Diskussion über die Architektur der Zukunft in Backnang

Architektur verändert sich. Was vor Jahren als wegweisend galt, wird heute oft mit Verachtung gestraft. Neue Herausforderungen führen zu neuen Prioritäten im Bereich des Bauens. Ist es dennoch sinnvoll, alten Bausünden eine nachhaltige Nutzung zu ermöglichen?

Im Rahmen des Festivals „Über:Morgen“ der Kulturregion Stuttgart wurde der Backnanger Wasserturm im September mit Licht und Farbe in Szene gesetzt. Archivfoto: Alexander Becher

© Alexander Becher

Im Rahmen des Festivals „Über:Morgen“ der Kulturregion Stuttgart wurde der Backnanger Wasserturm im September mit Licht und Farbe in Szene gesetzt. Archivfoto: Alexander Becher

Von Simone Schneider-Seebeck

Backnang. Wie werden oder wollen wir in Zukunft arbeiten, lernen oder wohnen? Mit dieser Frage beschäftigt sich die Kulturregion Stuttgart im Rahmen der Veranstaltungsreihe „Zukunft:Kultur“, zu deren öffentlichen Diskussionsrunden auch interessierte Bürgerinnen und Bürger eingeladen sind. Am vergangenen Donnerstag, im Technikforum in Backnang, haben zwar nur wenige Personen diese Gelegenheit zum gemeinsamen Austausch wahrgenommen. Dennoch erwies sich die Gesprächsrunde als ausgesprochen anregend. Aufgelockert und umrahmt wurde die Veranstaltung durch Gitarrenklänge von Antonio Cuadros de Béjar. Ein kleiner Imbiss sorgte zwischendurch für eine Stärkung.

Für Baudezernent Stefan Setzer stehen Sparsamkeit und Komfort im Fokus

Zunächst jedoch tauschten sich Expertinnen und Experten über einen festgelegten Zeitraum miteinander aus. Dazu gehörten Backnangs Baudezernent Stefan Setzer, Maike Fraas, Professorin für Industriedesign an der Hochschule der Bildenden Künste Saar, sowie Constantin Hörburger, akademischer Mitarbeiter der Fachgruppe Architektur an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste in Stuttgart. Moderiert wurde die Gesprächsrunde von Fabienne Fecht.

Maike Fraas, Stefan Setzer (zweiter von rechts) und Constantin Hörburger (rechts) diskutieren im Technikforum über die Zukunft der Architektur. Foto: Tobias Sellmaier

© Tobias Sellmaier

Maike Fraas, Stefan Setzer (zweiter von rechts) und Constantin Hörburger (rechts) diskutieren im Technikforum über die Zukunft der Architektur. Foto: Tobias Sellmaier

Bei der Diskussion kristallisierten sich unterschiedliche Schwerpunkte als Herausforderungen für die Zukunft der Architektur heraus. Konzentrierte sich Constantin Hörburger auf das Spannungsfeld Hightech versus Lowtech, standen für Maike Fraas soziale und Klimathemen im Vordergrund, während die Stichpunkte für Stefan Setzer Sparsamkeit und Komfort waren.

Im Mittelpunkt der Diskussion stand zunächst einmal der Backnanger Wasserturm als „Ikone des Brutalismus“, wie ihn der Stuttgarter Hörburger bezeichnete. Für den Backnanger Baudezernenten ist er ein gutes Beispiel für eine mögliche weiterführende Nutzung von Gebäuden: „Beim Wasserturm muss es gelingen, die Räume öffentlich zu machen.“ Ähnlich sehe es auch mit dem Landratsamt aus. Gemeinsam mit der Bürgerschaft müssten zusätzliche Nutzungsmöglichkeiten für das Gebäude überlegt werden.

Öffentliche Begegnungsräumesollen weiterhin bestehen bleiben

So lag der Fokus der Diskussion auf der weiteren Nutzung auch möglicherweise ungeliebter Gebäude, insbesondere in Anbetracht eines sparsameren Umgangs mit Ressourcen. „Was wir bisher hatten, ist nicht zukunftsfähig“, sagte Setzer und warf die Frage auf: „Wie gelingt es, künftig mit weniger auszukommen?“

Maike Fraas forderte dazu auf, aktuelle und tradierte Lebensweisen neu zu denken und auf ihre Zukunftsfähigkeit hin zu überprüfen. Insbesondere öffentliche Begegnungsräume für Menschen müssten weiterhin bestehen bleiben. Doch inwieweit könnten Leben und Arbeiten wieder besser verknüpft werden? Momentan sei dies baurechtlich oft nicht möglich, etwa wegen bestehender Lärmschutzvorgaben.

