Ein Team im Rausch
Auch mit einer B-Elf und ohne VfB-Stürmer Nick Woltemade ist die deutsche U 21 nicht zu stoppen. Im EM-Viertelfinale steht der Klassiker gegen Italien an.
Von dpa/sid
Nitra/Modra - Nach der perfekten Vorrunde ließ sich sogar Antonio Di Salvo zu einem kleinen Tänzchen hinreißen. „Drei von drei. Gruppensieger. Neun Punkte. Ich bin sowas von stolz auf diese Mannschaft“, sagte der U-21-Trainer bei seiner Kreis-Ansprache nach dem überzeugenden 2:1 (2:0) gegen Titelverteidiger England – und schickte einen lauten und weit vernehmbaren Jubelschrei in den Nachthimmel von Nitra.
Seine Spieler taten es ihm gleich, feierten vor den in die Slowakei mitgereisten deutschen Fans und herzten ihre Familien und Freunde auf der Tribüne. Mittendrin: VfB-Senkrechtstarter Nick Woltemade. Angeschlagen, ohne Einsatz, ohne weiteren Treffer – und trotzdem mächtig stolz auf sich und seine Teamkollegen. „Man hat schön gesehen, wie gut wir wirklich sind“, schwärmte der Stuttgarter Stürmer.
In der Halbzeit schrieb Woltemade fleißig Autogramme, glänzte als Wasserträger und Motivator – die große Fußball-Bühne überließ der 23-Jährige diesmal aber anderen. Die Entscheidung, den vierfachen EM-Torschützen nach „einem Schlag auf den Fuß gegen Tschechien“ zu schonen, sei am Ende „vernünftig“ gewesen. „Wir wollten kein Risiko eingehen“, sagte Di Salvo. Dass Woltemade auf dem Weg zum Turnierstar freiwillig auf den nächsten großen Auftritt auf der Turnier-Bühne verzichtet hatte, wertete der Nationalcoach als positives Signal. „Da sieht man auch mal, wie die Mannschaft tickt, nicht nur Nick“, sagte der 46-jährige Di Salvo. „Dass sie nicht im Vordergrund stehen möchten, sondern der Team-Erfolg ist das Wichtigste. Und das ist natürlich eine schöne Botschaft an den Trainer.“
Di Salvo ging auch bei den anderen leicht angeschlagenen oder mit Gelb vorbelasteten Spielern kein Risiko ein. „Es war wie ein kleines Puzzle, das sich zusammengefügt hat. Die Spiele waren schon sehr anstrengend“, sagte Di Salvo, der seine Startelf gegenüber den Siegen gegen Slowenien (3:0) und Tschechien (4:2) auf allen elf Positionen veränderte, beziehungsweise verändern musste. „Die Stärke dieser Truppe ist der Teamgeist.“
Dank der Treffer von Matchwinner Ansgar Knauff (3.) und Nelson Weiper (33.) beendete Deutschland als einziges Team und erstmals überhaupt die EM-Vorrunde mit der Maximalausbeute von neun Punkten. Zwar meisterten alle Top-Nationen den Sprung in die K.-o.-Runde. Aber außer dem seit fast zwei Jahren unbesiegtem deutschen Team gelang das keinem Team ohne Punktverlust.
So wie in der Slowakei dominierte Deutschland noch nie eine EM-Gruppe, selbst die Europameistermannschaften um Manuel Neuer (2009), Serge Gnabry (2017) und Florian Wirtz (2021) nicht. Als Topfavorit sieht Di Salvo sein Team trotz des Statement-Sieges aber nicht. „Fakt ist, dass alle Top-Nationen sich qualifiziert haben. Da sieht man, auf welchem Level wir sind. Jetzt kommen nur noch Hammer-Spiele“, sagte der 46-Jährige.
Im Halbfinale würden Frankreich oder Dänemark warten, erst einmal steht im Viertelfinale aber der Klassiker gegen Italien an. Für Di Salvo und Stürmer Nicolo Tresoldi wird die Partie am Sonntag (21 Uhr/Sat.1) in Dunajska Streda eine besondere, beide haben italienische Wurzeln. „Ein Viertelfinalspiel gegen Italien ist natürlich etwas Besonderes für mich. Ich habe italienische Wurzeln. Meine Eltern sind ja irgendwann mal in den 70er Jahren nach Deutschland ausgewandert“, sagte U21-Nationaltrainer Antonio Di Salvo. „Ich trage, darauf bin ich sehr stolz, die deutsche und italienische Kultur in mir. Ich empfinde das als ein Privileg für mich, dass ich viele Dinge vereinen kann - und deswegen freue ich mich logischerweise auf das Spiel.“
Und Nick Woltemade? Am Donnerstag musste er noch dosiert trainieren, wird aber dann gegen die Italiener zurück in der Startelf sein. „Die Pause tat gut. Jetzt fühle ich mich frisch und habe unheimlich Bock auf das Spiel“, sagte der 23-Jährige nach dem Training.
Bei einer EM gab es das Duell erst zweimal, sowohl 2009 (1:0 im Halbfinale) als auch 2017 (0:1 in der Vorrunde) holte das DFB-Team am Ende den Titel. Um nichts anderes soll es auch diesmal gehen. „Es sind noch drei Spiele, die wir alle gewinnen wollen“, sagte Herthas Torhüter Tjark Ernst, der den erkrankten Noah Atubolu vertrat. „Wir haben viel Selbstvertrauen und wollen den Titel holen“, sagte Weiper.
Und so ließen es sich Spieler und Staff schon in der Kabine so richtig gut gehen. Nach dem Tschechien-Spiel gab es Burger, diesmal asiatisches Essen. „Ein bisschen Reis mit Hähnchen, Chickenbowls und Udon-Nudeln – für jeden etwas dabei“, sagte Ernst: „Schauen wir mal, was im Viertelfinale auf uns wartet.“