Ein Jahr Hoeneß – wie der VfB sich rasant verändert hat

Mit klarer Linie hat der Trainer die Stuttgarter Mannschaft entwickelt. Das zeigt sich längst nicht nur an den erfolgreichen Ergebnissen.

Der Vater des Stuttgarter Höhenflugs: Sebastian Hoeneß.

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Der Vater des Stuttgarter Höhenflugs: Sebastian Hoeneß.

Von David Scheu

Stuttgart - Der VfB Stuttgart ist am Tiefpunkt, als er am 3. April 2023 seinen vierten Trainer in einer Saison präsentiert. Sebastian Hoeneß soll’s richten, den Tabellenletzten retten, das Schreckensszenario Abstieg abwenden. Und, notfalls, auch den Neuaufbau gestalten. „Ligaunabhängig“ gelte der Vertrag, teilt der Sportdirektor Fabian Wohlgemuth auf der Pressekonferenz im Bauch der Stuttgarter Arena mit. Ein Jahr später lässt sich festhalten: Auftrag übererfüllt. Der Stuttgarter Steigflug vom Relegationsteilnehmer zum Champions-League-Aspiranten sucht zwar nicht seinesgleichen in den Bundesliga-Annalen, denn der 1. FC Kaiserslautern wurde 1998 einst als Aufsteiger Meister. Ziemlich dicht dahinter reiht sich die rapide Entwicklung des VfB aber schon ein, die mehr als nur starke Ergebnisse umfasst. Wie hat sich der VfB unter seinem Erfolgscoach entwickelt?

Erfolg Der sportliche Erfolg unter Sebastian Hoeneß lässt sich ganz einfach erfassen: Tabellenplatz drei in der Bundesliga. Das ist zum einen das Ergebnis einer rasanten Entwicklung der VfB-Mannschaft unter dem Trainer, zum anderen aber auch das Resultat einer besonderen Herangehensweise. Hoeneß denkt zwar mittelfristig, wenn es um den Aufbau des Teams geht, aber er handelt kurzfristig, wenn er seine Elf auf das nächste Spiel ausrichtet. Keine Ablenkung durch andere Themen wird geduldet, der Fokus auf den kommenden Gegner ist Gesetz.

Dieses Konzentrationsvermögen hat der Chefcoach den lange launenhaften Stuttgartern vermittelt – in Verbindung mit einer klaren Mannschaftsführung. Hoeneß tritt den Spielern gegenüber ehrlich und authentisch auf. Er ist für sie berechenbar und er agiert konsequent. Das schafft Respekt innerhalb eines Kaders, der auch über eigenwillige Charaktere verfügt. So hat der 41-Jährige schon schwierige Situationen, wie die Torjäger Serhou Guirassy oder Deniz Undav nach Verletzungen auf die Bank zu setzen, souverän gemeistert. Das ist die Basis für das erfolgreiche Zusammenspiel zwischen Trainer und Mannschaft.

Spielweise Das Stuttgarter Spiel zählt in dieser Saison mit den Vorstellungen von Spitzenreiter Bayer Leverkusen zu den attraktivsten in der Liga. Der VfB agiert offensiv und mutig, der VfB verfügt über technische Finesse und reichlich Tempo, der VfB tritt variantenreich und effektiv auf. Da passt vieles – so wie die Attribute dieser Mannschaft zu Sebastian Hoeneß passen und andersherum die Vorstellungen dieses Trainers zum Talent des Teams.

Das ergibt nicht nur aktuell eine fußballerisch reizvolle Mischung, sondern auch perspektivisch. Das Team ist noch immer jung und der Reifeprozess in vollem Gange. Zumal es Hoeneß hinbekommen hat, den Spielern die defensiven Pflichten einzutrichtern, um die offensive Kür bieten zu können. Jetzt wird weniger für die Galerie und das eigene Ego mit dem Ball gezockt, sondern zielführend. Um zu gewinnen.

Konstant gut läuft das bisher. Mit wenigen Ausnahmen, als in vereinzelten Spielen die Haltung der VfB-Profis nicht durchgängig stimmte. Doch man muss auch bedenken, wo die Stuttgarter herkommen: aus der Abstiegsregion. Nun winkt die Champions League, weil Hoeneß mit seiner Arbeit die Spieler besser gemacht hat – und aus ihnen eine Einheit formt.

Reputation Das sehr ansehnliche Stuttgarter Spiel hat längst über die Grenzen Bad Cannstatts hinaus für Aufsehen gesorgt. Fußball-Deutschland spricht wieder über den VfB, es schwärmt fast schon. Die Anerkennung der Gegner übersteigt dabei regelmäßig das gängige Höflichkeitslob. Noch nie, befand etwa der Augsburger Kapitän Ermedin Demirovic nach dem 0:3 in Stuttgart, sei er in seiner Karriere so hergespielt worden: „Auch nicht von den Bayern.“ Die bundesweite Reputation ist damit nach Schlagzeilen über Abstiege und Trainerwechsel mächtig aufpoliert, selbst die derzeitigen vereinspolitischen Unruhen überlagern das nicht. Fraglos wichtiges Kapital für die Marke VfB.

Ein zentraler Markstein auf diesem Weg: das Viertelfinale im DFB-Pokal bei Bayer Leverkusen (2:3), in dem die Stuttgarter nahe am Limit spielten und sich mit dem ungeschlagenen Spitzenreiter einen Schlagabtausch auf Augenhöhe lieferten – live verfolgt im Free-TV von knapp sechs Millionen Zuschauern. „Die spielen teilweise einen schöneren Fußball als wir, das müssen wir akzeptieren“, sagte unlängst selbst Bayerns Ehrenpräsident Uli Hoeneß anerkennend über das Team seines Neffen Sebastian.

Kommunikation Taktik, Aufstellung, Spielzüge? Alles relevant, keine Frage. Für Sebastian Hoeneß ist aber noch etwas anderes zentral im täglichen Umgang mit der Mannschaft. „Eines ist mir einfach wichtig, das ist die Kommunikation, die Führung der Mannschaft“, sagt der Trainer. „Ich glaube, dass da viel Potenzial drin liegt.“ Immer wieder sucht der Trainer den Austausch mit seinen Spielern. Und gibt direktes, manchmal auch unbequemes Feedback. Die Folge: Jeder weiß, woran er ist. Und auch die Unzufriedenen mit wenig Spielzeit – die es auch gibt wie in Person von Silas Katompa oder Woo-yeong Jeong – scheren nicht aus. „Jeder in der Mannschaft ist mit ihm auf einer Wellenlänge“, sagt Kapitän Waldemar Anton.

Die Vertragsverlängerung des umworbenen Coaches darf man daher getrost als entscheidendes Signal für die Zukunft verbuchen. Die Herausforderungen für Hoeneß und den VfB werden zwar nicht kleiner mit Blick auf die gestiegene Erwartungshaltung und die anstehende Doppelbelastung durch den Einzug in das internationale Geschäft. Aber: Zu Ende ist der gemeinsame Weg noch lange nicht.

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Erstellt:
2. April 2024, 22:06 Uhr
Aktualisiert:
3. April 2024, 21:57 Uhr

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