„Die Wertschätzung ist nicht mehr da“
Besitzer von Streuobstwiesen haben viel Arbeit und obendrein Ärger – Ulrich Meister aus Däfern kämpft an vielen Fronten
Streuobstwiesen prägen die Landschaft in der Backnanger Bucht. Die herrliche Blütenpracht im Frühjahr erfreut viele, und wenn im Spätsommer und Herbst die Früchte reif werden, haben Apfelkuchen und Apfelsaft Hochkonjunktur. Eine Freude? Für die Grundstücksbesitzer nicht unbedingt. „Das funktioniert nur als generationenübergreifendes Projekt“, sagt Ulrich Meister aus Däfern.

© Pressefotografie Alexander Beche
Akteure im Streuobstbau: Ulrich und Kerstin Meister mit ihren Kindern besichtigen zusammen mit Mostviertel-Geschäftsführerin Claudia Schimke (links) Anlagen bei Däfern. Fotos: A. Becher
Von Armin Fechter
BACKNANG/AUENWALD. „Unsere Heimat ist geprägt von Streuobstwiesen. Dieses Kulturerbe zu erhalten, ist eine Aufgabe, für die es sich lohnt, aktiv zu werden.“ Der Verein Schwäbisches Mostviertel hat sich hohe Ziele gesetzt: Es geht um nicht weniger als das Landschaftsbild – in Verbindung mit allen ökologischen Aspekten, für die Streuobstwiesen stehen. Zudem können auf solchen Flächen auch alte Obstsorten wie Brettacher, Jakob Fischer oder Boskop erhalten werden. Noch vor wenigen Jahrzehnten wurden sie hoch geschätzt, ehe Neuzüchtungen wie Jonagold und Elstar sie aus den Obstschalen verdrängt haben. Ohne die Bestände auf den Streuobstwiesen wären solche Sorten vom Aussterben bedroht.
Bis heute liefern die Streuobstwiesen den Grundstock für die heimische Apfelsaftproduktion: Vom Spätsommer bis weit hinein in den Herbst liefern Landwirte und Privatleute ihre Ernte bei Annahmestellen ab – und wer seine Anlagen per Biozertifizierung aufwerten lässt, erzielt dabei sogar höhere Preise.
Doch die Streuobstwiesen sind in Gefahr: Nicht ohne Grund gibt es immer neue Initiativen und Appelle, und nicht ohne Grund kann sich die Mistel, die ihrem Wirtsbaum Wasser und Nährstoffe entzieht, immer weiter ausbreiten. Es hapert bei der Pflege, bei dem also, was viel Mühe bereitet und Zeit und Kraft kostet – und was ältere Stücklesbesitzer vielerorts nicht mehr leisten können.
Aktionen sollen Interesse fördern
und das Bewusstsein schärfen
Claudia Schimke, Geschäftsführerin des Mostviertel-Vereins, kennt die Probleme. Nicht nur jammern, etwas tun, ist ihre Devise. Zahlreiche Aktionen wurden initiiert und Informationsveranstaltungen abgehalten, beim Backnanger Gänsemarkt ist das Mostviertel in Erscheinung getreten, zusammen mit dem ehemaligen Sternekoch Sascha Wolter wurde das Butzele, ein frischer Kräuter-Apfelcocktail, als das erste Mostviertelprodukt kreiert, und unter dem Motto „Feinstes von Baum&Wiese“ wurde mit sechs teilnehmenden Gaststätten von Aspach bis Althütte eine Gastro-Aktion aus der Taufe gehoben. All das soll dazu beitragen, das Interesse an Streuobstwiesen zu fördern, Besitzer zu motivieren und die Bevölkerung zu sensibilisieren.
