Durch die gläserne Decke

Wie schwierig ist es heutzutage für eine Frau, eine leitende Position zu bekommen? Zum heutigen Weltfrauentag haben wir uns darüber mit drei Geschäftsführerinnen aus dem Rems-Murr-Kreis unterhalten.

Petra Streker leitet die Firma W. Streker Natursaft GmbH in Großaspach. Foto: A. Becher

© Alexander Becher

Petra Streker leitet die Firma W. Streker Natursaft GmbH in Großaspach. Foto: A. Becher

Von Melanie Maier

ASPACH. Deutschlandweit steht es nicht gut um den Anteil von Frauen in Führungspositionen. 28,3 Prozent waren es nach Angaben des Online-Statistikportals Statista im Oktober 2018 in Brandenburg. Mit nicht einmal einem Drittel Frauen ist Brandenburg dabei noch Spitzenreiter. Das Schlusslicht ist Baden-Württemberg mit 18,8 Prozent Frauen in leitenden Positionen. Der deutschlandweite Durchschnitt liegt bei 22,6 Prozent.

Kurz gesagt: Es ist noch sehr viel Luft nach oben. Und daran hat sich seit dem Zeitpunkt der Erhebung wenig bis gar nichts geändert. In Baden-Württemberg sind Frauen in Führungspositionen nach wie vor deutlich unterrepräsentiert, heißt es im „Gesellschaftsreport BW“, der 2020 erschienen ist. Das gelte für die Privatwirtschaft, den öffentlichen Dienst und auch die Politik. Separate Zahlen für die den Rems-Murr-Kreis wurden bisher nicht erhoben, so Markus Beier, leitender Geschäftsführer der IHK Region Stuttgart, Bezirkskammer Rems-Murr.

Nur ein Beispiel: der Frauenanteil der Professuren in Deutschland liegt gerade einmal bei 25 Prozent. „Selbst wenn wir ab jetzt bis 2025 jede zweite Professur mit einer Frau besetzen würden, würde sich der Frauenanteil in den nächsten fünf Jahren lediglich auf 37 Prozent erhöhen“, kommentierte Katja Becker, die Präsidentin der Deutschen Forschungsgemeinschaft, in der Zeitschrift „Forschung und Lehre“. „Wenn Frauen und andere Mitglieder benachteiligter Gruppen unterrepräsentiert sind, dann war offensichtlich eben nicht die Bestenauslese entscheidend, sondern andere Faktoren, und genau dann haben wir ein Problem.“

Die gläserne Decke besteht in mittelständischen Firmen wie in börsennotierten Großkonzernen.

Dieses Problem nennt sich gläserne Decke. Es besteht in mittelständischen Firmen genauso wie in börsennotierten Großkonzernen – trotz der für sie seit 2016 gesetzlich festgelegten Frauenquote. Der Grund dafür sind die patriarchalisch geprägten Strukturen, die seit vielen Jahrzehnten existieren. Studien weisen schon lang darauf hin, dass sich Führungskräfte am liebsten für Kollegen entscheiden, die ihnen ähneln. Sprich: Ein 55-jähriger Deutscher mit VWL-Abschluss beruft eher jemanden in den Vorstand, mit dem er sich leicht identifizieren kann, als eine junge schwarze Frau mit ungewöhnlichem Lebenslauf – ganz gleich, ob sie dieselben Kompetenzen vorweist. So entstehen Seilschaften, sogenannte „Boys Clubs“, die alles andere als divers sind und kaum Veränderungen in den Führungsriegen zulassen.

Die #MeToo-Debatte zeigt zwar auch hier Wirkung: Wer ein Firmenfoto in den sozialen Medien postet, auf dem nur Männer zu sehen sind, kann mit einem Shitstorm rechnen. Viel mehr hat sich aber leider nicht geändert. In den Zahlen der Leitungspositionen, die mit Frauen besetzt sind, schlägt sich die Empörung der Internetnutzer nicht nieder.

Dazu kommen zahlreiche weitere Punkte. Viele Frauen kümmern sich etwa nicht nur um die Kindererziehung, sondern auch um pflegebedürftige Eltern. Seit einigen Jahren kursiert das Stichwort „Mental Load“ (mentaler Ballast), eine nette Zusammenfassung dafür, dass Frauen im Haushalt oft nicht nur die meiste Arbeit übernehmen, sondern auch gleich noch die Organisation desselben. Einer beziehungsweise eine muss ja im Kopf haben, ob der Apfelsaft bald zur Neige geht, das Kind neue Schuhe braucht, welche Geburtstage in den kommenden Wochen anstehen. Meist macht das die Frau. Wie gesagt neben der Hausarbeit, die nach einer repräsentativen Umfrage des Marktforschungsunternehmens Ipsos im Auftrag der Bertelsmann- Stiftung 69 Prozent der Frauen übernehmen. Schlechte Voraussetzungen also für eine baldige Veränderung der Tatsachen.

Doch wie schwierig ist es in der Praxis für Frauen, in eine Führungsposition zu gelangen? Existiert die gläserne Decke überhaupt noch? Darüber haben wir uns mit drei Frauen in Führungspositionen aus dem Rems-Murr-Kreis unterhalten.

