Die Statthalter Ankaras sollen gehen

Bei Kommunalwahl in Türkei sollen zwangsverwaltete Kommunen gewählte Volksvertreter bekommen – Erdogan droht Einsetzung neuer Gesandter an

Diyarbakir In der Musikschule Ma in Diyarbakir herrscht Hochbetrieb. Einige Schüler üben Geige, andere spielen die Saz, eine langhalsige Laute. Doch Ma ist mehr als nur eine Schule für musikbegeisterte Kinder in Diyarbakir, der größten Stadt im türkischen Kurdengebiet. Die Schule ist so etwas wie ein Zeichen – ein Zeichen des Protests gegen die Stadtverwaltung.

Wie 92 andere Kommunen im Kurdengebiet steht Diyarbakir unter Zwangsverwaltung der Zentralregierung. Die gewählten Bürgermeister hier und anderswo wurden abgesetzt und durch Statthalter aus Ankara ersetzt. Mit den Kommunalwahlen an diesem Sonntag könnte die Zwangsverwaltung in Diyarbakir und den anderen kurdischen Städten aber wieder beendet werden.

Musiklehrer Weysi Aydin war früher an der städtischen Musikschule von Diyarbakir angestellt. Doch als diese mehr als zwei Jahre – wie alle kommunalen Einrichtungen – der Zwangsverwaltung unterstellt wurde, musste Aydin gehen. „Wir haben uns geweigert, mit der Zwangsverwaltung zusammenzuarbeiten, weil wir es nicht hinnehmen wollten, dass unsere gewählte Stadtverwaltung einfach abgesetzt wird“, sagt Aydin. Zusammen mit gleichgesinnten Kollegen gründete er die private Schule Ma.

Die Millionenstadt Diyarbakir wurde fast 20 Jahre lang von der Kurdenpartei regiert, die nach mehreren Parteiverboten und Umbenennungen heute HDP heißt. Das vorläufige Ende kam im Herbst 2016. Da setzte die Regierung die Co-Bürgermeister Gültan Kisanak und Firat Anli per Notstandsdekret ab. Anlass dafür waren der PKK-Aufstand in mehreren kurdischen Städten im Sommer 2015 und die dadurch ausgelösten Kämpfe zwischen PKK-Milizen und Polizei und Armee. Die Regierung habe die HDP-Bürgermeister verdächtigt, mit der PKK gemeinsame Sache zu machen, sagt der Politologe Hüseyin Alptekin. Die PKK habe etwa die „Kommunen zur Rekrutierung ihrer Kämpfer“ instrumentalisiert und Jugend- und Frauenzentren zu Propagandazentren gemacht.

Als Verwalter entsandte Ankara den Karrierebürokraten Cumali Atilla nach Diyarbakir. Viele kommunale Angestellte verweigerten der neuen Verwaltung die Mitarbeit, andere blieben. Denn an der kommunalen Verwaltungskompetenz der HDP hatte es durchaus auch Kritik gegeben.

Die Zwangsverwaltung habe ihre Vorteile, findet Kenan Okutucu, Leiter des Straßenbauamtes: „Seit der Zwangsverwalter im Amt ist, haben wir eine große Steigerung im Straßenbau zu verzeichnen.“ Die Straßen seien verbessert, begrünt und beleuchtet worden. Straßenbau, Müllabfuhr und Infrastrukturprojekte – das sind die Markenzeichen der türkischen Regierungspartei, seit Recep Tayyip Erdogan in den 90ern Bürgermeister von Istanbul war. Doch Diyarbakir ist nicht Istanbul. Die Bevölkerung erwartet von ihrer politischen Vertretung mehr als nur gut beleuchtete Straßen, sagt ein Markthändler. Jetzt wolle man „wieder einen Kandidaten aus dem Volk haben, aus der HDP“.

Wenn an diesem Sonntag in Diyarbakir wie in der ganzen Türkei neue Kommunalvertreter gewählt werden, bewirbt sich Zwangsverwalter Atilla als Kandidat der AKP um das Bürgermeisteramt. Er wirft den Kurdenpolitikern vor, Diyarbakir „ideologisch“ regiert zu haben. Dagegen hat die HDP den Wahltag zum Tag der Abrechnung mit der Zwangsverwaltung erklärt: „Wir werden dieses Land von der Schande der Zwangsverwaltung befreien“, sagte HDP-Chef Recai Temelli kürzlich.

An einem Sieg der HDP zweifelt niemand. Laut Umfrage können Selcuk Mizrakli und Hülya Alökmen Uyanik als Doppelspitze in Diyarbakir mit fast zwei Dritteln der Stimmen rechnen. Die Frage ist nur, wie lange sie im Amt bleiben. Erdogan hatte schon vor Monaten gedroht: „Wenn bei den Kommunalwahlen im März wieder Terrorhelfer gewählt werden sollten, werden wir nicht abwarten und zusehen, was geschieht. Wir werden sofort – sofort! – handeln und wieder Zwangsverwalter einsetzen.“

Alptekin erwartet, dass die Kommunen an die kurze Leine gelegt werden. „Auch wenn die HDP diese Kommunen zurückgewinnt, wird es mehr Überwachung und Kontrolle geben.“ Die Wahl wird dem Kurdengebiet vielleicht wieder gewählte Kommunalpolitiker bringen – aber wohl keinen Frieden.

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Erstellt:
27. März 2019, 03:04 Uhr

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