„Ein Baum für jedes Backnanger Kind“

Das Interview: OB Frank Nopper kündigt lokales Klimaschutzkonzept an – Für Bauprojekte will er eine Sozialquote einführen

Klimaschutz, Kinderbetreuung, Wohnungsnot, IBA-Projekt – die Backnanger Kommunalpolitik steht vor vielen Herausforderungen. Wie er diese mit einem neu zusammengewürfelten Gemeinderat mit vielen Neulingen meistern will, verrät Oberbürgermeister Frank Nopper im großen Jahresinterview mit unserer Zeitung.

In die Internationale Bauausstellung 2027 setzt Frank Nopper große Hoffnungen: „Das IBA-Projekt ist die größte städtebauliche Herausforderung für Backnang nach dem Krieg, vielleicht sogar in der gesamten Stadtgeschichte“, sagt der Oberbürgermeister. Fotos: A. Becher

© Alexander Becher

In die Internationale Bauausstellung 2027 setzt Frank Nopper große Hoffnungen: „Das IBA-Projekt ist die größte städtebauliche Herausforderung für Backnang nach dem Krieg, vielleicht sogar in der gesamten Stadtgeschichte“, sagt der Oberbürgermeister. Fotos: A. Becher

Von Kornelius Fritz

Die neue EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat angekündigt, dass Europa bis 2050 ein klimaneutraler Kontinent werden will. Welchen Beitrag kann und will die Stadt Backnang zu diesem Ziel leisten?

Wir haben schon viel getan, müssen und wollen aber noch mehr tun. Die größten Klimaschutzmaßnahmen der vergangenen Jahre waren wohl die Verlängerung der S4 bis Backnang, die Taktverdichtung auf der S3 sowie die Attraktivierung von Regionalbahn und Regionalexpress. Auch bei der Umstellung der Beleuchtung von Straßen und öffentlichen Gebäude auf LED sowie bei der Gebäudesanierung haben wir bereits enorm viel getan. Und wir werden dies fortsetzen. Im kommenden Jahr wollen wir überdies ein Projekt zur Energieeinsparung an der Plaisirschule angehen. Eine Klasse der Plaisirschule hat uns gefragt, was sie konkret für den Klimaschutz tun kann. Das wollen wir aufgreifen und gemeinsam Maßnahmen ergreifen. Im Übrigen beabsichtigen wir auch ein Klimaschutzprojekt mit besonderem Charme: Wir erwägen, für jedes in Backnang geborene Kind oder für jedes in Backnang getraute Brautpaar einen Baum zu pflanzen, und suchen gerade nach geeigneten Standorten.

Viele Städte haben bereits eigene Klimaschutzkonzepte erarbeitet. Wann wird es so etwas auch in Backnang geben?

Wir haben im Rahmen der Haushaltsberatungen eine Vielzahl von Anträgen von verschiedenen Fraktionen zum Thema Klimaschutz erhalten. Wir halten es aber nicht für sinnvoll, diese einzeln zu beantworten, sondern wir brauchen eine Gesamtkonzeption. Diese wollen wir dem Gemeinderat im Verlauf des Jahres 2020 vorlegen, möglichst noch vor der Sommerpause.

Wird dieses Konzept auch eine konkrete Zielsetzung enthalten, bis wann Backnang klimaneutral sein soll?

Das kann ich heute noch nicht sagen. Ich glaube aber, beim Thema Klimaschutz sollte es nicht darum gehen, hehre Ziele zu formulieren, sondern darum, konkrete und wirkungsvolle Maßnahmen vorzuschlagen und diese dann auch umzusetzen.

Über Backnang schwebt noch immer das Damoklesschwert eines Diesel-Fahrverbots, nachdem der Stickoxidgrenzwert an der Eugen-Adolff-Straße in den vergangenen Jahren überschritten wurde. Dieses Jahr wurden nun erste Maßnahmen zur Luftreinhaltung umgesetzt, unter anderem wurden zwei alte Gebäude abgebrochen, um die Durchlüftung zu verbessern, und Tempo 40 eingeführt. Reicht das, um den Grenzwert einzuhalten?

Jedenfalls lagen wir im Oktober 2019 an der Eugen-Adolff-Straße unter dem Grenzwert von 40 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft. Und ich bin nach wie vor zuversichtlich, dass der Kelch eines zonalen und erst recht eines flächendeckenden Diesel-Fahrverbots an uns vorübergeht.

Unsere Zeitung hat vor der Kommunalwahl eine repräsentative Umfrage in Backnang durchführen lassen. Dabei kam heraus, dass der Verkehr und die vielen Staus für die Backnanger das größte Ärgernis in ihrer Stadt sind. Und Backnang soll weiter wachsen. Wie wollen Sie einen Verkehrsinfarkt in den nächsten Jahren vermeiden?

