Italienische Filmabende

Ein Stück Italien in Mössingen

Die italienischen Arbeitskräfte, die man ab 1955 ins Land geholt hatte, suchten Unterhaltung in ihrer Muttersprache. Die Kinos ließen sich etwas einfallen.

Carmelo Vaccaro (links) und seine Frau übernahmen 1984 die Pizzeria „Löwen“ in der Nachbarschaft des Kinos. Rechts Vorbesitzer Tomaso Abruzese, der zurück nach Italien ging. Vaccaro war wie viele Italiener ein ständiger Gast bei den italienischen Filmvorführungen.

© Klaus Franke

Carmelo Vaccaro (links) und seine Frau übernahmen 1984 die Pizzeria „Löwen“ in der Nachbarschaft des Kinos. Rechts Vorbesitzer Tomaso Abruzese, der zurück nach Italien ging. Vaccaro war wie viele Italiener ein ständiger Gast bei den italienischen Filmvorführungen.

Von Karl-Heinz Meier-Braun

„Ich habe alle italienischen Filme vorgeführt, ohne ein Wort zu verstehen“, erinnert sich Stefan Schlegel, der die Lichtspiele Mössingen von seinem 2018 verstorbenen Onkel Walter Schlegel übernommen hat. Von 1966 bis 1984 zeigte das Kino Filme in italienischer Sprache, eine bunte Mischung, mal für das ältere, mal für das jüngere Publikum.

Mit dem ersten Anwerbeabkommen, das Deutschland am 20. Dezember 1955 mit Italien abschlossen hatte, kamen die ersten „Gastarbeiter“ ins Steinlachtal. Sie wohnten in Baracken und halfen, das Nachkriegsdeutschland wieder aufzubauen. Man ging davon aus, dass die ausländischen Arbeitskräfte über kurz oder lang wieder in die Heimat zurückkehren würden. Ein Irrtum, wie sich bald herausstellte.

Das Heimweh und die Sprachprobleme waren die größten Probleme für die Arbeitskräfte aus dem Süden. Die Kinos starteten deshalb mit einem Angebot italienischer Filme. So entwickelten sich die Filmabende, neben den Bahnhöfen, zu einem wichtigen Treffpunkt, einem Stück Heimat für die italienischen Arbeiter. Das Publikum kam aus der ganzen Region, „mit Kind und Kegel, ganze Familien mit Kinderwagen“, sagt Schlegel.

„Gastarbeiterfilme“ wurden überall in Deutschland gezeigt, auch auf Spanisch oder anderen Sprachen. Von allen Filmreihen, die das Mössinger Kino zeigte, haben die italienischen Filme am längsten überdauert. Bis zu 300 Leute füllten den Kinoraum zu den Glanzzeiten.

In der Nachbarschaft des Kinos eröffnete die erste Pizzeria, der „Löwen“, wo die deutsche Jugend oft zum ersten Mal in ihrem Leben eine Pizza verspeiste. Es entstand ein Treffpunkt für die italienischen Familien, wo man sich zum Kartenspielen traf, zum Essen und Kinobesuch, fast ein „Little Italy“ in der Höfgasse. Auch die Kinobetreiber holten sich schon mal eine Pizza zur Vorführung, erzählt Stefan Schlegel. Das italienische Publikum stellte lange Zeit die Hälfte der gesamten Besucherzahlen.

Pizzeria-Betreiber Carmelo Vaccaro erinnert sich

Betreiber der Pizzeria war fast 40 Jahre Carmelo Vaccaro, der mit seiner Mutter im Alter von zehn Jahren von Sizilien nach Mössingen kam. Vor allem Filme, die in Neapel spielten, waren der Publikumsrenner, denn viele Landsleute aus dieser Gegend hatte es nach Mössingen verschlagen, erzählt er. Sein Vater war bereits 1961 in den Ort gekommen.

Die italienischen Filme, die „Luigi aus Rottenburg“ im Gebäude neben der Pizzeria zeigte, waren schon vor der Kinoreihe der Renner. Carmelo half als junger Bub, die 300 Stühle aufzustellen, es wurde ein Betttuch an die Wand gehängt, und er durfte dann die Filme umsonst anschauen. Sonst zahlte man eine Mark Eintritt. „Wir haben Herrn Schlegel auch Titel aufgeschrieben, die er für uns bestellen sollte“. Das Interesse war so groß, dass oft zwei Vorstellungen nötig waren. Die Filmvorführungen „waren der einzige Bezug zu Italien“ sagt Vaccaro.

Dann aber kamen die Videorekorder auf. Italiener mit einem Auto voller Videokassetten mit italienischen Filmen reisten von Haus zu Haus in Mössingen – daran erinnert sich Carmelo Vaccaro noch gut. Für eine Woche und eine Mark konnte man die Filme ausleihen. Später führten die Parabolantennen mit der Möglichkeit, italienische Programme zu empfangen, und das Kabelfernsehen endgültig zum Ende der „Gastarbeiterkinos“. Stefan Schlegel holt alte Unterlagen hervor. Als letzter Film lief am Sonntag, 11. März 1984, um 17.30 Uhr, in italienischer Originalfassung „Squadra Antiscippo“ in den Lichtspielen Mössingen.

Zum Artikel

Erstellt:
19. August 2025, 17:08 Uhr

Artikel empfehlen

Artikel Aktionen