Sprachprobleme in Japan
Ein KI-Kollege übersetzt für Fachkräfte
Im unter Arbeitskräftemangel leidenden Japan beginnt der Konzern Mitsubishi Electric, in einer Fabrik Übersetzungssoftware einzusetzen.

© Martin Holtkamp
Morgenbesprechung in der Produktion von Mitsubishi Electric
Von Felix Lill
Erst einige Monate ist es her, da hatte Michelle Fukuda noch täglich Angst, etwas Wichtiges nicht mitzukriegen. „Bei den Ansprachen jeden Morgen wird uns erklärt, welche Produkte wir fertigen und worauf wir achten müssen.“ Seit zwölf Jahren lebt die Brasilianerin in Japan, beherrscht die Sprache immerhin auf Konversationsniveau. „Aber wenn die Sprache sehr technisch wird, komme ich manchmal nicht mit.“
Verständigungsprobleme führten zu Produktionsfehlern
Michelle Fukuda arbeitet in einer Fabrik im zentraljapanischen Gunma, wo der Großkonzern Mitsubishi Electric Wärmepumpen herstellt. Die Produkte, die auch im ostasiatischen Land von zentraler Bedeutung für die Energiewende sind, erfreuen sich großer Nachfrage. In der lärmigen Fertigungshalle aber lief es bisher nicht immer rund. Verständigungsprobleme führten immer mal wieder zu Produktionsfehlern. Doch jetzt, sagt die Mittdreißigerin, mache sie sich kaum Sorgen. „Ich verstehe jetzt viel mehr!“
Wenn sich die Hunderte Angestellten in dieser Fabrik, von denen ein längst nicht mehr kleiner Anteil aus dem Ausland kommt, heute zum Schichtbeginn versammeln, ist nämlich immer ein KI-Kollege dabei. Eine von Mitsubishi eigens entwickelte Software übersetzt alles, was die Schichtmanagerin an Anweisungen gibt, in jede der unter der Belegschaft vertretenen Muttersprachen. Mit dem Programm namens Signage sollen die Ansprachen beschleunigt, die Produktionsprozesse sicherer und effizienter werden.
Die Software übersetzt Gesagtes in verschiedene Sprachen
An einem Morgen steht Michelle Fukuda unter brummendem und zischendem Lärm vor einer Leinwand, an der ihr Vorgesetzter erklärt, welche der rund 50 Wärmepumpen heute dran ist. Die KI übersetzt vorab die Worte vom Japanischen ins Englische und von dort in die Muttersprachen der hier anwesenden Arbeitskräfte.
So scheint ein Lauftext auf, Fukuda liest auf Portugiesisch mit: „Über das Laufband an Ihrem Platz kommt gelegentlich ein Wagen mit neuen Teilen gefahren. Passen Sie hier gerade in der Hackengegend auf, um sich nicht zu verletzen!“ Fukuda sieht sich um, merkt sich das Aussehen der gerade erwähnten Wagen. Nach zehn Minuten geht sie zu ihrem Platz, setzt Einzelteile ein und bohrt sie fest. Seit einem guten Jahr prüft Mitsubishi Electric diese KI-basierte Software in dieser Fabrik.
Rund 20 Prozent der Belegschaft hat Japanisch nicht als Muttersprache
Wenn die Testphase nun im Frühjahr ausläuft, soll das Prinzip an anderen Standorten kopiert werden. Denn die Effekte seien vielversprechend. „Bei unseren ausländischen Angestellten haben wir geprüft, wie viel der Anweisungen sie überhaupt verstanden“, sagt Masayoshi Ishiba, der an diesem Tag die Schicht leitet. „Vor Nutzung von Signage war das nur 58 Prozent.“ Nach drei Monaten KI-Einsatz lag der Anteil bei 80 Prozent. Schnelle und zugleich akkurate Übersetzungssoftware, die per Spracherkennung alles Gesagte internationalisieren kann, wäre nicht nur für Mitsubishi Electric ein Coup. In der Fabrik in Gunma kommen schließlich deshalb 20 Prozent der Arbeitskräfte aus dem Ausland, weil es in der alternden und schrumpfenden Gesellschaft des ostasiatischen Landes schlicht an Personal mangelt. Überall, selbst im Ausland, suchen Unternehmen händeringend nach Leuten. Auch in Deutschland wird dieses Problem jährlich größer.
Das gegenseitige Verstehen ist besser geworden
„Der Arbeitskräftemangel ist eine der größten Wachstumsbremsen für die Wirtschaft“, sagt Franz Waldenberger, Direktor des Deutschen Instituts für Japanstudien in Tokio. Traditionell hat sich Japan mit der Anwerbung von Arbeitskräften aus dem Ausland schwergetan, wobei eben auch die schwierige japanische Sprache eine Hürde für Neuankömmlinge ist. „An einigen Orten versucht man sich hierbei in Automatisierung, oft kommt man aber auch um Einsparungen etwa in der Kundenbetreuung nicht umhin“, so Waldenberger.
In einem Boomgeschäft wie Wärmepumpen kann man sich dies schwer leisten. Wenn es nach Mitsubishis Schichtleiter Masayoshi Ishiba geht, ist die Software die gesuchte Lösung: „Nicht nur die Arbeiterinnen, sondern auch ich habe jetzt ein viel besseres Gefühl bei meinen Ansprachen, ob es um die Analyse der Produktionsprozesse geht oder Evakuationsübungen für einen Katastrophenfall.“ Was er auf Japanisch ansage, werde ja sofort auch auf Vietnamesisch, Spanisch und Bengalisch verstanden.
Lernprozesse machen die Software immer besser
Mittlerweile sei die Software durch Lernprozesse noch etwas besser geworden. Der Anteil der ausländischen Angestellten, die Dank der KI-Übersetzungen nun angeben, mehr zu verstehen als vorher, lag Ende 2024 schon bei 91 Prozent. „Ein paar firmeneigene Äußerungen begreift die Software aber immer noch nicht“, lacht Masayoshi Ishiba. Zum Beispiel den Begriff „anadai“, der im Mitsubishi-Sprech eine nicht hinreichend befestigte Schraube beschreibt.
Signage scheint bei dem Wortlaut an eine Kombination zweier im Japanischen häufig auftretender Schriftzeichen zu denken, sodass auf der Leinwand dann auf Portugiesisch „grande buraco“ prangt – was großes Loch bedeutet. Auch Michelle Fukuda muss darüber lachen. „Da wussten wir ausländischen Angestellte letztens auch nicht, was der Chef uns damit sagen wollte.“ Aber immer häufiger wisse sie das mittlerweile eben doch.