Grünen-Chefin Franziska Brantner
„Die streiten sich ja jetzt schon mehr als die Ampel“
Franziska Brantner spricht über Schwarz-Rot im Bund, die Chancen von Cem Özdemir in Baden-Württemberg und ob es eine Altersbegrenzung für Social Media geben sollte.

© Katharina Kausche/dpa
Grünen-Chefin Franziska Brantner sagt, die demokratischen Parteien müssten untereinander gesprächsfähig bleiben.
Von Tobias Peter
Grünen-Chefin Franziska Brantner stellt Schwarz-Rot ein schlechtes Zeugnis aus und wirft Union als auch SPD vor, sie erzählten in der Sozialstaatsdebatte Unsinn.
Frau Brantner, war das von Robert Habeck ein Abschied mit Stil?
Robert Habeck hat sich entschieden, etwas Neues in seinem Leben anzufangen. In ihm hatte sich offensichtlich etwas angestaut, was er unbedingt noch loswerden musste. Wenn jetzt ausgerechnet jemand wie Markus Söder, der selbst alles andere als zimperlich ist, sagt, er fühle sich unfair behandelt, finde ich das ziemlich bizarr.
Habeck hat Julia Klöckners Amtsführung als Bundestagspräsidentin scharf kritisiert. Er wirft ihr vor, „mutwillig oder aus Dämlichkeit zu handeln“. Hätten Sie sich so geäußert?
Unser Anspruch ist, in den Debatten, die immer stärker polarisierend geführt werden, mit unseren Positionen durchzudringen, ohne selbst zur Spaltung beizutragen. Wir sehen als Opposition unsere Aufgabe darin, die Regierung konstruktiv in die Pflicht zu nehmen, die Herausforderung des Landes endlich anzugehen. Aber vielleicht hätten wir als Grüne trotzdem auch mal früher und härter gegen die absurden Anwürfe von Markus Söder und Co. vorgehen müssen.
Spitzen-Grüne wie Cem Özdemir warnten zuletzt vor einem Linksruck. Wohin steuern die Grünen denn im politischen Spektrum?
Wir hatten nach dem Ende der Ampel eine Debatte darüber, ob wir uns jetzt Richtung CDU oder Richtung Linkspartei anpassen. Das Ergebnis ist eindeutig. Das Ziel ist und bleibt: starke Grüne.
Was meinen Sie damit?
Wir sind die Kraft, die für jene steht, die anpacken. Die sagen, ich will auch in Zukunft in einer Demokratie leben. Für die Zusammenhalt selbstverständlich ist. Die die weltweite Klimakrise nicht verharmlosen. Die sagen, wir gestalten die Zukunft und wir arbeiten jeden Tag daran, dass unser Wohlstand krisenfest und nachhaltig wird. Diesen Menschen wollen wir es leichter machen, ihre Kraft entfalten zu können für unser Land.
Kann man mit Klimaschutz noch Wahlen gewinnen?
Klar. Schließlich ist die Klimakrise eine Realität, die früher oder später alle einholt. Und China wäre froh, wenn sie nur mit sauberen Technologien Geld verdienen. Für uns Grüne ist die Herausforderung aufzuzeigen, was wir aus Erfolgen, aber auch aus Fehlern gelernt haben und wie Klimaschutz, also der Schutz unserer Lebensgrundlagen, zum Wettbewerbsvorteil und Wohlstandsgarant wird. Unser Ziel ist ganz klar: 2029 wollen wir die Kraft sein, die in der Regierung für Klimaschutz steht und die Wirtschaft nach vorne bringt.
In Baden-Württemberg ist das Mantra der Grünen seit Jahren die Verbindung von Ökologie und Ökonomie. Dort zeichnet sich aber bei der Landtagswahl 2026 bisher kein Wahlsieg ab.
Unser Spitzenkandidat Cem Özdemir ist bekannt und beliebt. Er und die Grünen insgesamt machen den Menschen das Angebot, Klimaschutz und Innovationskraft zusammenzubringen. Wir haben in Baden-Württemberg zwei große Industriezweige. Das eine ist die Autobranche, das andere die Gesundheitswirtschaft. Wir werden in der Regierung dafür sorgen, dass diese Industrien eine gute Zukunft in Baden-Württemberg haben. Dafür werden wir die Rahmenbedingungen weiter verbessern, um Neues leichter und schneller zu ermöglichen. Die Autoindustrie hat sich allerdings auch selbst durch eigene Versäumnisse geschadet. Das ist nicht leicht zu heilen. Wir fördern jedenfalls Innovation als Lebensquelle für unseren Wohlstand. Und wollen mehr Bildungsgerechtigkeit und Möglichkeiten zum sozialen Aufstieg herstellen.
War es klug, dass Cem Özdemir zuletzt ein Social-Media-Verbot für Kinder und Jugendliche unter 16 Jahren gefordert hat?
Ich befürworte eine Altersgrenze von 16 Jahren für Social Media ausdrücklich. Jede und jeder, der Kinder im Teenageralter oder auch jünger hat, weiß, da ist etwas außer Kontrolle geraten. Diese unsozialen Medien machen unsere Kinder süchtig. Davor müssen wir sie schützen. Jetzt muss es darum gehen, kluge und umsetzbare Wege zu finden, eine Altersgrenze für Social Media nicht nur zu beschließen, sondern auch in der Praxis umzusetzen. Oder, vielleicht noch besser, die Anbieter zu zwingen, nur suchtfreie Algorithmen einzusetzen. Klar ist: Es braucht endlich eine Durchsetzung unserer Regeln im digitalen Raum.
