mir mitgenommen, auch von der Mentalität.

Können Sie sich vorstellen, irgendwann einmal dorthin zurückzukehren?

Ja, natürlich. So ganz abgeschlossen ist das sicher nicht.

Das Gespräch führte Melanie Maier.

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„Die Sprache macht den feinen Unterschied“

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Arne Grätsch

Werdegang Arne Grätsch wurde 1961 in Frankfurt am Main geboren. Er absolvierte 1977 eine Ausbildung bei der Stadt Frankfurt am Main im mittleren nicht technischen Verwaltungsdienst. Von 1981 bis 1984 studierte er an der Verwaltungsfachhochschule Frankfurt. Ab 1988 war er als Beauftragter für den Haushalt bei der Bundesanstalt für Flugsicherung in Frankfurt tätig. 1990 wurde er aus gesundheitlichen Gründen in den Ruhestand versetzt.

Auswanderungsberatung 1998 wanderte Grätsch nach Teneriffa aus. Dort arbeitete er unter anderem als unabhängiger Finanzberater. Seit 2012 ist Grätsch freiberuflich als Einwanderungscoach tätig. 2014 kehrte er aus familiären Gründen nach Deutschland zurück. Seit 2016 ist er offiziell zertifizierter Auswanderungsberater für Spanien.

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Erstellt:
19. Februar 2022, 11:30 Uhr

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