DIW-Chef: No-Deal-Brexit wäre besser als Verschiebung

dpa Brüssel. Das britische Unterhaus stemmt sich gegen den gefürchteten EU-Austritt ohne Vertrag, und auch für Deutschland wäre das kein Wunschszenario. Aber besser als eine weitere Hängepartie, sagt Top-Ökonom Fratzscher.

Marcel Fratzscher ist Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung. Foto: Daniel Naupold

Marcel Fratzscher ist Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung. Foto: Daniel Naupold

Ein ungeregelter Brexit Ende Oktober wäre aus Sicht des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) für Deutschland weniger schlimm als eine erneute Verschiebung.

Die erwartbaren Kosten für die Bundesrepublik seien mittel- bis langfristig eher gering, deutsche Verbraucher kaum betroffen und Chaos vermeidbar, sagte DIW-Chef Marcel Fratzscher der Deutschen Presse-Agentur in Brüssel.

„Was ich jetzt an Risiken sehe, ist die Unsicherheit“, sagte Fratzscher. „Lieber ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende - lieber jetzt ein harter Brexit als eine Hängepartie, die sich noch ein oder zwei Jahre hinzieht.“

Schon jetzt hätten sich wegen der Unsicherheit deutsche Exporte nach Großbritannien und Irland abgeschwächt. „Wenn einmal Klarheit da ist und die Unternehmen wissen, worauf sie sich einstellen müssen, kann man auch damit umgehen“, fügte der DIW-Präsident hinzu.

Viele Wirtschaftsforscher warnen vor einem britischen EU-Austritt ohne Vertrag, zumal Deutschland 2018 immer noch Waren im Wert von 82 Milliarden Euro nach Großbritannien exportierte. Eine Studie der Bertelsmann-Stiftung geht davon aus, dass ein No-Deal Einkommensverluste von fast 100 Milliarden Euro pro Jahr zur Folge hätte, davon 57 Milliarden in Großbritannien und gut 9,5 Milliarden in Deutschland.

„Es ist immer noch von Vorteil für alle Seiten, wenn der 'Hard Brexit' abgewendet wird“, sagte Studienautor Dominic Ponattu der dpa. „Mehr Zeit, um ein Abkommen zu verhandeln, wäre es definitiv wert.“

Doch Fratzscher argumentiert dagegen. So sagte er mit Blick auf deutsche Verbraucher: „Wenn man jetzt die Konsumenten nimmt, habe ich Schwierigkeiten zu sehen, wer da besonders betroffen sein soll. Das, was wir aus Großbritannien importieren an Konsumgütern, ist begrenzt.“

Deutsche Unternehmen seien bereits dabei, sich neu zu orientieren - sowohl für den Bezug von Vorprodukten als auch für neue Absatzmärkte. Nach Regeln der Welthandelsorganisation würden auch bei einem Brexit ohne Vertrag nur geringe Zölle von durchschnittlich ein bis zwei Prozent auf britische Waren fällig. Lange Wartezeiten wegen nötiger Grenzkontrollen sowie Lieferengpässe könne man verhindern.

„Es muss nicht sein, dass es zu diesem Chaos kommt, und es ist letztlich weder im Interesse der EU noch Großbritanniens“, sagte Fratzscher. „Das Argument, man müsse nun an Großbritannien ein Exempel statuieren und das bloß nicht attraktiv machen, das haben wir lange hinter uns. Ich glaube, kein anderes Land möchte ein solches Chaos haben, wie Großbritannien das in den letzten drei Jahren gesehen hat.“

Anders als Deutschland müssen sich Großbritannien und Irland auch aus Fratzschers Sicht auf erhebliche negative Folgen einstellen. Und da es ohne Abkommen keine Übergangsfrist gäbe, stünde London unter großem Einigungsdruck mit der EU.

„Ich glaube nicht, dass Großbritannien nach einem harten Brexit eine bessere Verhandlungsposition hätte, sondern ganz im Gegenteil: Der Druck auf Großbritannien, schnellstmöglich ein Freihandelsabkommen mit der EU auszuhandeln, wäre eher größer als kleiner“, sagte Fratzscher.

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Erstellt:
6. September 2019, 07:10 Uhr

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