Man müsse versuchen, einen gesellschaftlichen Konsens darüber zu finden, wie diese elementaren Lebenssituationen wieder verknüpft werden könnten, und danach die Gesetze ausrichten, lautete Stefan Setzers Vorschlag. Dabei könne die Internationale Bauausstellung auch in Backnang helfen. Denn anhand konkreter Beispiele könne hier aufgezeigt werden, wie Wohnen und Arbeiten an einem Ort möglich seien – etwa indem eng begrenzter Raum neu genutzt werde. Dabei müsse auf die individuellen Gegebenheiten jeder Gemeinde eingegangen werden, um der Wohnungsnot entgegenzutreten.

Für die Zuschauerinnen und Zuschauer bestand im Anschluss an die Gesprächsrunde die Möglichkeit, sich ebenfalls in die Diskussion einzubringen. Dazu wurde die sogenannte „Fishbowl“-Methode genutzt: Auf den freien Stühlen im Innenring der kreisförmig angeordneten Plätze konnte jeder, der wollte, Platz nehmen und sich äußern, Vorschläge und Bedenken vorbringen oder Fragen stellen.

Ein Hinweis aus dem Publikum: Die Gemeinschaft sollte mitgedacht werden

Möglicherweise lag es an der kleinen Runde, dass jeder der Anwesenden diese Gelegenheit nutzte, was zu einem insgesamt sehr vielfältigen und spannenden Austausch führte. Etwa beim Thema Technologie – da müsse bedacht werden, dass zu spezialisierte Anwendungen schlussendlich nur von Expertinnen und Experten genutzt und vor allem gewartet werden könnten, lautete beispielsweise ein Einwand, der mit der Frage einherging: Was tun, wenn diese Experten nicht in ausreichender Zahl zur Verfügung stehen?

Ebenso kam der Hinweis, dass die schönsten Konzepte nichts nutzen, wenn sie nicht von der Gemeinschaft, für die sie gedacht sind, von Anfang an mitgedacht und mitkonzipiert wurden. „Gelingt es uns in Zukunft, eine Gemeinschaft zu bilden, in der man sich auf Dauer wohlfühlt?“, fragte etwa Kulturamtsleiter Johannes Ellrott in die Runde.

Die Aufgaben des Denkmalschutzes wurden ebenso diskutiert wie die Auswirkungen der künftigen demografischen Entwicklung, sodass Gruppenleiterin Hella Gephart die Ergebnisse schließlich so zusammenfasste: „Es gibt viele lose Enden. Und es wird eine Herausforderung, diese wieder zusammenzubringen.“

Das Projekt „Das neue Alphabet der Region“ soll den Austausch in der Region Stuttgart fördern

Das neue Alphabet der Region Im Zangengriff von Pandemie, Klimawandel und vierter industrieller Revolution steht die Region Stuttgart vor tiefgreifenden Veränderungen. Der anstehende Strukturwandel löst Ängste aus: Was wird aus den Arbeitsplätzen, dem Wohlstand, der Region als Ganzes? Wer sind wir noch, wenn sich alles verändern muss? Verstehen wir als Gesellschaft dasselbe unter dem Begriff Fortschritt? Worauf können wir uns gemeinsam beziehen?

Und wer ist überhaupt „wir“? „Das neue Alphabet der Region“ ist ein Experiment, das den Austausch in der Region fördern soll. An sechs Terminen haben Besucherinnen und Besucher die Chance, miteinander und mit Expertinnen und Experten über verschiedene lokale und regionale Probleme und Zusammenhänge ins Gespräch zu kommen. Die Themen reichen von lebenswerten Innenstädten bis zu der gesellschaftlichen Rolle von Kunst und Kultur. Jede Ausgabe beginnt mit einem Expertinnen- beziehungsweise Expertengespräch und mündet in ein Forum für Bürgerinnen und Bürger, das von erfahrenen Gruppenanalytikerinnen und Gruppenanalytikern angeleitet wird. Das Diskursformat der Kulturregion Stuttgart findet im Rahmen der Veranstaltungsreihe „Zukunft:Kultur“ und des Festivals „Über:Morgen“ in Kooperation mit der Deutschen Gesellschaft für Gruppenanalyse und Gruppenpsychotherapie D3G statt. Gefördert wird es durch die Wirtschaftsförderung Region Stuttgart.

Brutalismus Der Baustil, der zwischen 1950 und 1980 von Sichtbeton, einfachen geometrischen Formen und der Betonung der Konstruktion dominiert wurde, heißt Brutalismus. Der Name hat nichts mit dem Begriff „Brutalität“ zu tun, sondern leitet sich ab von verschiedenen Architekturkonzeptionen, darunter das französische „béton brut“ (roher Beton). Seit den 1990er-Jahren wird der Brutalismus eher negativ betrachtet, da der rohe Beton häufig als ungepflegt wahrgenommen wurde.

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Erstellt:
7. Oktober 2022, 06:00 Uhr

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