In Baden-Württemberg liefe eine Regierungsbeteiligung für die Grünen nach aktuellem Stand auf ein neues Bündnis mit der CDU hinaus. Wäre das im Bund noch vorstellbar?
Die Frage ist nicht, was ich mir vorstellen kann, sondern, wofür wir Grünen stehen und was die Wählerinnen und Wähler wollen. Jeder anständige CDUler weiß, dass am Ende demokratische Mehrheiten nur dann entstehen können, wenn die Demokraten im Gespräch bleiben.
Die Bundesregierung hat ihre ersten 100 Tage inzwischen rum: Welche Note würden Sie ihr geben?
Das Tragische ist, ich würde mir ja wünschen, dass die Regierung von Friedrich Merz und Lars Klingbeil mal etwas hinbekäme. Das Land hätte es verdient. Aber sie sind wirklich sehr schlecht. Die streiten sich ja jetzt schon mehr als die Ampel in ihrer Schlussphase.
Meinen Sie das ernst? Die Ampel ist jämmerlich zerbrochen.
Wenn wir die Milliarden gehabt hätten, die CDU, CSU und SPD jetzt haben, hätten wir uns keinen Tag gestritten. Das Verrückte ist doch, dass Schwarz-Rot jetzt mit unserer Hilfe auf einem riesigen Geldberg sitzt. Und Merz und Klingbeil sind nicht in der Lage, Verlässlichkeit und Sicherheit in Politik, Bevölkerung und nicht zuletzt in die Unternehmen zu bringen. Stattdessen verballern sie das Geld für unsinnige Wahlgeschenke. Damit versündigen sie sich an den künftigen Generationen.
Was macht die neue Bundesregierung besser als die Ampel?
In der Außenpolitik setzt Merz zumindest in der Außenwahrnehmung gute Akzente. Als große Freundin Frankreichs bin ich froh, wie er in Toulon die deutsch-französische Freundschaft gefeiert hat. Ehrlicherweise gilt aber auch hier: Es braucht auch handfeste Ergebnisse. In der deutsch-französischen Rüstungskooperation hakt es weiter gewaltig. Stattdessen wird in den USA eingekauft. Bislang wird Merz in der Außenpolitik seinen eigenen Ansprüchen nicht gerecht. Er redet gut. Liefert aber bisher nicht.
Friedrich Merz hat gesagt: So, wie der Sozialstaat ist, kann Deutschland ihn sich nicht mehr leisten. Hat er Recht – oder ist das, wie SPD-Chefin Bärbel Bas sagt, „Bullshit“?
Was Union und SPD in der Sozialstaatsdebatte abliefern, ist doppelt falsch. Merz tut immer so, als reiche es, ein bisschen beim Bürgergeld einzusparen – und dann sei jedes Problem gelöst. Das ist ein unsinniges Treten nach unten. Das Bürgergeld macht lediglich einen kleinen Teil der Sozialstaatsaufgaben aus. Die Höhe des Bürgergeldes ist vom Verfassungsgericht hart nach unten begrenzt. Es gibt zwar Fälle von systematischem Missbrauch, wo auch Korrekturbedarf besteht. Aber wir müssen endlich die großen Probleme der Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung lösen. Da kommt nichts. Dass sogar die SPD jetzt so tut, als hätte die Sozialversicherung nicht massiv mit dem demografischen Wandel zu kämpfen, und als seien die steigenden Lohnnebenkosten kein Problem für die Wirtschaft, ist ziemlich fahrlässig.
Was ist der wichtigste Punkt, den sie selbst hier einbringen können?
Da gibt es nicht eine Antwort für alles. Der Sozialstaat muss effizienter und besser aufeinander abgestimmt werden – auch mit einem massiven Schub in der Digitalisierung. Im Gesundheitsbereich müssen die Ausgaben für Medikamente runter und die Klinikreform muss umgesetzt werden. Da ist Ministerin Nina Warken gefragt. Ich höre da wenig bis nichts von ihr. In der Rente ist es dringend geboten, mit der Einführung eines Bürgerfonds eine Kapitalkomponente zu schaffen. Nur wenn die Jungen auch im Alter genug Geld haben, haben wir Generationengerechtigkeit. Wir brauchen neue Anreize für die Menschen, länger zu arbeiten. Es muss geprüft werden, ob mit der Rente ab 63 ihre eigentlichen Ziele noch erreicht werden.
Chefin aus Baden-Württemberg
Partei Franziska Brantner, Jahrgang 1979, ist Bundesvorsitzende der Grünen. Brantner, eine Vertreterin des Realo-Flügels, führt die Partei seit Herbst 2024 zusammen mit dem Parteilinken Felix Banaszak. Sie stammt aus Lörrach und studierte Politikwissenschaften in Paris und New York. Promoviert wurde sie an der Universität Mannheim. Von 2009 bis 2013 saß sie für die Grünen im Europaparlament. Danach zog sie in den Bundestag ein – Wahlkreis: Heidelberg.
Regierung In der Ampel-Regierung war sie Parlamentarische Staatssekretärin im Wirtschaftsministerium von Robert Habeck.