Dennoch tun sich die Bewirtschafter schwer, wie Ulrich Meister nur zu gut weiß. Er ist ein glühender Freund der Streuobstwiesen und hat selbst etliche Hektar zu versorgen. Sein Faible hat sich von klein auf entwickelt: Er kommt aus der Landwirtschaft, ist auf einem Aussiedlerhof in Oberbrüden aufgewachsen und hat schon als Junge bei der Arbeit geholfen. Auch wenn er es damals nicht gar so gern gemacht hat, sagt er rückblickend: „Eine Bindung war da.“ Auch seine Frau Kerstin ist in einer Familie aufgewachsen, die in der Landwirtschaft zu Hause war. So bedeutete es für beide keine große Umstellung, als sie sich – neben dem Beruf her – vor gut 15 Jahren zusammen in Däfern in das Unternehmen Streuobstwiesen stürzten. Gut vorbereitet, ausgestattet mit einem Konzept, das auch Fragen der Amortisation beantwortete, stellten sie sich den kommenden Unwägbarkeiten und Mühen.
Seitdem haben die Meisters – auch im Austausch mit anderen engagierten Betreibern – viele Erfahrungen gesammelt. Und beileibe nicht nur gute. Ein häufig wiederkehrendes Moment ist mangelnde Wertschätzung: „Die Wertschätzung gegenüber denjenigen, die die Landschaft erhalten, ist in vielen Köpfen nicht mehr da“, sagt Ulrich Meister. Oftmals fehle beispielsweise schon das Verständnis dafür, dass man noch etwas nebenher macht. Wenn etwa jemand der Feuerwehr angehört, dann wurde ihm früher bei der Bewerbung in einer Firma Teamfähigkeit zugutegehalten. Heute werde das aber eher negativ ausgelegt: Wie oft ist der Mann weg? Mangelnde Wertschätzung aber schrecke neu Interessierte ab.
Jüngere, die ein Stückle suchen, haben nach Meisters Erfahrungen oft auch ein Problem: Eine Hütte sollte schon dabei sein, heißt es dann – und die Leute wollen im Grunde keine Streuobstwiese übernehmen, die viel Arbeit mit sich bringt, sondern ein Wochenendgrundstück, auf dem sie ihre Freizeit genießen und auch mal Party machen können.
Und wer sich doch auf eine richtige Streuobstwiese einlässt, handelt dann ob einer gewissen Unerfahrenheit nicht selten ganz anders, als es angezeigt wäre. Beispiel: Es wird zu oft gemäht – obendrein auch noch mit dem Rasenmäher, um eine Art englischen Rasen hinzukriegen. Da blüht dann nichts mehr. „Ich bilde einen Gegenpol“, sagt Meister auch mit Blick auf die Haupterwerbslandwirtschaft: Seine Wiesen lasse er lang stehen, nicht zuletzt wegen der Rehe und Kitze, die dort Deckung und Schutz finden.
Ausgesprochen ärgerlich findet Meister Obstdiebstähle. Und damit meint er nicht die Gelegenheitspflücker, die im Vorbeigehen mal einen einzelnen Apfel vom Baum holen. Nein: Ganze Äste würden heruntergerissen, um ans Obst heranzukommen, und bisweilen würden gar ganze Kirschbäume leer geräumt. Auch Kerstin Meister kann einiges über unverfrorene Zeitgenossen berichten, die nicht einmal vor einem Gartenzaun haltmachen oder auch auf der Wiese ganz unverfroren kistenweise Quitten einladen.
Geklaut wird auch,
wenn ein Kässle dasteht
Ob’s vielleicht hilft, einen kleinen Stand mit Kässle herzurichten, wo Passanten gegen Bezahlung einen Beutel Äpfel oder Birnen mitnehmen können? Meister winkt ab. Geklaut wird, wie er erlebt hat, trotzdem, und oft wird auch weniger ins Büchsle geworfen, als es kosten würde, weil Leute nicht bereit sind, den angemessenen Preis zu zahlen. Andererseits gibt es auch Stammkunden, die klipp und klar sagen: Dieses Produkt will ich genau dort kaufen. Vor allem beim Christbaumverkauf, den die Meisters als zusätzliches Standbein betreiben und für den schon auch mal der Jahresurlaub draufgeht, gibt es treue Abnehmer, die Jahr für Jahr kommen.
