Doppelt so viele Wohngeldanträge wie 2022 im Rems-Murr-Kreis

Durch das Wohngeld-Plus-Gesetz haben deutlich mehr Menschen Anspruch auf die finanzielle Unterstützung. Das stellt die zuständigen Behörden vor große Herausforderungen und bedingt lange Wartezeiten.

Nach Eingang des Antrags kann es Monate dauern, bis der Bescheid kommt. Symbolfoto: stock.adobe.com/M. Schuppich

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Nach Eingang des Antrags kann es Monate dauern, bis der Bescheid kommt. Symbolfoto: stock.adobe.com/M. Schuppich

Von Lorena Greppo

Rems-Murr. Eine Leserin aus einer Backnanger Umlandgemeinde, die ihren Namen nicht in der Zeitung genannt haben möchte, sitzt auf heiße Kohlen. Im Februar habe sie Wohngeld beantragt, erzählt sie. Bis heute hat sie keinen Bescheid bekommen. „Ich hänge voll in der Luft“, sagt die Frau. Sie bekommt eine Erwerbsminderungsrente und zwei ihrer Kinder wohnen noch mit ihr in der Doppelhaushälfte zur Miete. Ob sie Wohngeld bekommt und wenn ja, in welcher Höhe, ist für sie nicht nur wichtig, um finanzielle Sicherheit im Hinblick auf die Miete zu haben. Sie wolle auch die Härtefallhilfe für die Heizkosten des Winters beantragen. Im Antrag wird danach gefragt, ob man auch Wohngeld beziehe. Das könne sie ja momentan noch nicht beantworten.

Bearbeitungszeiten von etwa drei bis vier Monaten

Der Fall unserer Leserin ist nicht ungewöhnlich. Auf Nachfrage heißt es aus dem Landratsamt: „Die Bearbeitungszeiten liegen bei der Wohngeldstelle des Kreises bei durchschnittlich drei bis vier Monaten, in Einzelfällen auch darüber.“ Der Grund dafür ist schnell gefunden. Durch das Wohngeld-Plus-Gesetz, das seit Januar dieses Jahres gilt, können deutlich mehr Menschen besagte Leistungen beziehen. Von der Wohngeldreform profitieren vor allem Haushalte mit geringem Einkommen wie Familien und Alleinerziehende oder Seniorinnen und Senioren, deren Einkommen für einen Anspruch auf Grundsicherung zu hoch liegt. Auch ist das neue Wohngeld Plus deutlich höher: Im Schnitt verdoppelt es sich. Eine weitere Neuerung ist die Berücksichtigung einer Heizkosten- und einer Klimakomponente bei der Berechnung des Wohngeldanspruchs. Das Wohngeld wird in der Regel für zwölf Monate bewilligt und zwar ab dem ersten Tag des Monats, in dem der Wohngeldantrag gestellt wurde. Danach ist ein neuer Antrag erforderlich.

Was für Menschen mit geringem Einkommen eine gute Nachricht ist, bedeutet für die zuständigen Wohngeldbehörden einen erheblichen Mehraufwand, der zudem sehr kurzfristig auf die Ämter zukam. „Der Kreis musste mit einem Vorlauf von nur drei Monaten Stellen ausschreiben und diese besetzen“, erklärt eine Pressesprecherin. Die Wohngeldstelle sei bereits mit zwei Sachbearbeiterinnen verstärkt worden. „Zudem haben erfahrene Mitarbeiterinnen den Arbeitsumfang erhöht. Eine weitere Stelle wird ab Juni 2023 besetzt werden“, teilt das Landratsamt mit.

Im Rems-Murr-Kreis rechnet man damit, dass sich die Zahl der Anträge im Vergleich zum Vorjahr verdoppelt. 2022 gingen beim Landratsamt 2386 Wohngeldanträge ein. Von Januar bis April dieses Jahres waren es bereits 1408 Anträge. „Ähnliches berichten auch die Nachbarlandkreise“, heißt es. Bundesweit werde gar von einer Verdreifachung der Anträge ausgegangen.

