Ehepaar adoptiert Erwachsene aus Rumänien

Ulrich und Mirjam Hönig haben bereits drei erwachsene Kinder. Sie adoptieren Ancsa aus Rumänien. Ihr viertes Kind ist nun ihre älteste Tochter. Während des Sozialen Jahres ihrer Tochter Anna in dem südosteuropäischen Land startet die Auenwalder Familie das Projekt Rumänienhilfe.

Familie Hönig ist plötzlich zu sechst (von links): Ancsa (33), Ulrich (52), Mirjam (49), Finn (17), Anna (21) und Lena (24). Fotos: privat

Familie Hönig ist plötzlich zu sechst (von links): Ancsa (33), Ulrich (52), Mirjam (49), Finn (17), Anna (21) und Lena (24). Fotos: privat

Von Florian Muhl

Auenwald. „Wir haben unsere Tochter Anna in Rumänien besucht, haben gesehen, wie ärmlich die Leute dort leben, und auf dem Rückflug haben wir uns überlegt, dass wir die Rumänienhilfe starten. Dadurch haben wir Ancsa kennengelernt und uns zur Adoption entschlossen.“ Ulrich Hönig schafft es tatsächlich, all das, was sich in den vergangenen knapp anderthalb Jahren ereignet und das Familienleben völlig umgekrempelt hat, in nur zwei Sätzen zusammenzufassen. Ancsa hatten sie alle in ihr Herz geschlossen. Auch wenn das Erbe später mal nicht durch drei, sondern durch vier geteilt wird, wie der Dirigent und Chorleiter aus Auenwald-Hohnweiler anmerkt, hatten die drei leiblichen Kinder keine Einwände gegen die Adoption.

Aber jetzt der Reihe nach: Tochter Anna entschließt sich, nach ihrem Abi am sozialwissenschaftlichen Gymnasium Backnang ein Freiwilliges Soziales Jahr zu machen. Aber im Ausland. Deswegen ist es kein FSJ, sondern ein IJFD, „ein Internationaler Jugendfreiwilligendienst“, wie die 21-Jährige erklärt. Ihr Traumziel, die Philippinen, ist wegen Corona geplatzt. Sie überbrückt die Zeit, jobbt und wechselt zu einem anderen IJFD-Anbieter, der ihr Rumänien als Einsatzstelle empfiehlt. „Innerhalb von einem Monat konnte ich sogar schon ausreisen.“ Das war am 20. Juni 2021, die Rückkehr am 31. Juli dieses Jahres. Verdient hat Anna nichts. Im Gegenteil. Sie musste pro Monat 530 Euro für Unterkunft, Miete, Versicherung und Seminare aufwenden. Spenden haben ihren Aufenthalt ermöglicht. „Wir gehen alle zur Liebenzeller Gemeinschaft nach Backnang“, erklärt Mirjam Hönig in diesem Zusammenhang. „Und in die Stiftskirche Backnang“, ergänzt ihr Mann.

Kinder erhalten ein Zuhause und eine Perspektive für ihr Leben

Annas Einsatzstelle war Cristuru-Secuiesc. Obwohl der kleine Ort mitten in Rumänien liegt, handelt es sich um einen ungarischen Bezirk. „Dort spricht man nur Ungarisch“, sagt die 21-Jährige. Ziel des CVJM-Vereins Domus, der in der Gegend dort zwei Archen und ein Jugendhaus unterhält, ist es laut Anna, „Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen ein Zuhause zu geben und eine Perspektive für ihr Leben“. Die Arbeit dort steht auf fünf Säulen: „Zum einen wollen wir den Kindern christlichen Glauben vermitteln.“ Schulische Bildung ist die zweite Säule. Das sei aber sehr heikel. „Manche Kinder gehen in die Schule, die meisten aber kaum bis nie. Manche können gar nichts, nicht mal Farben, nicht mal Zahlen.“ Es gebe zwar eine Schulpflicht, aber diese werde selten kontrolliert, die Polizei traue sich kaum in die Roma-Siedlung hinein. Die drei weiteren Säulen sind Musik und Kreativität, Ernährung und Körperpflege sowie Sport und Spiel. Alle drei Wochen war die deutsche Volontärin in der Hauswirtschaft eingesetzt, beispielsweise in der Küche. Gekocht wurde für alle Kinder und die rund 25 Mitarbeiter. Acht Kilogramm Kartoffeln schälen war da keine Seltenheit. Die Arbeit von Domus wird finanziert über Spenden, zunehmend aber auch durch den Gewinn aus dem Secondhandkaufhaus.