Schwierig sei es aber auch, die verschiedenen Streuobstwiesenbesitzer unter einen Hut zu bekommen. In Steinbach, so verkündet Claudia Schimke, sind die Flächen zertifiziert und werden dank einer verbesserten Ertragslage intensiver gepflegt, sodass kaum Misteln zu finden sind. Andernorts aber sei es bislang nicht gelungen, per Sammelzertifizierung voranzukommen und so die Bewirtschaftung attraktiver zu machen.
Marktplatz mit Börse
wird kaum angenommen
Schimke weist auch auf den Marktplatz hin, den der Verein auf seiner Internetseite anbietet. Die Mostviertel-Börse mit ihrer Suche-biete-Funktion wird jedoch kaum angenommen, klagt sie – dabei seien das doch Möglichkeiten, die man nutzen könnte oder sogar sollte.
Die Überlegungen gehen deshalb immer mehr dahin, Bewusstseinsbildung zu betreiben. Kinder sollen schon früh mit dem Thema Streuobstwiesen in Kontakt kommen, damit sie sich später als Erwachsene darauf zurückbesinnen können. Diesem Zweck dient die Ausbildung von Streuobstpädagogen, die der Verein in Angriff genommen hat. Der erste Kurs hat in diesem Frühjahr begonnen und schließt im Herbst ab. Die Absolventen sollen dann für Kindergärten und Schulen, aber auch für andere Gruppen tätig werden. In die gleiche Richtung gehen die Aktionen von Obst- und Gartenbauvereinen oder Gartenfreunden, die mit Kindern Bäume pflanzen, Pflegearbeiten machen und am Ende auch Obst ernten, Saft pressen und Obstkuchen backen. „Es kommt viel in Gang“, erzählt auch Kerstin Meister. Für ein Projekt in der Schule hat sie einmal zusammen mit ihrer Tochter über 50 Apfelsorten zusammengetragen, die dann in einer Ausstellung präsentiert wurden.
Bei der riesigen Sortenvielfalt, die von Kirschen über Äpfel, Birnen und Nüsse bis zu Maulbeeren und Holunder reicht, beginnt für die Meisters die Erntezeit im August – wegen des Klimawandels tendenziell immer früher – und dauert bis in den November hinein. Gepflückt und aufgelesen wird von Hand, „das ist die erste Qualitätskontrolle“. Im vergangenen Jahr hat Ulrich Meister erstmals eine Maschine eingesetzt. Vom Ergebnis ist er aber nicht ganz überzeugt: „Da muss man noch mal durchsortieren.“
Verein Schwäbisches Mostviertel Info Der Verein Schwäbisches Mostviertel wurde im Juli 2015 in Weissach im Tal gegründet. Zu den Mitgliedern gehören die Stadt Backnang, die Gemeinden Allmersbach im Tal, Aspach, Auenwald und Weissach im Tal sowie Vereine, Initiativen, Bildungseinrichtungen und Betriebe aus den Bereichen Obst- und Gartenbau, Naturschutz, Tourismus, Dienstleistung und Produktion. Geschäftsführerin Claudia Schimke ist unter 07191/894-259, E-Mail claudia.schimke@backnang.de, erreichbar. Bei der Stadt Backnang ist sie auch für den Wanderweg ’sÄpple und für das Thema wohnmobilfreundliche Region Stuttgart zuständig. Für Einzelpersonen, landwirtschaftliche Betriebe, gemeinnützige Vereine und Verbände kostet die Mitgliedschaft 30 Euro. Weitere Informationen gibt es auf www.schwaebisches-mostviertel.de.
© Pressefotografie Alexander Beche
Da wachsen die Früchte fast in den Himmel: Der Weinäpfele-Baum verspricht eine üppige Ernte.