Eine erste Rückmeldung sollte nach etwa einem Monat erfolgen

Auch unsere Leserin hat den hohen Aufwand der Behörde erkannt, ihre Kritik möchte sie daher auch nicht als Beschwerde über die Beschäftigten der Wohngeldstelle verstanden wissen. „Dass man nicht innerhalb von zwei Wochen Bescheid bekommt, ist ja völlig klar“, sagt sie. Sie hoffe aber darauf, dass mit einer weiteren Verstärkung der Behörde der Zeitraum zumindest ein bisschen reduziert werden kann. „Es ist zu wenig Personal, das reicht hinten und vorne nicht“, findet sie. Und sie wünsche sich zumindest eine gewisse Rückmeldung. Nicht einmal eine Eingangsbestätigung habe sie bekommen. „Ich habe dann im März nachgehakt, da hat man mir gar nichts sagen können.“ Man habe ihr lediglich mitgeteilt, dass zu diesem Zeitpunkt noch Anträge aus dem Dezember bearbeitet würden. Bis zur vergangenen Woche habe sie nichts weiter von der Wohngeldstelle gehört, sagt die Leserin weiter.

Im Landratsamt schildert man das Vorgehen anders: Eine erste Rückmeldung erfolge normalerweise spätestens nach einem Monat, heißt es dort. „Diese wird meist mit der Anforderung fehlender Unterlagen verbunden. Leider ist es sehr oft so, dass Unterlagen fehlen und die Kollegen nachfassen müssen.“ Bei akuten Notsituationen könne gemeinsam eine besondere Lösung gesucht werden. Zu dem konkreten Fall unserer Leserin kann sich die Behörde nicht äußern, da diese anonym bleiben wollte – ohne den Namen der Antragstellerin sei keine Auskunft möglich.

Informationen Auf der Website des Landratsamts finden Betroffene unter dem Suchbegriff „Wohngeld“ weitere Informationen, den Link zum Online-Antrag für Erstanträge und Erklärvideos: https://t1p.de/38tvn
Eine erste Orientierung bietet der Wohngeldrechner online

Zweck Wohngeld dient nach Angaben der Landesregierung Baden-Württemberg der wirtschaftlichen Sicherung angemessenen und familiengerechten Wohnens. Es ist ein von Bund und Land getragener Zuschuss zu den Aufwendungen für Wohnraum und soll all jenen helfen, deren Einkommen nicht ausreicht, um die Kosten einer angemessenen Wohnung zu tragen.

Zielgruppe Wohngeld wird als Zuschuss an Haushalte gezahlt, deren Einkommen nur knapp oberhalb der Grundsicherungsgrenze liegt. Wohngeld können sowohl Mieterinnen und Mieter erhalten (Mietzuschuss) als auch Eigentümerinnen und Eigentümer selbst genutzten Wohnraums (Lastenzuschuss). Ob und in welcher Höhe Personen Wohngeld erhalten, hängt von drei Voraussetzungen ab: der Anzahl der zu berücksichtigenden Haushaltsmitglieder, der Höhe des Gesamteinkommens und der Höhe der Miete beziehungsweise Belastung.

Anspruch Seit dem 1. Januar 2023 haben bundesweit zwei Millionen Haushalte mit kleinen Einkommen Anspruch auf Wohngeld. Das sind dreimal mehr als vorher. Bis zur Reform waren es rund 600000 Haushalte. Ob man selbst Anspruch auf das Wohngeld hat, kann man prüfen: Der Wohngeldrechner im Internet gibt eine erste Orientierung: www.bmwsb.bund.de/wohngeldrechner. Verbindlich berechnen kann den Anspruch allerdings nur die zuständige Wohngeldbehörde. Die Großen Kreisstädte bearbeiten Wohngeldanträge selbst. Nur für die kleineren Städte und Gemeinden ist der Landkreis zuständig.

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Erstellt:
23. Mai 2023, 06:00 Uhr

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