Dorfkinder kennad Schwäbisch schwätza

Leben auf dem Land Von der Ü-70-Stammtischrunde über den Schulleiter bis zur Mutter von Schulkindern herrscht Einigkeit, dass sich der Gebrauch des Dialekts in den Dörfern verliert. Manche kultivieren das Schwäbische daher und tragen zum Erhalt des sprachlichen Schatzes bei.

Gern greift Emely Margarethe Rossnagel zum Buch mit Äffle und Pferdle. Im Schulbuch sucht die Zweitklässlerin Mundart vergebens. Ihr Vater Steffen hat vor ihrer Einschulung angefragt, ob seine Tochter in der Schule Schwäbisch schwätza darf. Foto: A. Becher

© Alexander Becher

Gern greift Emely Margarethe Rossnagel zum Buch mit Äffle und Pferdle. Im Schulbuch sucht die Zweitklässlerin Mundart vergebens. Ihr Vater Steffen hat vor ihrer Einschulung angefragt, ob seine Tochter in der Schule Schwäbisch schwätza darf. Foto: A. Becher

Von Nicola Scharpf

Rems-Murr. Ein kaputter Generator, den ihm keine Werkstatt reparieren wollte, hat sie zusammengeführt: Hans Rundnik aus Kiel und die Männer aus Sulzbach und Umgebung, die sich seit über zehn Jahren immer donnerstags in acht- bis zwölfköpfiger Runde zum Stammtisch in der Gaststätte Zur Eisenbahn treffen. Rundnik rekapituliert die Episode von damals so: Es sei zum Schluss Elektromeister Heinz Rittinger aus Großerlach gewesen, der ihm die Reparatur zugesichert und ihn zum Stammtisch mitgenommen habe. Als er nach einer Woche den Generator noch nicht vorbeigebracht hatte, habe Rittinger ihn angemault.

„Angemault?“, rüffelt es von der gegenüberliegenden Seite des Stammtisches. „Des hoißt agoschd. Wia schwätzsch denn du?“ Der Kieler erklärend: „Ich kriege hier immer wieder Feuer.“ Der Schwabe korrigierend: „Des hoißt, i hau dir oine vorn Latz. Wenn du dai Gosch net hälschd, kriegschd an Riasl na.“ Hans Rundnik sagt, dass er stolz darauf ist, bei dieser Stammtischrunde aus schwäbischen Originalen, Alter Ü70, dabei sein zu dürfen. Toleranz, sagen die Herren, lassen sie dem Nordlicht gegenüber walten. So wie sie als Viertelesschlotzer oder Biertrinker auch jemanden am Tisch dulden, der ein großes Wasser bestellt. Dabei funktioniert das Politisieren, Witzeln und Sprücheklopfen doch eigentlich nur mit Viertele und uff Schwäbisch erst richtig. „Wir können uns anstrengen, uns ein bisschen besser auszudrücken. Aber trotzdem wird immer Schwäbisch gschwätzt. Das ist das Schöne am Stammtisch, wir können reden, wie uns der Schnabel gewachsen ist“, findet Rittinger.

Hier am Stammtisch wird das Schwäbische gelebt. So wie es in nahezu jedem schwäbischen Dorf rund um Backnang Strukturen gibt, in denen der Dialekt eine Institution ist – sei es bei der Feuerwehr, sei es im Obst- und Gartenbauverein oder bei den Landfrauen. Obwohl die Mundart in den Dörfern nach wie vor verbreitet ist, haben die Stammtischbrüder dennoch den Eindruck, dass sich in ihren Heimatdörfern das Schwäbische mehr und mehr verliert. „Das ist schade“, findet Heinz Rittinger, „so geht die Identität von den Leuten verloren.“

Dialekt stiftet Identität

Mit dieser Aussage dürfte er dem baden-württembergischen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann aus dem Herzen sprechen, der das Schwäbische als identitätsstiftend und den Zusammenhalt fördernd begreift. Bodenhaftung sei wichtig, hat Kretschmann mal gesagt. Und so hat es vor gut einem Jahr im Kultusministerium einen runden Tisch Dialekt gegeben. Von oberster Stelle angestupft, sollen Kinder und Jugendliche also für den Dialekt begeistert, soll bei Lehrkräften das Interesse am Thema geweckt werden, um den kulturellen Schatz des Schwäbischen für die Zukunft zu bewahren. Hier leben und kein Schwäbisch schwätza? Um diesem Missstand entgegenzuwirken, hat sich die Mundartband Herrn Stumpfes Zieh&Zupf Kapelle ein besonderes Unterrichtskonzept, eine Schwäbisch-Unterweisung für Dritt- und Viertklässler, überlegt und war damit im vergangenen Jahr zunächst zu Gast in der Grundschule in Burgstall, bevor sie dann mit ihrer klingenden Schulstunde durchs Ländle tingelte.

Aber sind solch lebenserhaltenden Maßnahmen für den Dialekt denn notwendig? „Es wird nicht übermäßig geschwäbelt. Das ist nicht mehr so verbreitet“, sagt Andreas Mücke, der die Grundschule in Sechselberg leitet – eine der kleinsten Schulen im Rems-Murr-Kreis, eine typische Dorfschule. „Das ist auch in Sechselberg angekommen.“ Nur noch einzelne Kinder würden Schwäbisch schwätza. Die Zweitklässlerin Emely Margarethe Rossnagel ist eines davon.

