Mythos Campingbus

Ein Kumpel namens Bulli

Freiheit kann man nicht kaufen, aber einen Bulli. Ein Essay über offene Heckklappen am Meer und ein Fahrzeug, so solide wie das Wirtschaftswunder.

Hinter dem Asphalt ist der Strand. Ein T 3 nach einem Gewitter, das nicht nur sich, sondern auch den Bus gewaschen hat.

© Ulrich Stolte

Hinter dem Asphalt ist der Strand. Ein T 3 nach einem Gewitter, das nicht nur sich, sondern auch den Bus gewaschen hat.

Von Ulrich Stolte

Auf einem Campingplatz bei Triest drängen sich die Wohnmobile. Weiße Kästen auf vier Rädern, die Wand an Wand stehen. An einem geht die Tür auf. Georg, ein Österreicher, blickt ein wenig neidisch auf den einzigen Standplatz, auf dem Platz ist. Darauf steht ein alter VW-Campingbus, der sich fast auf dem weißen Kies verliert.

Seit Georg in Rente ist, reist er im Wohnmobil und nimmt sich jedes Mal vor, ein Gedicht von Rainer Maria Rilke auswendig zu lernen. „Es treibt der Wind im Winterwalde“, zitiert er, obwohl der Winter längst vorbei ist. Vor Jahrzehnten fuhr er ebenfalls einen solchen Bulli. „So hat es angefangen“, sagt er leise, „das alles.“

„Das alles“ ist das, was man heute Vanlife, Caravaning oder schlicht Camping nennt. Eine Urlaubsform, die Naturnähe auf vier Rädern propagiert und die in der Pandemie einen neuen Höhepunkt erklommen hat. Es ist eine Industrie, die jährlich 15 Milliarden Euro Umsatz macht und die Wohnmobile herstellt, die eine halbe Million Euro kosten, wahlweise mit Swimming-Pool oder Kleinwagen im Unterdeck.

„Das alles“ war einmal eine Campingbox von Westfalia, die man selbst in den allerersten VW-Bus einbauen konnte, den Transporter 1, kurz T 1. Er kam 1950 auf den Markt, wurde als Kastenwagen, Pritschenwagen und Kleinbus gebaut und konnte für alle automobilen Zwecke benutzt werden – außer vielleicht für Formel-1-Rennen. Bis 1967 wurden 1,8 Millionen Stück produziert und weltweit verkauft. Gedacht war der VW-Bus als Arbeitstier für kleine Handwerker, geworden ist er das Symbol des deutschen Wirtschaftswunders.

Man wusste nie, in welche Richtung drehen

Tückisch war seine Angewohnheit, nach hinten auszubrechen, die Heizung schien ab Werk kaputt und die Lüftung war über schwarze Gummi-Knöpfe zu bedienen, bei denen man nie wusste, in welcher Richtung drehen. Der Bulli war ein Auto für alle, die Platz für wenig Geld brauchten, für die Polizei, die Feuerwehr oder die Rettungsdienste. Der Stadtjugendring hatte einen, der CVJM hatte einen und die Pfadfinder. Zu siebt oder acht saß man mit einer Kiste Bier und einer Gitarre hinten drin. Wer fuhr, wurde ausgelost. Wenn der Fahrer genauso betrunken war wie alle anderen, übernachtete man halt quer auf den Sitzbänken.

Motoren wurden nie repariert, weil ein gebrauchter vom Schrottplatz bloß achtzig Mark kostete und man den Vierzylinder Boxermotor mit etwas Schraubergeschick selbst wechseln konnte. Sein Nachfolger, der T 2, erschien 1967, brachte es zunächst auf 47 PS und fuhr auf der A8 den Aichelberg runter mit Rückenwind etwa 110 Stundenkilometer. Dann breitete sich meist besorgte Stille aus im Bulli und man hörte den Fahrtwind und das Klappern der Schiebefenster.

Mit den Hippies in die neue Zeit

Als die Welt des Wirtschaftswunders zu Ende ging, fuhren die Hippies und die Ökos den Bulli in die neue Zeit: Denn der gemütliche Bulli war günstig, langsam, robust und wurde damit zum natürlichen Gegensatz der automobilen Leistungsgesellschaft mit ihren Beschleunigungs- und Technik-Orgien.

