„Ein großer Erfolg für die Frauen“

Erstmals in der Geschichte des Wahlkreises Backnang/Schwäbisch Gmünd könnte nächstes Jahr eine Frau das Direktmandat gewinnen: Inge Gräßle setzte sich bei der CDU-Nominierungsversammlung gegen zwei männliche Konkurrenten durch.

Der CDU-Bundestagsabgeordnete Norbert Barthle gratuliert seiner möglichen Nachfolgerin: Nach acht Jahren im Landtag und 15 Jahren im Europaparlament will Inge Gräßle 2021 in den Bundestag einziehen. Foto: W. Schmidt/staufer.press

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Der CDU-Bundestagsabgeordnete Norbert Barthle gratuliert seiner möglichen Nachfolgerin: Nach acht Jahren im Landtag und 15 Jahren im Europaparlament will Inge Gräßle 2021 in den Bundestag einziehen. Foto: W. Schmidt/staufer.press

Von Kornelius Fritz

GSCHWEND. Bei der Wahl des Termins hatte die CDU ein glückliches Händchen bewiesen. Gerade noch rechtzeitig, bevor die Landesregierung die Teilnehmerzahl für Veranstaltungen auf 100 begrenzte, trafen sich am Freitagabend rund 250 Parteimitglieder in der Gschwender Mehrzweckhalle, um ihren Kandidaten für die Bundestagswahl 2021 zu nominieren. In Coronazeiten ist das schon fast eine Großveranstaltung.

Das große Interesse der Parteibasis kam nicht von ungefähr: Nachdem der langjährige Abgeordnete Norbert Barthle im Juni seinen Rückzug angekündigt hatte, versprach die Wahl spannend zu werden. Mit Inge Gräßle (59), Jan Ebert und Mustafa Al-Ammar (beide 42) stellten sich drei mögliche Nachfolger vor.

Nach den jeweils 15-minütigen Vorstellungsreden war allerdings absehbar, dass die Entscheidung zu einem Zweikampf werden würde. Denn Al-Ammar gelang es nicht, die Mitglieder mitzureißen, obwohl er mit Pathos nicht sparte („Ich bin stolz ein Deutscher zu sein und das ist meine Heimat“). In seiner Rede erklärte der im Irak geborene Kandidat, die Integrationspolitik sei gescheitert. Mit seinen internationalen Beziehungen wolle er als „Brückenbauer“ tätig werden und den Zusammenhalt stärken. Am Ende gab’s für ihn aber nicht mehr als höflichen Applaus.

Gräßle will Druck machen bei Ortsumfahrung Oppenweiler.

Ganz anders die Reaktionen bei Jan Ebert, der mit lang anhaltendem Beifall gefeiert wurde. Der Familienvater aus Kirchberg an der Murr hatte in seiner Rede mehr Innovationsgeist gefordert und sich als Anhänger einer wirtschaftsliberalen Politik präsentiert. Zum Beispiel beim Thema Umweltschutz: „Da brauchen wir keine Verbote, sondern Innovation und Marktwirtschaft“, sagte Ebert. Scharfe Kritik übte er daran, dass die Politik der Dieseltechnologie einseitig schade, obwohl diese wegen des geringeren Verbrauchs entscheidend zum Klimaschutz beitrage. „Das Zeitalter der Verbrennungsmotoren ist noch nicht zu Ende“, erklärte der 42-Jährige.

Ebert würde außerdem gerne Familien steuerlich entlasten, die Digitalisierung voranbringen und Asylverfahren beschleunigen. Dass er bislang noch keine große politische Erfahrung hat, sieht er nicht als Nachteil: „Unsere Wähler suchen Politiker, die sie verstehen und mit denen sie sich identifizieren können.“ Dafür sei er als „Kandidat aus der Mitte der Bevölkerung“ der Richtige.

