Australien

Die wundersame Rettung des angefahrenen Koalas Wazza

Wie ein Beutelsäuger vor eine Stoßstange knallte, sich zehn Kilometer lang daran festklammerte und nun von einer ausgewanderten Schweizerin wieder aufgepäppelt wird.

Egal ob Baum oder Stoßstange – Wazza klammert sich gerne an Dinge.

© Stephan Brünjes

Egal ob Baum oder Stoßstange – Wazza klammert sich gerne an Dinge.

Von Stephan Brünjes

Warren hatte beim Autofahren zwar dieses dumpfe Geräusch gehört, dachte aber an einen aufgeprallten Zweig oder Reifenteile. Der Mann hielt erst zehn Kilometer weiter – und traute seinen Augen nicht: Vorne am Kühlergrill seines Wagens klammerte sich ein Koala fest und schaute ihn ängstlich an. Der Aufprall des Beutelsäugers musste gerummst haben, schoss es Warren durch den Kopf, warum habe ich nicht gleich gebremst? Sein spontaner Reflex: ein Anruf im Koala-Hospital Port Macquarie. Eine gute halbe Stunde später waren Retter vom Rescue-Team der Tierklinik beim Kühlergrill-Koala und nahmen ihn mit ins Hospital. Eines von etwa 250 hier gepflegten Tieren.

„Unsere Patientenaufnahme ist fast so organisiert wie in einer Klinik für Menschen“, sagt Susanne Scheuter, eine der Ehrenamtlichen in dem geduckt am Waldrand liegenden Hospital: „Ein grünes Formular für die Diagnose, ein weißes für empfohlene Behandlungen und Medikamente. Alle Basisinfos über den Koala kommen auf eine Karteikarte.“ Aber einen Unterschied gibt es: Koalas werden in der Klinik getauft, immer mit zwei Namen. Der vom Kühlergrill auf den Namen Kempsey Wazza. „Der erste Name steht immer für den Fundort“, erklärt Susanne Scheuter, „den zweiten dürfen die Finder vergeben, wenn sie wollen.“ Wazza ist eine typisch australische Kurzform von Warren. Und war damit falsch, wie sich erst nach der „Taufe“ herausstellte. Denn der Kühlergrill-Koala ist ein Weibchen. Es klammert sich nun an den Baumstamm in einem der 50 Hospitalgehege, schaut vorsichtig zwischen den Blättern hindurch auf Susanne Scheuter, als diese das Tor öffnet und mal schaut, wie es Wazza geht.

Wazza wird im einzigen Koala-Hospital Australiens versorgt

So weit hinein ins Innere des Hospitals dürfen Besucher nicht, kommen anderen Koalas aber dennoch sehr nah – bei den täglichen Führungen, wenn die Tiere gefüttert und von Guides wie Susanne Scheuter vorgestellt werden. „Barrington Xavier hat Chlamydien, eine bei Koalas verbreitete Krankheit“, sagt Susanne Scheuter, „wir forschen gerade an einem Impfstoff dagegen.“ Xavier, ein Männchen, kann kaum noch sehen und muss deshalb wohl für immer im Hospital bleiben, weil er in Freiheit nicht überleben würde. Zenani, der Koala im Gehege nebenan, ist ebenfalls Dauerpatient – er hat zwar das für viele Koalas in Port Macquarie tödliche Buschfeuer überlebt, aber keine Krallen mehr, weil sein Nagelbett nicht nachwächst. Keine Chance also für ihn, auf Bäume zu klettern und sich an diese zu klammern.

Um all diese Patienten kümmern sich neben der Klinikleiterin nur drei festangestellte Mitarbeiter. Das 1973 von einem Ehepaar gegründete, immer noch einzige auf Koalas spezialisierte Hospital Australiens läuft, weil 150 freiwillige Helfer und Helferinnen sich täglich engagieren. Einige von ihnen ziehen als „Leaf Collectors“ los, sammeln täglich die Leib- und Magenspeise der Koalas: Eukalyptusblätter. „Nein, nicht irgendwelche“, wirft Susanne Scheuter ein, „etwa 900 verschiedene Arten gibt es in Australien, Koalas fressen aber nur etwa 50 davon.“ Daher bekommen die Collectors ihre Sammelaufträge auf Klemmbrettern mit und müssen sehr genau hinschauen, was sie mitbringen aus Parks, der klinikeigenen Euka-Plantage sowie privaten Gärten, deren Besitzer das Hospital mit der Blätterernte unterstützen.

Umzug von der Schweiz nach Australien den Koalas zuliebe

Und was tun, wenn Baby-Koalas in die Klinik kommen? Bis zum Alter von drei Monaten können diese sogenannten Joeys noch keine Eukalyptus-Blätter fressen. „Sie bekommen Pap, einen Brei, den wir aus dem Kot älterer Tiere pürieren“, sagt Susanne Scheuter und weiß, das klingt nicht eben appetitlich. „So ist halt die Natur“, sagt sie achselzuckend, drei bis vier Tage brauchen die Joeys diesen Brei, denn er enthält sozusagen eine Art Impfung, damit Klein-Koalas die Euka-Blätter vertragen. Ocean Drive Pixie etwa wurde so aufgepäppelt – abgegeben als 195 Gramm leichter Findel-Koala, wuchs er in der Koala-Klinik binnen weniger Monate zu einem überlebensfähigen Tier heran.

Susanne Scheuter hat gerade so einen Joey bei sich zu Hause, päppelt ihn dort auf, bevor er in die Klinik zurückverlegt wird. „Ihn trage ich eng am Körper, spiele sozusagen Muttertier“, erzählt sie. Ein Gefühl, das die 55-jährige Schweizerin seit ihrem ersten Besuch im Koala-Hospital in den 1990er Jahren nicht mehr losgelassen hat. Einige Jahre später wollte die Inhaberin eines Fahrradgeschäfts in der Nähe der Schweizer Bundesstadt Bern eine berufliche Auszeit nehmen, möglichst weit weg. Sie erinnerte sich an das Hospital, bewarb sich als freiwillige Helferin und arbeitete dort im Januar 2014 einen Monat. Nach der Rückkehr aus Australien sagte sie zu ihrem Mann: „Ich glaube, wir sollten auswandern – nach Port Macquarie, zu den Koalas.“

Infos zur Reise

Anreise Hin- und Rückflug von München oder Frankfurt nach Sydney zum Beispiel mit Emirates oder Qantas. Inneraustralisch weiter nach Port Macquarie mit Qantas.

Übernachten Das Hotel Mantra The Observatory liegt direkt am Meer und lädt zum Spaziergang oder Jogging am Strand ein. Manchmal hüpfen hier Delfine im Wasser. Ein Doppelzimmer mit Frühstück kostet circa 112 Euro.

Erleben Das Koala-Hospital kann auf eigene Faust zwischen 8 und 14.30 Uhr erkundet werden oder im Rahmen der täglichen Führungen um 15 Uhr, wenn die Tiere gefüttert werden und Guides sie vorstellen sowie die Arbeit der Klinik erläutern. Beide Touren sind kostenlos. Zudem sind gebuchte Gruppenführungen möglich. Erwachsene zahlen circa drei Euro.

Allgemeine Infos Über die Küstenregion rund um Port Macquarie: https://de.sydney.com/destinations/north-coast . Alles über das Koala-Hospital unter: https://www.koalahospital.org.au

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Erstellt:
27. September 2022, 13:56 Uhr
Aktualisiert:
29. September 2022, 14:28 Uhr

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