Spätestens mit der Hippie-Bewegung in den USA wurde der Bulli zum Frontmotor der Anti-Vietnam-Bewegung und das sogar mit Heckantrieb. Man konnte das VW-Emblem zum Peace-Zeichen umbauen und die langweiligen Seitenwände mit psychedelischen Malereien verzieren. Junge Erwachsene fuhren ihn, die mit Drogen ihr Bewusstsein erweitern wollten und nach Indien und Nepal rollten auf der Suche nach sich selbst. Die Bullis schafften die Alpen, den Ararat und den Karakorum, nie kochte das Kühlwasser über – sie hatten keines. Ein Auto, das jeder Dorfschmied schweißen konnte und das so gebaut war, dass es keinen Asphalt unter den Rädern brauchte.

Irgendwas mit „Beach“

Der T 2 sah unsagbar niedlich aus. Mit den beiden Kulleraugen-Scheinwerfern und der netten gebogenen Schnauze, wirkte er wie frisch aus dem Karussell am Jahrmarkt gehüpft, bereit Kinderträume wahr werden zu lassen. Spätestens mit dem T 2 entdeckte die Camping-Industrie den Bulli. Inzwischen gab es mehrere Ausstatter, die Betten und Küche einbauten. Mit einem Klappdach bekam er zwei Etagen und war trotzdem noch so niedrig, dass er in jede Tiefgarage passte für den Städteurlaub.

Wer einen Bus hatte, der träumte von der Freiheit und das tat er noch, als der Transporter 3, der T 3, anno 1979 auf den Markt kam, der eckige Bus für die eckigen 80er Jahre. Man malte übergroße Priel-Sterne auf die immer noch langweiligen Flanken oder irgendwas mit „Beach“ oder „Surfing.“ Man konnte so schön drin träumen: Wenn man aus der offenen Heckklappe auf das Meer schaute oder in der Seitentür saß und in die Sterne betrachtete.

Tante Hertha hatte Heckantrieb

Man hatte seine Freundin und spätere Ehefrau auf einer 1,10 Meter-Matratze im Arm und wenn die Kinder kamen, benutzten sie den Bus als Spielhaus, kochten am Herd und versteckten die Puppen in den Seitenfächern.

Im Laufe der Zeit wurde der Bulli dann so etwas wie ein Familienmitglied. Er erhielt Namen wie Oskar, Elfriede oder Hertha; Namen, die aus der Zeit des Wirtschaftswunders sind und so klingen wie Marmorkuchen am Sonntagnachmittag.

13 Millionen VW-Busse wurden gebaut, und inzwischen ist der Transporter in der siebten Generation erhältlich. Er zehrt immer noch vom Nimbus der ersten Bullis, von denen noch Tausende herumfahren und den Mythos am Leben erhalten.

Majestätisch nimmt er Fahrt auf

Radarfallen interessieren einen Oldtimer-Bulli-Fahrer nicht besonders, er ist eh viel zu langsam, als dass die Falle zuschnappen könnte. So wird der Wert eines alten Bullis nicht in der Beschleunigung gemessen, sondern in der Entschleunigung. Sie hilft gegen die Manager-Krankheit. Entweder man wird kuriert oder vollends verrückt. Ein alter VW-Bus nimmt minutenlang majestätisch Fahrt auf, und wird auch nicht schneller, wenn Ungeduldige hinter ihm Schall-, Licht- oder Rauchzeichen geben, weil sie zu blöd zum Überholen sind.

Er bleibt auf der Autobahn mit 90 Stundenkilometern im Windschatten der 40-Tonner, während der Wind durch die Ausstellfenster hineinströmt und die Landschaft nicht nur Kulisse ist, sondern Erlebnisraum. Es gibt Campingbus-Fahrer, die brauchen für 500 Kilometer drei Tage und zwei Übernachtungen und entdecken unterwegs mehr als Charles Darwin auf den Galapagos-Inseln.

Der Traum von der Freiheit wird nie enden. Nicht mal in den großen Wohnmobilen bei Triest. Georg, der Österreicher, steigt über die ausfahrbare Trittleiter zurück in seinen Caravan. Er zitiert das Rilke-Gedicht, weiß nicht mehr genau den letzten Vers und denkt an den Bulli, den er einmal hatte. Den wird er nie vergessen.

Die Kultkarosse

VW Die Vorläufer des Transporters waren umgebaute VW-Käfer Fahrgestelle, die zum werksinternen Transport genutzt wurden. Sie brachten einen niederländischen Importeur im Jahr 1949 auf die Idee, daraus straßentaugliche Transporter zu entwickeln.

BaureihenIm Lauf von 75 Jahren sind sieben Baureihen des VW-Transporters entstanden. Der Neueste ist der batteriebetriebene ID.Buzz, dessen Design an den ersten VW-Bus, den T1 von 1950 angelehnt ist.

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Erstellt:
16. Juni 2025, 12:34 Uhr

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