Die wöchentliche Singstunde fehlt allen

Gesangverein Sängerlust Oberbrüden hat sich 2017 aufgelöst – Ehemalige Chorsänger treffen sich monatlich zum Stammtisch

„Wochenend und Sonnenschein“ haben sie geschmettert, „Ännchen von Tharau“ und „Lili Marleen“. Volkslieder, Kirchenlieder und deutsche Schlager aus vergangenen Jahrzehnten bildeten das Repertoire des Gesangvereins Sängerlust Oberbrüden. 2017 hat sich der älteste Verein in der Gemeinde, der 1891 gegründet wurde, aufgelöst.

Sie singen zwar nicht mehr in Oberbrüden im Verein, treffen sich aber doch noch regelmäßig: Mitglieder des aufgelösten Gesangvereins. Foto: A. Becher

© Pressefotografie Alexander Beche

Sie singen zwar nicht mehr in Oberbrüden im Verein, treffen sich aber doch noch regelmäßig: Mitglieder des aufgelösten Gesangvereins. Foto: A. Becher

Von Annette Hohnerlein

AUENWALD. „Das hat wehgetan“, sagt Margit Rentschler, „der Verein war für mich ein Stück Heimatgeschichte“. So wie der Kassiererin geht es auch den anderen ehemaligen Sängern, die sich einmal im Monat dienstags in der Vereinsgaststätte des TSV Oberbrüden zum Stammtisch treffen. Für sie war die wöchentliche Singstunde, wie sie ihre Chorprobe nannten, ein lieb gewonnenes Ritual über Jahre und Jahrzehnte hinweg. Ehrungen für 50 oder 60 Jahre im Verein waren keine Seltenheit, ein Sänger kam sogar auf 70 Jahre.

Auch Dirigent Günter Klein kann auf stattliche 53 Jahre bei der Sängerlust Oberbrüden zurückblicken, von 1961 bis 2014 stand er am Dirigentenpult. Letzter Vorsitzender war Norbert Rentschler, der den Verein von 2011 bis 2017 leitete. „Da war der Karren schon verfahren“, stellt er fest, „schade, dass das 125-jährige Jubiläum 2016 nicht gefeiert werden konnte. Aber damals war kein Chorbetrieb mehr möglich.“

Eine durchgehende Chronik des alteingesessenen Vereins gibt es nicht, aus den ersten Jahrzehnten sind keinerlei Aufzeichnungen erhalten. So bleibt die Geschichte der Sängerlust Oberbrüden nur in den persönlichen Erinnerungen von langjährigen Chorsängern lebendig.

Einige von ihnen erinnern sich noch, wie der Verein 1950 eine alte Wehrmachtsbaracke in Neckarsulm erwarb, zerlegte, mit dem Laster nach Oberbrüden brachte und dort wieder aufbaute - die Geburtsstunde der Sängerhalle, die bis heute steht und seit 1991 auch die Gruschtelkammer beherbergt.

Bis in die 1980er-Jahre gab es ein reges Vereinsleben

Bis in die 1980er-Jahre gab es ein reges Vereinsleben: Der Chor sang bei der vereinseigenen Weihnachtsfeier, bei Erntedankgottesdiensten, Hochzeiten und Beerdigungen. Viele Jahre lang gab es auch eine eigene Theatergruppe, die mit großem Erfolg auftrat. Margit Rentschler erinnert sich: „Das war ein Highlight in Oberbrüden und über die Gemeindegrenzen hinaus. Die Halle war nicht selten brechend voll.“

Darüber hinaus übernahm die Sängerlust Oberbrüden über Jahre hinweg die Bewirtung bei verschiedenen Veranstaltungen in der Gemeinde, zum Beispiel beim Zwiebelbergfest oder den Vorstellungen der Gruschtelkammer. Lore Schmidt, die dem Verein 60 Jahre lang die Treue hielt, erinnert sich, wie sie anfangs den Wurst- und Kartoffelsalat zu Hause fertig gemacht und in die Sängerhalle gebracht hat.

Auch der gesellige Aspekt wurde groß geschrieben. Nach der Singstunde war es Tradition, noch zum Kartenspielen und einem Viertele zusammenzusitzen. Jedes Jahr gab es gemeinsame Unternehmungen. Ulrich Wruck erzählt von Ausflügen an den Brombachsee, nach München, Berchtesgaden und nach Speyer, wo der Chor im Dom spontan zwei Lieder anstimmte. 1974 wurde eine Langspielplatte aufgenommen, erzählt Notenwartin Bärbel Schick, zusammen mit anderen Chören, Musikvereinen und Posaunenchören aus der Umgebung. Darauf wurde auch das Auenwaldlied verewigt, das Dirigent Günter Klein speziell für diesen Anlass komponiert hatte.

Damals waren noch rund 35 Sängerinnen und Sänger aktiv, erinnert sich Volker Pietsch. „Aber ab den 1980er-Jahren ging es ständig bergab.“ In der Folgezeit versuchte der Verein, dem Mitgliederschwund entgegenzuwirken. Jährlich am Tag des Liedes wurde an verschiedenen Stellen im Ort gesungen, um so neue Mitglieder zu werben – vergeblich. „Volkstümliches Liedgut war nicht mehr gefragt“, bedauert Margit Rentschler.

Englischsprachige Lieder kamen bei den Sängern nicht gut an

Günter Klein versuchte, das Repertoire zu modernisieren. Aber die vorgeschlagenen englischsprachigen Lieder kamen bei den Sängern nicht gut an, erzählt der Dirigent, „die haben wir nicht einstudiert, es gab zu viel Widerstand.“ Der selbstständige Musiklehrer, der zeitweise auch Chöre in Unterbrüden und Oppenweiler leitete, schwang den Taktstock bis zum bitteren Ende seines Chores. 2013 fand der letzte größere Auftritt bei der Fahnenweihe des Liederkranzes Steinbach statt. Danach waren aufgrund des fortgeschrittenen Alters der meisten Sänger keine Konzerte mehr möglich.

2014 versuchte man vergeblich, sich mit einem anderen Chor zusammenzutun. Im Jahr darauf fand zum letzten Mal eine Singstunde statt. 2017 fasste man den Beschluss, den Verein aufzulösen. Nach der Streichung aus dem Vereinsregister wurde das Vermögen an zwei andere Chöre übergeben.

„Wir haben uns die Entscheidung nicht leicht gemacht“, sagt Margit Rentschler. Damit die sozialen Kontakte nicht ganz verkümmern, beschlossen die ehemaligen Sänger, sich wenigstens noch einmal im Monat zu treffen. Zunächst kam man montags im „Adler“ zusammen, nach dessen Schließung treffen sich seitdem zehn bis zwölf der verbliebenen Mitglieder dienstags in der Vereinsgaststätte des TSV Oberbrüden. „Das ist kein Ersatz für das Singen“, betont Margit Rentschler, „aber man will sich nicht ganz aus den Augen verlieren“.

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Erstellt:
26. April 2019, 06:00 Uhr

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