Das Schwäbische gehört zum Alltag

Bevor das Mädchen eingeschult wurde, hat sich ihr Vater an den Schulleiter gewendet mit der Frage, ob die Tochter in der Schule überhaupt Schwäbisch schwätza darf. „Ich finde es furchtbar, wenn sie das in der Schule nicht mehr dürfen“, begründet Steffen Rossnagel seine ungewöhnliche Anfrage. Emely durfte.

Bei Familie Rossnagel daheim wird Dialekt gesprochen, die Eltern bringen ihren Töchtern bewusst auch schwäbische Bezeichnungen nahe – Äbira für Kartoffeln, Breschdleng für Erdbeeren, Gogommer für Gurke. Für Steffen Rossnagel hört es sich süß und lieb an, wenn seine Töchter und die Nachbarskinder den Dialekt verwenden. „Dia babbled au Schwäbisch, wenn se auf d’r Gass rumsauat.“ Auch bei Familie Thürmer in Rietenau wird der Dialekt hoch gehalten – beziehungsweise weder an- noch abtrainiert, sondern einfach alltäglich, natürlich gebraucht. „Wir gehen zum Beispiel ganz selbstverständlich herbschda“, sagt Bianca Thürmer, „und nicht Weintrauben lesen“. Besonders als die Brüder Adrian, neun Jahre, und Philipp, sieben Jahre, klein waren, über die Familie und die ortsansässigen Großeltern hinaus noch nicht so viele Kontakte hatten, haben sie stark geschwäbelt, erinnert sich ihre Mutter Bianca Thürmer. Als sie in den Kindergarten gekommen sind, haben die Jungs in den Ohren ihrer Mutter dann weniger geschwäbelt: „Fingerspiele, Lieder, Reime und so weiter, das ist alles auf Hochdeutsch.“ Trotzdem haben Erzieherinnen und Lehrkräfte sie schon darauf angesprochen, dass ihre Söhne auffällig und schön Schwäbisch schwätzen können. Die Kehrseite: Der Dialekt mogelt sich mitunter mal ins Geschriebene, wenn die Kinder schreiben, wie sie schwätzen. „Die Lehrerin streicht es halt an“, sagt Bianca Thürmer unaufgeregt.

Es gibt viele Einflüsse auf die Mundart

Dahinter steckt eine geänderte Haltung. Annedore Bauer-Lachenmaier, Leiterin der Backnanger Plaisirschule, Mutter erwachsener Kinder und Schwäbin, gibt ein verbreitetes Klischee wieder, das galt, als ihre Kinder klein waren: „Wir müssen mit unseren Kindern Hochdeutsch sprechen, damit sie gut werden in der Schule.“ Dialekt als Makel? Bauer-Lachenmaier hält das für Quatsch. „Die Kinder müssen die Kompetenz haben, zu switchen zwischen Hochsprache und Dialekt.“ Es geht also nicht um ein Entweder-oder, sondern um das Nebeneinander von Dialekt und Hochsprache.

Angefangen vom Kindergarten über die Schulzeit und später dann im Berufsleben: Es gibt viele Einflüsse auf das Schwäbische und seinen Gebrauch. Steffen Rossnagel nennt es „Wischiwaschi“, wenn sich bei den Kindern Dialekt und Hochdeutsch zu einem Gemisch vermengen. Er selbst bemüht sich, in der Arbeit Hochdeutsch zu sprechen, damit alle Kollegen ihn verstehen – bekommt es aber nicht hin, wie er sagt. Und die Herrn am Stammtisch finden, dass Schwänglisch weit verbreitet ist, eben weil im Berufsleben so häufig Englisch verwendet wird.

„Dass der Dialekt bei uns in Nassach ausstirbt, das kann ich mir nicht vorstellen“, sagt Petra Kircher, die aus Kurzach stammt. Als Jugendliche schon habe sie sich über die ursprünglichen Ausdrücke der Alten, die heute kaum noch gebräuchlich sind, gewundert. „Das Schwäbische verändert sich, aber es verschwindet nicht“, ist sie überzeugt. Kircher engagiert sich seit vielen Jahren bei der Laienschauspielgruppe Nassacher Dorfbühne als Souffleurin. Hier auf der Bühne hat das Schwäbische eine andere Funktion als im Alltag: Die Zuschauer wollen, sollen und dürfen über die Schwäbisch schwätzenden Schauspieler, die Dommrla, lachen. Dialekt kommt hier volkstümlich, bildungsfern, mitunter primitiv daher. Die Auftritte der Dorfbühne Nassach – wie auch das Laienschauspiel anderer Gruppen – erfreute sich in Vor-Coronazeiten in der Bevölkerung großer Beliebtheit. In diesem Hinblick kann keine Rede davon sein, dass sich das Schwäbische auf dem Rückzug befindet.

Aber wie ist es denn nun um den Fortbestand des Schwäbischen in den Dörfern bestellt? Es gibt die Schwäbischschwätzer, und zwar in allen Generationen – man muss sie nur finden. Es kommt vielleicht darauf an, was die Menschen in ihrem Dialekt sehen. Halten sie ihn für bewahrenswert? Oder nicht? Über den Dialekt kann man sich verorten. Mundart als gegenläufiger Trend zur Globalisierung? Vielleicht. Aber für heut isch g’nug gschwätzt worra…

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Erstellt:
26. Februar 2022, 06:00 Uhr

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