Ein Beitrag zur Verteilungsgerechtigkeit

Die Backnanger Stadträte stimmen im Ausschuss Technik und Umwelt der Schaffung von zwei Gemeinschaftsunterkünften für Flüchtlinge zu. Die Standorte Öhringer Straße und Aurelis-Areal erhalten ebenso wie die restlichen Vorsorgemaßnahmen den Segen aller Ausschussmitglieder.

Eine von zwei Gemeinschaftsunterkünften in Backnang kommt auf die Fläche zwischen der Öhringer Straße und der B14. Foto: A. Becher

© Alexander Becher

Eine von zwei Gemeinschaftsunterkünften in Backnang kommt auf die Fläche zwischen der Öhringer Straße und der B14. Foto: A. Becher

Von Matthias Nothstein

Backnang. Die Einigkeit war groß. Nicht zuletzt weil alle anderen Großen Kreisstädte im Rems-Murr-Kreis auch Gemeinschaftsunterkünfte unterhalten, stimmten die Mitglieder des Ausschusses Technik und Umwelt am Donnerstagabend dafür, dass die Stadt Backnang künftig wieder zwei solcher Flüchtlingsheime mit insgesamt 120 Plätzen anbietet. Nur Steffen Siggi Degler (AfD) votierte dagegen. Über die Standorte der beiden Unterkünfte mit jeweils 60 Plätzen in der Öhringer Straße und auf dem Aurelis-Areal (wir berichteten) sowie für weitere Beschlüsse zur Vorsorge auf dem Gebiet der Flüchtlingsunterbringung wurde extra abgestimmt, hier fiel der Beschluss sogar einstimmig.

Vonseiten des Landkreises warben Dezernent Peter Zaar und Simone Lebherz, die Leiterin des Fachbereichs Koordination und Flüchtlingsaufnahme, für die Schaffung der neuen Gemeinschaftsunterkünfte. Diese seien laut Zaar kein Schnellschuss, um etwa die Ukraineflüchtlingszahlen abdecken zu können, sondern sie seien vielmehr dafür nötig, eine langfristig gerechte Verteilung der Flüchtlinge im Landkreis gewährleisten zu können. Schließlich würden seit November vergangenen Jahres die Flüchtlingszahlen wieder stark ansteigen, unabhängig vom Krieg in der Ukraine.

Bei der Stadtverwaltung stieß Zaar auf großes Verständnis. So verwies etwa Erster Bürgermeister Siegfried Janocha darauf, dass selbst kleinere Gemeinden im Umland wie Aspach oder Kirchberg an der Murr Gemeinschaftsunterkünfte anbieten würden. „Wir haben seit 2018 aus verschiedenen Gründen keine Unterkünfte mehr. Deshalb ist die Verwaltung der Auffassung, dass jetzt die 120 Plätze, die gewünscht werden, als angemessen anzusehen sind und dass wir die Standorte aufgrund der Verteilungsgerechtigkeit unter den Rems-Murr-Kommunen auch in dieser Form akzeptieren sollten.“

Auch die Standorte Obere Walke und Mittelfeld werden weiterverfolgt

Die Entscheidung fiel den Verantwortlichen umso leichter, weil die Gemeinschaftsunterkünfte auch im Verhältnis 1:3 auf die Anschlussunterbringungsquote angerechnet werden. Backnang braucht also künftig weniger Flüchtlinge in der Anschlussunterbringung zu versorgen. Bei der Abwägung der Vor- und Nachteile habe sich gezeigt, dass nicht nur die beiden ausgewählten Standorte geeignet sind, sondern auch die Standorte Mittelfeld beim Tennisheim in Richtung Ungeheuerhof sowie ein Grundstück auf der Oberen Walke in der Gartenstraße. Janocha: „Alle vier Standorte sind machbar. Wir wollen die Unterbringungen auf das gesamte Stadtgebiet verteilen und so keine großen, sondern vielmehr kleine Einheiten mit jeweils 60 Plätzen schaffen.“

Weil die Flüchtlingszahlen im November 2021 sprunghaft gestiegen sind und der Trend in den ersten Monaten dieses Jahres unabhängig vom Ukrainekrieg anhält, hat sich die Stadtverwaltung nun nicht nur für die beiden Standorte für die Gemeinschaftsunterkünfte ausgesprochen. Im Gegenteil. Aufgrund der aktuellen Situation und der schwer abschätzbaren Situation in der Ukraine sollen auch an den Standorten Gartenstraße und Mittelfeld bei entsprechender Entwicklung der Flüchtlingszahlen Unterkünfte ermöglicht werden. Somit lautete auch ein Beschlusspunkt: „Die Verwaltung wird beauftragt, die notwendigen rechtlichen Schritte einzuleiten und Verträge abzuschließen.“

Janocha lobte wie einige Stadträte auch die Bereitschaft in der Bevölkerung, Ukrainer bei sich privat aufzunehmen. Auf dem Gebiet der Verwaltungsgemeinschaft Backnang seien etwa 270 Ukrainer registriert, davon über 100 im Stadtgebiet.