Das wollen wir dadurch vermeiden, dass wir noch mehr Verkehr als bisher auf die bis 2026 hoffentlich vierspurig ausgebaute B14 bringen wollen. Und wir wollen es auch dadurch erreichen, dass mehr Leute auf Linienbusse und S-Bahn umsteigen und nicht zuletzt auch aufs Fahrrad.

Sind auch neue Straßen ein Thema, etwa die oft diskutierte Direktverbindung von der Weissacher Straße zur Gartenstraße?

Die Nordtangente ist schon seit Jahrzehnten im Gespräch. Ich sehe in den nächsten Jahren eher keine realistische Perspektive für dieses Straßenbauprojekt – unter Naturschutzaspekten, aber auch aus finanziellen Gründen nicht.

Im Mai haben die Backnanger einen neuen Gemeinderat gewählt. CDU und SPD haben Sitze verloren, die Grünen wurden gestärkt, drei neue Gruppen sind mit dabei, darunter auch die AfD. Spüren Sie Veränderungen in der Zusammenarbeit mit dem Gemeinderat?

Man spürt, dass sich der neue Gemeinderat erst finden muss und dass viele neue Stadträte dabei sind, die sich in die Themen erst einarbeiten müssen. Aber ich bin zuversichtlich, dass wir auch in der neuen Formation zu vernünftigen Entscheidungen und zu einem guten Einvernehmen kommen.

Bei der Erhöhung der Gewerbesteuer und bei der Einführung des Stadttickets ist der Gemeinderat zuletzt zweimal nicht Ihren Empfehlungen gefolgt. Rechnen Sie damit, dass Sie künftig häufiger überstimmt werden?

Ja, ich gehe davon aus, dass die Verwaltung in einer so zerklüfteten und fragmentierten Struktur des Gemeinderats mit wechselnden Mehrheiten operieren muss und hin und wieder auch mit ihren Vorschlägen nicht durchdringen wird. Damit müssen und können wir leben.

In den vergangenen Jahren konnte der Backnanger Gemeinderat dank der boomenden Wirtschaft viele Wünsche erfüllen. 2020 und dann auch in den Folgejahren ist das nur noch zum Preis einer hohen Neuverschuldung möglich. Trotzdem wurde das Investitionsprogramm kaum abgespeckt. Besteht nicht die Gefahr, dass man über seine Verhältnisse lebt?

Ja sicher, die Gefahr besteht. Deswegen müssen wir immer wieder hinterfragen, was möglich und leistbar ist. Aber die großen Projekte, die wir bereits angestoßen haben, wie der Neubau der Karl-Euerle-Halle und die Modernisierung des Bahnhofs, das sind Züge, die schon mit hoher Geschwindigkeit fahren und die eine enorme Bedeutung für die Bürgerschaft der Stadt haben. Die sollte man nicht mehr stoppen. Aber wir sollten uns auch erst mal auf diese Projekte konzentrieren. Mit mehr würden wir uns im Übrigen nicht nur finanziell, sondern auch personell überfordern.

Ein enormer Kostenfaktor ist die Kinderbetreuung. In Ihrer Haushaltsrede haben Sie vorgerechnet, dass sich der Abmangel der Kindertagesstätten innerhalb von zehn Jahren fast verdreifacht hat. Und der Betreuungsbedarf ist trotzdem noch nicht gedeckt.

Der Betreuungsbedarf ist Stand heute gedeckt, und der ganz überwiegende Teil der Kinder erhält auch den gewünschten Kindergarten- oder Kitaplatz, jedenfalls nach einer gewissen Wartezeit. Im nächsten Jahr laufen wir aber in der Tat Gefahr, dass wir um die 100 Plätze zu wenig haben. Deswegen setzen wir darauf, dass das Land einlenkt und vorübergehend eine Erhöhung der Gruppengrößen zulässt.

Kann das die Lösung sein: statt neue Kindergärten bauen einfach mehr Kinder in die vorhandenen stecken?

Nein, das ist keine dauerhafte Lösung, aber wir brauchen für die Baumaßnahmen einfach Zeit und im Übrigen wird es auch immer schwieriger, zusätzliche Erzieherinnen und Erzieher zu finden. Es ist lediglich angedacht, die Gruppengröße für zwei bis maximal drei Jahre von 25 auf 27 zu erhöhen.

Selbst wenn neue Krippen und Kindergärten erst in drei Jahren gebraucht werden, müsste man doch eigentlich schon heute mit der Planung dafür beginnen.

Bei der Planung und Belegung von Kindergärten gibt es jede Menge Unsicherheiten: Wie viele Kinder ziehen tatsächlich zu? Wie viele Kinder unter drei Jahren kommen tatsächlich in die Kindertagesstätte? Deshalb müssen wir den Spagat versuchen, entlang des Bedarfs zu planen, aber auch nicht über den Bedarf hinaus. Denn das wäre eine Fehlinvestition von Steuermitteln. Deswegen sind hier Umsicht und Pragmatismus ganz besonders gefordert.

