Die Ungeahnte Ästhetik der Vergänglichkeit

Fotograf Kurt Joachim Kase hat die Schönheit im Verfall zum Gegenstand seiner Arbeit gemacht  –  Ausstellung im Helferhaus ist eröffnet

Vergehendes erweckt Kurt Joachim Kase in seinen Fotografien zu neuem Leben. Oft lässt sich auf den abstrakt wirkenden Bildern kaum erahnen, dass sich dahinter Gealtertes, Zerstörtes oder achtlos Weggeworfenes verbirgt. In der Galerie im Helferhaus wurde gestern die Fotoausstellung „Za – Ästhetik des Verfalls“ eröffnet.

Fotograf Kurt Joachim Kase hat sich Objekten gewidmet, die dem Verfall preisgegeben wurden. Er stellt ihre Schönheit in den Mittelpunkt der Ausstellung. Foto: P. Wolf

Fotograf Kurt Joachim Kase hat sich Objekten gewidmet, die dem Verfall preisgegeben wurden. Er stellt ihre Schönheit in den Mittelpunkt der Ausstellung. Foto: P. Wolf

Von Claudia Ackermann

BACKNANG. „Za“ – der letzte Buchstabe des Alphabets wird in dem Wort, das zunächst keine erkennbare Bedeutung hat, groß geschrieben. Das kleine „a“ - und damit der Anfang – tritt dahinter zurück. Das war der Grundgedanke des Fotografen Kurt Joachim Kase bei der Namensgebung der Ausstellung. Auch bei seinen Aufnahmen steht nicht der Beginn im Vordergrund, sondern das Ende der Objekte, das für den aufmerksamen Betrachter ungeahnte Ästhetik bergen kann. Für Kase gilt es, die Schönheit des Verfalls zu entdecken und auf seinen Fotografien sichtbar zu machen.

Eröffnet wurde die Ausstellung im Foyer des Helferhauses am Sonntagmittag. Eine Einführung hielt Ernst Hövelborn. „Die entscheidende Kehre vom bloßen Abbilden zum Bild mit rein ästhetischer Qualität liegt darin, dass Kurt Joachim Kase das, was er gesehen und mit seinem `Kameraauge´ aufgenommen hat, nun im Rahmen einer geistvoll und ästhetisch aufschlussreichen Kontrastierung das Ursprungsprodukt in ein neues Licht rückt“, führte der Vorsitzende des Heimat- und Kunstvereins aus.

Auf zwei Etagen sind die 77 Fotografien ausgestellt und in den Räumen thematisch gegliedert. Im dritten Obergeschoss beginnt der Rundgang mit abstrakt wirkenden Bildern, die jedoch aus der Wirklichkeit gewonnen sind. Dabei spielt Kase mit Schärfentiefe, Farben, Licht- und Wasserspiegelungen. In verschiedenen Pariser Museen hat er die Grundmotive für diese Arbeiten gefunden. Digital bearbeitet sind die Aufnahmen nicht. Das einzige Bild, das mit dem Computer bearbeitet wurde, ist ein Selbstportrait des Fotografen mit vorgehaltener Kamera.

In Stuttgart am Landtag hat Kase fotografiert, als das Gebäude renoviert wurde. Doch wie immer in der Ausstellung geht es ihm nicht um Erneuerung, sondern um Randerscheinungen, die den Verfall zeigen. Schüler hatten die Spanplatten eines Bauzauns bemalt. Nach Beendigung der Bauarbeiten wurde dieser niedergerissen und mit ihm die farbenfrohen Pinselstriche der Kinder. Die Witterung tat ein Übriges, die Malereien zu zerstören. Durch Detailaufnahmen, etwa von verlaufener Farbe, hat Kase aus dem Prozess des Verfalls etwas Neues geschaffen. Die überdimensionale Vergrößerung erzeugt erstaunliche Effekte.

Detailaufnahmen zeigen ungewöhnliche Formen

Auch im Technikmuseum in Seifertshofen hat sich der Fotograf auf die Suche nach Motiven gemacht. Farbe blättert von einer alten Kutsche ab. Nicht das historische Gefährt ist das Motiv, sondern die Spuren der Zersetzung. Bei alten Tapeten, deren Farbe und Struktur sich durch Feuchtigkeit verändert haben, ist kaum noch erkennbar, um was es sich früher einmal im Neuzustand gehandelt hat. Auf die Suche nach Motiven begibt sich der Fotograf nicht nur in Museen. Sie können dem aufmerksamen Auge täglich begegnen. Wie am Stuttgarter Nordbahnhof, wo Plakate von einer Litfaßsäule auf regennassen Boden gefallen waren. Aus Teilen eines zerstörten Plakats, an dem Stellen von Gewebe sichtbar werden, hat der Fotograf ein neues, zweiteiliges Bild geschaffen.

Der Umgang mit Fotoapparat und Kamera war schon immer eine Leidenschaft des gebürtigen Brandenburgers. Einem Jugendtraum folgend bewarb er sich zunächst bei der Münchner Filmakademie. Doch auf Drängen der Mutter absolvierte er stattdessen ein Studium der Wirtschafts- und Sozialwissenschaften und wurde diplomierter Kaufmann und promovierter Volkswirt. In seiner Wahlheimat Backnang wirkte Kurt Joachim Kase zehn Jahre lang als Vorstandsvorsitzender der Spinnerei Adolff. Seitdem er im Ruhestand ist, kann er sich noch intensiver dem Experimentieren mit Fotografie widmen.

Im zweiten Obergeschoss des Helferhauses sind realistischer wirkende Abbildungen ausgestellt, die vor allem durch die Perspektive und Auswahl von Details an Ästhetik gewinnen. Prächtige Farbspiele können sich am Rand eines verwelkenden Blattes entwickeln, die erst in starker Vergrößerung zur Geltung kommen. Die Backnanger Industriegeschichte ist auch ein Thema. Motive fand Kase in den einstigen Lederfabriken. Braun angestrichene Fensterscheiben sind zum Teil zerbrochen und geben den Blick auf die Natur frei. Detailaufnahmen von verrosteten Maschinenteilen, wie Zahnräder, lenken das Augenmerk auf interessante Formen. Im Weissacher Rombold-Areal oder beim Abriss des Backnanger Kreiskrankenhauses fand er außergewöhnliche Blickwinkel auf den Verfall. Die vielfältigen Einsatzmöglichkeiten der Kameratechnik sind wichtige Hilfsmittel für den Experimentalfotografen. Doch der Ausgangspunkt, Schönheit selbst im Prozess des Verfalls zu entdecken, ist für Kurt Joachim Kase immer: „Die Kunst des Sehens“.

Die Ausstellung in der Galerie im Helfer- haus, Petrus-Jacobi-Weg 5, kann noch bis zum 10. Februar besichtigt werden. Öffnungszeiten sind: Dienstag bis Freitag von 17 bis 19 Uhr und Samstag und Sonntag von 14 bis 19 Uhr.

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Erstellt:
21. Januar 2019, 10:06 Uhr

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