Aber Heinz Franke (SPD) gab wie etwa Ute Ulfert (CDU) auch zu bedenken: „Diese Hilfe, die Unterbringung in Privatwohnungen, ist endlich.“ Willy Härtner (Grüne) warb ebenso für den Weitblick: „Die Unterkünfte bei den Tennisplätzen brauchen wir wohl, wenn die Entwicklung so weitergeht.“ Gerhard Ketterer (CDU) hingegen mahnte, die Integration nicht zu vernachlässigen, wenn die Flüchtlinge an den Stadtrand gedrängt werden. Bei der Abwägung des Für und Widers eines Standorts gehöre der Faktor Mensch stärker berücksichtigt als beispielsweise nur die baulichen Vor- oder Nachteile. Dies sah Janocha ebenso. Allerdings bat er auch um Verständnis, Standorte zu bevorzugen, bei denen etwa Baurecht besteht oder die im Eigentum der Stadt sind: „Uns brennt der Kittel.“ Karl Scheib (BfB) lobte die Auswahl der Standorte und bemerkte: „Bitte nicht mehr irgendwelche Sporthallen belegen, lieber mehr Container aufstellen.“ Schließlich sei schon wegen Corona viel Sportunterricht ausgefallen und es werde ohnehin die Euerle-Halle wegfallen. Dies garantierte Janocha. Er erinnerte an die schwierigen Zeiten 2015. Damals ging es nicht anders, als die Halle bei den beruflichen Gymnasien zu nutzen. Franke ergänzte, Sporthallen sollten nicht nur deshalb nicht gewählt werden, weil dann der Sportunterricht ausfallen müsse, sondern auch wegen ihrer Größe, die zu Problemen innerhalb der Bewohner führen würde. Auch er plädierte dafür, schnellstmöglich alle vier Standorte zu realisieren.

Drei Ankunftszentren in Kaisersbach, Waiblingen und Fellbach mit 196 Plätzen

Zugang Asylbegehrende Die Zahl der Asylbegehrenden, die nach der Registrierung in Baden-Württemberg verblieben, hat sich wie folgt entwickelt: Vom Höchststand im Jahr 2015 von 97822 sank die Zahl kontinuierlich bis 2020 auf 6825 Asylsuchende. Im Vorjahr stieg sie wieder auf 14442 an, Tendenz steigend. Allein im November 2021 wurden 2687 Flüchtlinge registriert. Der Rems-Murr-Kreis erhält 4,57 Prozent aller Flüchtlinge zugeteilt. Die Zuweisung des Landes an den Landkreis stieg demzufolge von 26 Asylbewerbern im Februar 2021 auf 113 im November. Aufgrund der Einwohnerzahl müsste Backnang 2021 von 720 Flüchtlingen rechnerisch 8,79 Prozent übernehmen, also 63 Personen. Da es keine Gemeinschaftsunterkunft (GU) in Backnang gab, erhöht sich der Anteil der Flüchtlinge in der Anschlussunterbringung (AU) um 21 Personen. Die eigentliche Aufnahmeverpflichtung für 2022 in der AU von 67 Personen steigt so um 21 auf 88.

Ukraineflüchtlinge Die Menschen, die derzeit vor dem Krieg in der Ukraine flüchten, müssen keinen Asylantrag stellen. Derzeit sind es über 300000 Menschen in Deutschland. Nach dem Königsteiner Schlüssel muss der Rems-Murr-Kreis 0,5 Prozent dieser Menschen aufnehmen, das sind 1500. Tatsächlich sind bereits 1700 Ukrainer im Landkreis registriert.

Ankunftszentren Der Landkreis betreibt derzeit drei Ankunftszentren in Kaisersbach, Waiblingen und Fellbach mit insgesamt 196 Plätzen. Die derzeitige Lage ist laut Simone Lebherz nicht mit 2015 zu vergleichen, da alle Akteure viel mehr Erfahrung hätten. Die Quadratmeterzahl, die jedem Flüchtling zur Verfügung steht, wurde von 4,5 auf 7 erhöht, was sich sehr positiv auswirke. Es gibt zusätzliche Räume in den Unterkünften fürs Lernen und für die Arbeit der Ehrenamtlichen sowie Quarantänezimmer. Auch die Betreuung durch Sozialarbeiter sei viel besser, ebenso das Unterkunftsmanagement oder die Belegungssteuerung.

Gemeinschaftsunterkünfte Den Höchststand an Gemeinschaftsunterkünften gab es Ende 2016 mit 62 Gebäuden. Die Zahl verringerte sich bis Oktober 2019 auf 13 Unterkünfte und steigt seither auf nunmehr wieder 22 Unterkünfte. Die Kapazität beträgt aktuell 1230 Plätze, davon sind 1020 Plätze belegt.

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Erstellt:
9. April 2022, 06:00 Uhr

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