Ein Abschied und ein Neuanfang: SPD wählt eine neue Spitze

dpa Berlin. Jetzt zählt es: Die SPD wählt ihre neue Doppelspitze. Das Ergebnis dürfte auch die Zukunft der großen Koalition beeinflussen. Eine ihrer Verfechterinnen kehrt Berlin zugleich endgültig den Rücken.

Muster-Stimmzettel für die Mitglieder-Abstimmung über den SPD-Vorsitz. Foto: Bernd von Jutrczenka/dpa

Muster-Stimmzettel für die Mitglieder-Abstimmung über den SPD-Vorsitz. Foto: Bernd von Jutrczenka/dpa

Während die ersten SPD-Mitglieder über ihre Nachfolge abstimmen, zieht Andrea Nahles den endgültigen Schlussstrich. Sie werde zum 1. November auch ihr Bundestagsmandat niederlegen, schrieb die 49-Jährige am Montag an Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble (CDU).

Für die SPD bedeutet das Ende und Neuanfang am gleichen Tag: Die Ex-Parteichefin zieht sich endgültig aus der Berliner Politik zurück - zugleich beginnt die Urwahl für ihre Nachfolge. Fast zwei Wochen haben die rund 430.000 SPD-Mitglieder in ganz Deutschland nun Zeit, die neue Parteiführung zu wählen.

Wochenlang haben sich die Kandidaten dafür in ganz Deutschland vorgestellt. Ein „weiter so“, dürfe es nicht geben, sagten alle. Doch ein durchschlagendes Konzept, ein neuer Politikentwurf für die Sozialdemokratie trat bei den 23 Regionalkonferenzen nicht zu Tage. Generalsekretär Lars Klingbeil zeigte sich am Montag trotzdem beflügelt: „Die SPD lebt“, sagte er. „Ich bin ganz glücklich, über die Leidenschaft und Energie, die ich erleben durfte.“

Zugleich sagte Klingbeil, nach der Wahl müssten alle Kandidaten ihre eigenen Eitelkeiten zurückstecken und das Gewinnerteam unterstützen. Dass er das betont, zeigt: eine solche Einstellung war zuletzt nicht selbstverständlich. Auch mit Nahles war die SPD vor ihrem Rücktritt im Sommer nicht immer fair umgegangen, nach dem Desaster bei der Europawahl sei vieles unter die Gürtellinie gegangen, hieß es aus der Fraktion.

Jetzt wagt die Partei Neues: Es steht so gut wie fest, dass die SPD künftig von einer Doppelspitze geführt wird. Auf dem Stimmzettel stehen sieben Teams. Eins zuviel, denn der Rückzug der Parteilinken Hilde Mattheis und Dierk Hirschel am Wochenende kam zu spät: Die Abstimmungsunterlagen waren schon gedruckt. Klingbeil warnte: „Wer dort sein Kreuz macht, macht seine Stimme ungültig.“

Zur Wahl stehen also sechs Duos, das Rennen scheint völlig offen. Die besten Chancen werden den Teams Olaf Scholz/Klara Geywitz, Norbert Walter-Borjans/Saskia Esken und Christina Kampmann/Michael Roth eingeräumt. Etwas weniger Hoffnungen dürfen sich Boris Pistorius und Petra Köpping, Gesine Schwan und Ralf Stegner sowie Nina Scheer und Karl Lauterbach machen.

Bis zum 25. Oktober können die SPD-Mitglieder abstimmen - online oder per Brief. Am Online-Verfahren gibt es allerdings Kritik: Es könne nicht überprüft werden, ob alle Klicks richtig gewertet wurden, erklärte Ex-Politiker Christopher Lauer. Klingbeil betonte, die SPD habe höchsten Wert auf eine sichere Abstimmung gelegt. Das Programm erfülle die gleichen Standards wie in Ländern, wo es Online-Abstimmungen durch den Staat gebe.

Am 26. Oktober soll das Ergebnis vorliegen. Es gilt allerdings als wahrscheinlich, dass kein Team mehr als 50 Prozent der Stimmen bekommt und eine Stichwahl nötig wird. Formal muss der neue Vorstand Anfang Dezember auf einem Parteitag gewählt werden. Theoretisch könnte es hier auch spontane Kandidaturen geben - Fernseh-Satiriker Jan Böhmermann hat einen solchen Versuch angekündigt. Es gilt aber als unwahrscheinlich, dass er genügend Delegierte für sich gewinnen kann, um antreten zu dürfen.

Vielen gilt die Wahl auch als Vorentscheidung über die Zukunft der großen Koalition. Denn die SPD will im Dezember Halbzeitbilanz ziehen - und über einen möglichen Ausstieg entscheiden. Dabei dürfte die Einstellung der neuen Parteispitze viel Gewicht haben. Bisher hat allerdings nur das Duo Scheer/Lauterbach deutlich gesagt, dass sie aus der großen Koalition aussteigen wollen.

Schon vor dem Rücktritt von Nahles als Partei- und Fraktionschefin im Sommer hatte die SPD einen Linksschwenk vollzogen und ihr Profil als Sozialstaats-Partei geschärft. Klingbeil dankte am Montag Nahles dafür, dass sie mit „ganz viel Kraft“ den Umbruch angestoßen habe. Dass sie sich jetzt komplett aus Berlin zurückziehe, „das ist natürlich was, was an mir persönlich nicht vorbeigeht“, betonte er.

Auch die kommissarische Parteichefin Malu Dreyer dankte Nahles „für all das, was sie als Politikerin, Abgeordnete, Ministerin und nicht zuletzt Fraktions- und Parteivorsitzende erreicht hat. Für die Menschen in unserem Land. Für die SPD“. Ihr Weggang aus der Bundespolitik hinterlasse eine große Lücke. Die 49 Jahre alte Nahles will sich beruflich neu orientieren.

Eine Entscheidung über ihre Nachfolge im Bundestag steht noch aus. Offizieller Nachfolger auf der SPD-Landesliste ist der für Innovation und Technologie zuständige Abteilungsleiter im rheinland-pfälzischen Wirtschaftsministerium, Joe Weingarten. In der dortigen SPD ist er allerdings umstritten. Im vergangenen Jahr hatte er mit der Einteilung von Geflüchteten in die Gruppen Asylsuchende, Arbeitssuchende und „Gesindel“ Kritik ausgelöst. In einem Beitrag für das Online-Magazin „Merkurist“ plädierte er kürzlich dafür, mehr mit denjenigen zu reden, „die rechts der Mitte stehen und sich im allgemeinen linksliberalen Mainstream nicht mehr aufgehoben fühlen“.

Zum Artikel

Erstellt:
14. Oktober 2019, 19:00 Uhr

Artikel empfehlen

Artikel Aktionen