Ehemaliger KZ-Wachmann bittet Opfer um Entschuldigung

dpa Hamburg. Als „Hölle des Wahnsinns“ bezeichnet ein ehemaliger Wachmann das KZ Stutthof. In seinem letzten Wort bittet der Angeklagte die Opfer um Entschuldigung. Für eine strafrechtliche Verurteilung des 93-Jährigen sieht sein Verteidiger keine Grundlage.

Der wegen Beihilfe zum Mord in 5230 Fällen angeklagte 93-Jährige hat vor Gericht um Entschuldigung gebeten. Foto: Axel Heimken/dpa-Pool/dpa

Der wegen Beihilfe zum Mord in 5230 Fällen angeklagte 93-Jährige hat vor Gericht um Entschuldigung gebeten. Foto: Axel Heimken/dpa-Pool/dpa

Im Hamburger Prozess gegen einen ehemaligen Wachmann im KZ Stutthof hat der Angeklagte die Opfer um Entschuldigung gebeten.

„Heute möchte ich mich bei allen Menschen, die durch diese Hölle des Wahnsinns gegangen sind, und bei ihren Angehörigen und Hinterbliebenen entschuldigen“, sagte der 93-Jährige in seinem letzten Wort. Es belaste ihn bis heute, was damals in dem Lager bei Danzig geschehen sei. „Das darf sich niemals wiederholen“, sagte der Angeklagte mit fester Stimme. Er betonte, dass er sich niemals freiwillig zur SS gemeldet hätte. Dem Dienst im KZ hätte er sich mit Sicherheit entzogen, wenn es die Möglichkeit dazu gegeben hätte.

Sein Verteidiger beantragte Freispruch. Die alleinige Mitgliedschaft in der SS-Wachmannschaft sei in der deutschen Rechtssprechung bislang nicht als Beihilfe zum Mord gewertet worden, argumentierte Rechtsanwalt Stefan Waterkamp vor der Jugendkammer am Landgericht Hamburg. Für die Haupttat, die Ermordung von 5230 Menschen zwischen August 1944 und April 1945, sei es egal gewesen, ob der Angeklagte auf dem Wachturm stand oder nicht. Den Terror gegen die Gefangenen hätten die SS-Mannschaften im Lager und deren Helfer, die sogenannten Kapos, ausgeübt. Die Verbrechen in Stutthof und anderen Konzentrationslagern nannte Waterkamp unbegreiflich und unverzeihlich.

Die Staatsanwaltschaft hat eine Jugendstrafe von drei Jahren Haft gefordert. Der damals 17 bis 18 Jahre alte SS-Wachmann habe gewusst, was in der Gaskammer des Lagers bei Danzig passierte und dass Menschen in einem Nebenraum des Krematoriums erschossen wurden. Die Staatsanwaltschaft geht davon aus, dass während der Zeit des Angeklagten als Wachmann mindestens 30 Menschen im Krematorium erschossen und 200 vergast wurden. Weitere 5000 Gefangene seien den lebensfeindlichen Bedingungen im Lager zum Opfer gefallen.

Die Vertreter der rund 40 Nebenkläger - darunter Überlebende des Lagers und Hinterbliebene von KZ-Opfern - haben eine Verurteilung des Angeklagten, aber keine über den Antrag der Staatsanwaltschaft hinausgehende Strafforderung gestellt. Einige Nebenkläger äußerten ausdrücklich den Wunsch, der Angeklagte möge nicht inhaftiert werden. Ein hochbetagter Stutthof-Überlebender in Israel erklärte, man solle dem Angeklagten vergeben.

Waterkamp verwies darauf, dass Stutthof kein Vernichtungslager gewesen sei, der Angeklagte habe bei Beginn seines Dienstes 1944 geglaubt, es sei ein Lager für politische Häftlinge. Insofern habe er als 17-Jähriger nicht erkennen können, dass der Befehl zum Wachdienst dort von vornherein verbrecherisch war. Der Angeklagte habe nach seiner Einziehung zur Wehrmacht um eine Versetzung in eine Feldküche gebeten, ohne Erfolg. Danach habe es keinen Weg zurück mehr gegeben.

Ein Historiker habe im Prozess bestätigt, dass die Wachleute keine Befehle verweigern konnten. 1945 sei eine Gruppe von Wachmännern in Stutthof von der SS erschossen worden. „Der Angeklagte konnte nicht weglaufen, weil er erschossen worden wäre“, schlussfolgerte Waterkamp. Es habe damals ein aus heutiger Sicht unvorstellbares System von Befehl und Gehorsam gegeben. Sein Mandant habe damals keine nationalsozialistische, antisemitische Gesinnung gehabt. Einmal habe er bei einem Dienst außerhalb des Lagers Gefangenen verbotenerweise erlaubt, sich Fleisch von einem Pferdekadaver abzuschneiden und ins Lager zu schmuggeln.

Von den rund 250.000 NS-Mördern seien in den vergangenen 70 Jahren nur wenige von deutschen Gerichten verurteilt worden. Wenn die Justiz jetzt das Signal aussenden wolle, sie sei inzwischen eine ganz andere, so dürfe das bei der Urteilsfindung keine Rolle spielen, sagte Waterkamp. Das Urteil soll am Donnerstag verkündet werden.

© dpa-infocom, dpa:200720-99-861002/2

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Erstellt:
20. Juli 2020, 16:39 Uhr

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