Petra Streker, 47, seit 2013 Geschäftsführerin der W. Streker Natursaft GmbH in Großaspach:

„Unser Familienunternehmen führe ich seit dem Tod meines Vaters im Herbst 2013. Dass ich einmal seine Nachfolge übernehmen würde, stand damals noch nicht so lange fest. Als mein Vater gesagt hat, dass er es sich langsam überlegt aufzuhören, wollte ich mir mal anschauen, ob ich mir vorstellen könnte, die Firma weiterzuführen. Hätten meine Eltern einen Sohn gehabt, wäre es wahrscheinlich von vornherein klar gewesen, dass es mit ihm als Nachfolger versucht wird.

Der Führungsstil meines Vaters hat sich stark von meinem unterschieden. Ich vermute aber, dass das mehr mit dem Generationenwechsel zu tun hatte als mit dem Geschlecht. Mein Vater wollte sein Unternehmen immer so führen, dass er im Notfall alles noch selbst machen kann. Das ist bei mir anders.

Es hängt natürlich von den Strukturen in der Firma ab, aber meiner Meinung nach kann eine Frau problemlos eine Führungsposition bekommen, wenn sie das wirklich möchte. Ein paar Kilometer müssten Frauen heutzutage dafür aber immer noch schneller laufen als Männer – insbesondere die Tochter vom Chef.

Von einer Quote halte ich nichts. Da müssen Sie nur gegen das Vorurteil kämpfen, dass sie den Job nur deshalb bekommen haben. Vielleicht ist sie aber für einige Dax-Unternehmen sinnvoll.

Wirkliche Benachteiligung habe ich als Frau noch nicht erlebt. Bei manchen Kunden schicke ich trotzdem lieber einen Mann hin, wenn ich denke, dass der nicht so gut mit einer Frau kann.“

Christine Käferle, 56, seit 2019 Vorsitzende der Geschäftsführung der Agentur für Arbeit in Waiblingen:

Christine Käferle Foto: Arbeitsagentur

© Arbeitsagentur Waiblingen

Christine Käferle Foto: Arbeitsagentur

„Dass ich eine Führungsposition innehabe, war nicht von langer Hand geplant. In eine leitende Funktion bin ich zuerst durch eine Vertretung gekommen. Dabei habe ich gemerkt, dass ich das kann und dass mir das Spaß macht. Aber schon als Arbeitsvermittlerin, Ende der 1980er-Jahre, war ich immer jemand, der gerne Verantwortung übernimmt.

Die gläserne Decke gibt es aus meiner Sicht schon noch, vor allem in männlich dominierten Branchen wie der Banken- oder der Baubranche. Das hängt mit den Stereotypen zusammen, die bis heute in unserer Gesellschaft verbreitet sind. So wird Frauen zum Beispiel oft nachgesagt, kommunikationsfähiger zu sein, während Männer als durchsetzungsfähiger gelten. Meiner Meinung nach hängt das eher von der Person ab als vom Geschlecht.

Es muss sich etwas in den Haltungen und den Rahmenbedingungen ändern. Die Frauenquote kann eine Säule dafür sein. Der große Knackpunkt ist das Thema Familienplanung. Zwischen 30 und 35 Jahren steigen viele Frauen aus dem Beruf aus, arbeiten später in Teilzeit, um sich um die Kinder zu kümmern. Die Rollenverteilung in Deutschland ist immer noch sehr traditionell. Teilzeitführungsmodelle könnten eine Lösung sein.

Jungen Frauen, die Karriere machen möchten, würde ich raten, mutiger zu sein. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass viele Frauen sich nicht auf eine Stelle bewerben, wenn sie nicht 100-prozentig den Anforderungen entsprechen. Männer sind da oft ein bisschen unerschrockener.“

Gaby Schröder, 51, seit 2015 Geschäftsführerin der Alexander-Stift GmbH der Diakonie Stetten:

Gaby Schröder Foto: T. Wagner

© Thomas Wagner

Gaby Schröder Foto: T. Wagner

„Für mich stand früh fest: Ich möchte Dinge verändern. Und das geht am besten in einer Führungsposition. Wenn man berufliche Verantwortung übernehmen möchte, sollte man das meiner Meinung nach nicht dem Zufall überlassen.

In eine leitende Position zu kommen, war für mich nicht schwierig. In meinem Berufsleben habe ich aber schon erlebt, dass mit mir als Frau nicht immer auf Augenhöhe kommuniziert wurde. Zum Beispiel, wenn ich bei oder nach einer Sitzung nicht angesprochen wurde, der männliche Kollege aber schon.

In unserer Gesellschaft kursieren noch immer viele Klischees. Etwa, dass Frauen fürsorglicher oder emotionaler sind. Zum Glück kommen wir Jahr für Jahr ein bisschen davon weg. Ich würde mir eine gleichberechtigte Welt ohne Rollenunterschiede wünschen. Mit einer Erziehung, die vermittelt, dass für beide Geschlechter alles möglich ist: Ein Mädchen kann problemlos Astronautin oder Physikerin werden, ein Junge nicht nur mit Autos, sondern auch mal Krankenpfleger spielen. Das sollte schon im Kindergarten und in der Grundschule vermittelt werden.

Für eine verpflichtende Frauenquote in Unternehmen bin ich nicht, weil ich persönlich keine Quotenfrau sein möchte. Ich möchte wissen, dass ich meine Stelle aufgrund meiner Fähigkeiten und meiner Persönlichkeit bekommen habe. Eine Erziehung, die Mädchen dazu ermutigt, selbstbewusster zu sein und sich mehr zuzutrauen, wäre mir viel wichtiger als eine Quote.“

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Erstellt:
8. März 2021, 06:00 Uhr

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