Ohne ein Wort Ungarisch zu sprechen hat Anna dort begonnen. Nach einem Jahr beherrscht sie nun die Sprache recht gut. Ihr Fazit: „In meiner Persönlichkeit und meinem christlichen Glauben bin ich sehr gewachsen. Und ich durfte viele unterschiedliche Menschen kennenlernen.“

„Wir waren geschockt über die ärmlichen Verhältnisse“

Ende Oktober vergangenen Jahres waren Ulrich und Mirjam Hönig mit Tochter Lena zum ersten Mal für eine Woche in Rumänien, um ihre jüngste Tochter zu besuchen. Ihnen ist es genauso ergangen wie Anna bei ihrer Ankunft im Juni. „Wir waren geschockt über die ärmlichen Verhältnisse, die Kinder haben keine eigene Kleidung, laufen im Winter barfuß durch den Schnee“, schildert der Familienvater seine Beobachtungen. „Alles, was ein bisschen Geld bringt, verkaufen die Eltern und kaufen sich dann Alkohol.“ Bereits beim Flug zurück beschließen sie zu helfen und starten das Projekt Rumänienhilfe.

„Dann waren wir im Januar noch mal dort, weil wir dann zwischenzeitlich unsere Tochter Ancsa kennengelernt haben, und die haben wir zu ihrem Geburtstag besucht“, sagt Ulrich Hönig. „Und dann waren wir im April mit der ersten Hilfslieferung dort, mit zwei Fiat Ducato und Anhängern, und haben lauter Elektrogeräte runtergefahren. Und jetzt im Juli haben wir noch einen Opel Zafira gespendet bekommen, der von Domus-Mitarbeitern abgeholt wurde.“

Ancsas Eltern waren kurz nach ihrer Geburt gestorben

„Bei unserem ersten Besuch haben wir auch Ancsa, eine Kollegin von Anna, kennengelernt“, schildert Ulrich Hönig. Zurück in Deutschland habe er die Idee gehabt, für alle Mitarbeiter dort Weihnachtsgeschenke zu machen. Aber was besorgen? „Eher zufällig habe ich die Ancsa per Facebook angeschrieben, weil wir uns ja begegnet waren. Ich fragte sie, ob sie mir helfen könnte und mir schreiben könnte, welcher Mitarbeiter was benötigt.“ So ist ein reger Austausch entstanden, bei dem mehr und mehr auch über Privates gesprochen wurde, alles über Google-Übersetzer. „So haben wir erfahren, dass sie im Kinderheim aufgewachsen ist. Sie hat keine Eltern, die sind kurz nach der Geburt gestorben.“ Und irgendwann war auch die Frage an Ancsa, was sie sich denn zu Weihnachten wünscht. Ulrich Hönig weiß ihre Antwort noch genau: „Sie hat gesagt, sie wünscht sich eigentlich nichts, sie wollte eigentlich immer nur Eltern. Das war ihr größter Wunsch. Irgendwie hat das dann halt bei uns gesessen.“

Ulrich Hönig (mit gelber Tüte) bei seinem ersten Hilfstransport im April dieses Jahres.

Ulrich Hönig (mit gelber Tüte) bei seinem ersten Hilfstransport im April dieses Jahres.

Für den nächsten Transport sucht Ulrich Hönig dringend einen Transporter

Rumänienhilfe Ulrich Hönig stellt sein Projekt vor:

„Wir organisieren eigene Hilfstransporte von Küchen- und Haushaltselektrogeräten für bedürftige Menschen in Rumänien (Großraum Cristuru-Secuiesc).

Unsere Zieladresse dort ist der Verein Domus Rumänienhilfe Deutschland.

Dort unterstützen wir die Mitarbeiter der zwei Archen und des Secondhandkaufhauses sowie Familien.

Küchen- und Haushaltsgeräte werden dort dringend benötigt.“

Vorgehensweise „Wir sammeln Geldspenden zum Kauf eines Transporters mit Anhänger. Dieser wird mit Elektrogeräten gefüllt und nach Cristuru gefahren, wo die Geräte verteilt und angeschlossen werden. Das Transportergespann wird an den Verein Domus gespendet. Anschließend fliegen wir zurück und sammeln für den nächsten Transport.

Transporter werden für die Versorgung der Archen und für die Auslieferung von Waren durch das Secondhandkaufhaus benötigt.“

Transport Der nächste Transport startet am Freitag, 28. Oktober, um 13 Uhr. Dafür wird noch ein Transporter, Sprinter oder Fiat Ducato gesucht. Zudem sucht Hönig noch Lagerflächen im Raum Backnang.

Spenden Ulrich Hönig betont, dass die Spenden zu 100 Prozent in Rumänien ankommen. Administrative Kosten werden von den ehrenamtlichen Mitarbeitern selbst getragen. Kontakt-E-Mail: ulrich-hoenig@web.de, Telefon: 0152/32076262.

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Erstellt:
27. September 2022, 16:00 Uhr

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