Bringt der Rechtsanspruch auf einen Kitaplatz die Stadt an ihre finanziellen Grenzen?

Ja, dieser Rechtsanspruch bringt eine Stadt, die wie wir einen relativ hohen Anteil von jungen Familien hat, schon an die Grenzen der Finanzierbarkeit. Und ich denke, man muss auf übergeordneter Ebene intensiv darüber nachdenken, ob die Kommunen das auf Dauer in diesem Umfang stemmen können. Wir bekommen zwar Zuschüsse vom Land, aber die reichen bei Weitem nicht aus, um die Kosten abzudecken.

Backnang hat sich mit dem Quartier West für die Internationale Bauausstellung 2027 beworben. Zurzeit können die Backnanger in einem Bürgerdialog ihre Ideen einbringen. Nun können sich Bürger und Planer viel ausdenken, umsetzen und finanzieren müssen es aber am Ende die privaten Grundstückseigentümer, unter ihnen der eigenwillige Riva-Chef Hermann Püttmer. Glauben Sie, dass es gelingen kann, sie alle hinter einem gemeinsamen Konzept zu versammeln?

Ich hoffe und setze darauf, dass dies gelingt. Wir werden nach Abschluss des Wettbewerbs im kommenden Jahr wissen, was dort entstehen kann und soll. Das IBA-Projekt ist die größte städtebauliche Herausforderung für Backnang nach dem Krieg, vielleicht sogar in der gesamten Stadtgeschichte. Auf 15 Hektar soll Neues und Innovatives entstehen. Die bisher geführten persönlichen Gespräche stimmen mich sehr optimistisch, dass wir in diesem Quartier eine konsensuale Lösung mit Gemeinderat, Bürgerschaft und allen Beteiligten hinbekommen.

In sieben Jahren aus dem Nichts ein fertiges Quartier zu entwickeln, das man 2027 einem Fachpublikum aus aller Welt präsentieren kann, klingt ziemlich ambitioniert.

Stimmt, aber wieso sollten wir nicht ambitioniert sein?

Zuletzt ist in dem Gebiet jahrzehntelang so gut wie nichts passiert.

Ja, aber wir waren auch noch nie so konkret an der Weiterentwicklung dieses Quartiers dran wie heute. Und wenn ich es richtig sehe, haben wir noch nie ein städtebauliches Projekt mit einem solchen Nachdruck, mit einem solchen Impetus, mit einem solchen Maß an Bürgerbeteiligung vorangetrieben. Im Übrigen soll das Quartier in Abschnitten entwickelt werden, Teile davon auch erst nach 2027.

Eine Sorge, die man nicht nur bei diesem Projekt immer wieder hört, ist, dass dort nur hochpreisige Wohnungen für Gutbetuchte entstehen. Die SPD und auch andere fordern deshalb schon lange eine Sozialwohnungsquote für alle größeren Bauprojekte. Warum gibt es die in Backnang bis jetzt noch nicht?

Erstens wird das Quartier Backnang West kein Quartier werden, in dem es nur hochpreisige Wohnungen geben soll, vielmehr streben wir dort eine sozial ausgewogene Struktur an. Und zum Thema Quote: Wir haben versprochen, dass wir Anfang 2020 mit einem Vorschlag auf den Gemeinderat zugehen.

Das heißt, Sie wollen diese Quote auch?

Wir werden dem Gemeinderat eine angemessene und für Backnang passende Quote vorschlagen.

Zuletzt noch ein Ausblick: Im Juni 2020 feiert Backnang sein 50. Straßenfest. Was erwartet die Besucher zum Jubiläum?

Das ist ein ganz großes Jubiläum, und wir haben schon viele Ideen im Köcher. Der Straßenfestausschuss plant einen eigenen Straßenfestsong, einen Sternmarsch mit Musikvereinen und Fanfarenzügen, Stand-up-Paddling auf der Murr und viele weitere Überraschungen, die wir noch nicht verraten wollen.

Wird das Fest auch länger dauern als sonst?

Ich denke nicht, dass wir länger feiern werden, aber dafür umso intensiver und freudvoller.

Kommunalpolitische Analyse im Europazimmer des Backnanger Rathauses: OB Frank Nopper im Gespräch mit BKZ-Redaktionsleiter Kornelius Fritz.

© Alexander Becher

Kommunalpolitische Analyse im Europazimmer des Backnanger Rathauses: OB Frank Nopper im Gespräch mit BKZ-Redaktionsleiter Kornelius Fritz.

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Erstellt:
28. Dezember 2019, 06:00 Uhr

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