Inge Gräßle, die als Letzte ans Rednerpult trat, spielte dagegen die Trumpfkarte Erfahrung aus. Deutschland stecke im größten Umbruch seit dem Zweiten Weltkrieg, zur Coronakrise komme die Strukturkrise in der Automobilindustrie, die den Wahlkreis Backnang/Schwäbisch Gmünd stärker treffe als viele andere: „Mit Erfahrung und Offenheit will ich diese schwierige Zeit des Wandels bewältigen, die vor uns liegt“, sagte die Heidenheimerin. Als ehemalige Landtags- und Europaabgeordnete wolle sie ihr Netzwerk in Berlin, Brüssel und Stuttgart nutzen, um etwa Fördergelder für den Wahlkreis zu gewinnen.

Auch bei großen Infrastrukturprojekten wie der Ortsumfahrung Oppenweiler werde sie in Berlin Druck machen. Und schließlich wolle sie sich dafür verkämpfen, dass der Wahlkreis erhalten bleibt. Vor der Bundestagswahl 2025 sollen nämlich 19 Wahlkreise aufgelöst werden, drei davon in Baden-Württemberg. Der Wahlkreis Backnang/Schwäbisch Gmünd zählt zu den Wackelkandidaten.

Wer nach den Reaktionen im Saal ein Kopf-an-Kopf-Rennen und vielleicht sogar einen zweiten Wahlgang erwartet hatte, sah sich getäuscht. Mit 133 zu 106 Stimmen fiel Gräßles Wahlsieg dann doch recht eindeutig aus. Mustafa Al-Ammar spielte wie erwartet keine Rolle und bekam lediglich vier Stimmen.

Gräßle versprach nach ihrer Nominierung, mit vollem Einsatz dafür zu kämpfen, das Direktmandat für die CDU zu verteidigen. Dass ihre Partei nun erstmals mit einer Bewerberin in den Wahlkampf zieht, sieht sie auch „als großen Erfolg für die Frauen“. Dem schloss sich Norbert Barthle an: „Mich freut’s, denn wir brauchen dringend mehr Frauen im Bundestag“, erklärte der amtierende CDU-Abgeordnete. Mit ihrer langjährigen politischen Erfahrung werde Inge Gräßle, wenn sie das Direktmandat gewinnt, in Berlin nahtlos übernehmen können. Jan Ebert zeigte sich nach seiner Niederlage enttäuscht: „Ich wollte einen Neuanfang und einen Generationswechsel, aber in der Krise zählt wohl mehr die Erfahrung“, sagte der Kirchberger. Ob er sich noch einmal um ein politisches Amt bewerben wird, ließ Ebert offen.

Kommentar
Auf Nummer sicher

Von Kornelius Fritz

Bei der Nominierung ihres Kandidaten für die Landtagswahl hatte die CDU-Basis im Juli den weitgehend unbekannten Georg Devrikis aufgestellt. Bei der Kandidatenkür für die Bundestagswahl ist eine solche Überraschung ausgeblieben: Mit Inge Gräßle hat der bekannteste Name im Bewerbertrio das Rennen gemacht.

Als ehemalige Europaabgeordnete und Landesvorsitzende der Frauenunion ist die Heidenheimerin parteiintern eine Hausnummer. Sie weiß, wie Politik funktioniert und ihr Wort wird innerhalb der CDU-Fraktion gewiss ein anderes Gewicht haben als das eines politischen Newcomers. So war Gräßle für ihre Parteifreunde die sichere Wahl, auch wenn sie mit 59 Jahren nicht mehr als Hoffnungsträgerin für die Zukunft taugt.

Ihren beiden Gegenkandidaten ist es allerdings auch nicht gelungen, dieses Manko zu nutzen. Jan Ebert präsentierte sich zwar rhetorisch versiert, doch von den neuen und frischen Ideen, für die er stehen will, war in seiner Bewerbungsrede nicht viel zu hören. Und bei Mustafa Al-Ammar wurde deutlich, dass ein Migrationshintergrund alleine noch kein politisches Programm ist.

Der Generationswechsel ist damit vertagt und vielleicht auch gar nicht mehr nötig, wenn Backnang, wie von vielen erwartet, in fünf Jahren dem Wahlkreis Waiblingen zugeschlagen wird.

k.fritz@bkz.de

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Erstellt:
19. Oktober 2020, 06:00 Uhr

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