Architektur-Biennale in Venedig

Eine Kapelle aus Fäkalien von Elefanten

Die Architekturausstellung propagiert eine Baukultur, die sich der Klimakrise stellt und sich den veränderten Umweltbedingungen anpasst. Mehr als 300 Projekte mit über 750 Teilnehmern bilden einen Parcours am Rande der Unübersichtlichkeit.

Beliebtes Foto-Motiv: die „Elephant Chapel“

© IMAGO/ABACAPRESS

Beliebtes Foto-Motiv: die „Elephant Chapel“

Von Henning Klüver

Wer auf der 19. Architekturbiennale, die am Samstag in Venedig eröffnet wurde, Modelle, Pläne, Fotos von Bauwerken sucht, wird es nicht leicht haben. Denn es geht im Arsenale, im Ausstellungsbereich der historischen Werftanlagen der Lagunenstadt sowie in den Giardini mit den nationalen Pavillons weniger um die Darstellung von Architektur, sondern um die kritische Auseinandersetzung mit ihr.

Die Bauwirtschaft, so konnte man in jüngsten Veröffentlichungen lesen, gehört zu den größten Umweltsündern der Gegenwart. Sie ist weltweit verantwortlich für rund 50 Prozent der Emissionen von klimaschädlichen Gasen, 60 Prozent des Ressourcenverbrauchs und 70 Prozent des Flächenverbrauchs. Derweil reagiert das Klima: Die Erde verzeichnet die heißesten Temperaturen, seitdem sie gemessen werden. Extremwetterlagen bedrohen Städte und Landschaften rund um den Globus. In wenigen Jahren hat sich der Klimawandel in einem bislang ungeahnten Tempo beschleunigt.

Neue Strategien müssen her

Lange habe die Architektur auf die Klimakrise mit Schadensbegrenzung reagiert, resümiert Carlo Ratti, der Kurator der diesjährigen Biennale, die Lage. Doch dieser Ansatz reiche nicht mehr aus: „Es ist an der Zeit, dass die Architektur von der Abmilderung zur Anpassung übergeht“, so der 51-jährige Architekt und Städtebauer aus Turin: „Wir müssen die Art und Weise, wie wir entwerfen, angesichts einer tiefgreifend veränderten Welt neu überdenken.“ Das genau ist das Thema einer interdisziplinäre Biennale, der Ratti den Titel „Intelligens. Natural. Artificial. Collective“ gegeben hat.

Der Begriff „Intelligens“ ist eine Wortschöpfung und enthält das lateinische Wort „gens“ („Menschen“). Er lädt uns ein, verschiedene Arten von Intelligenz – die natürliche, die künstliche, die kollektive – zu nutzen, um nach neuen Strategien für die gebaute Umwelt und Urbanistik zu suchen und zugleich Experten für die unterschiedlichen Formen der Intelligenz zusammen zu bringen. Nach dem Open Call „Space for ideas“ im Frühling vergangenen Jahres versammeln sich nicht nur Architekturschaffende, sondern ebenso Vertreter der Ingenieurwissenschaft, der Mathematik, der Klimakunde, der Philosophie, der Kunst, der Literatur, des Handwerks, der Landwirtschaft, des Designs und anderer Disziplinen auf der Hauptausstellung dieser Biennale.

Leben im Weltraum?

Den verschiedenen Arten der Intelligenz nach hat Ratti seine Ausstellung in drei Sektionen eingeteilt. Es beginnt mit der natürlichen Intelligenz, wo diverse Formen von Biomaterialien präsentiert werden – zum Beispiel aus Muschelresten gewonnene Biokeramik. Aus von Fäkalien von Elefanten gewonnene robuste Steinringe formen eine Folge von Spitzbögen, die einen Andachtsraum bilden. Diese „Elephant Chapel“ verdiente sich eine lobende Erwähnung der Preisjury.

In der zweiten Sektion der künstlichen Intelligenz wetteifern Roboter mit der KI-Nutzung zur Reihung von Sozialwohnungen und 3-D-Druckern zur Formung von Penthouses.

Die Sektion der sozialen Intelligenz erinnert dann an Protestformen etwa im Hambacher Forst, sammelt Briefe, Schriften, Gedichte über die Lebensverhältnisse in einem Flüchtlingscamp der Rohingya oder dokumentiert Aktionen der Initiative „HouseEurope“ gegen den Abriss von Gebäuden und für ihre Wiedernutzung.

Ein zusätzlicher vierter Teil unter dem Titel „Out“ thematisiert die Möglichkeit von Leben im Weltraum unter extremen Bedingungen für Menschen und Pflanzen. Wobei die Botschaft lautet: Futuristische Fluchten ins All sind eigentlich keine Alternative zum Leben hier und jetzt.

Pflanzenräume mit Mikroklima

Die 66 nationalen Vertretungen in den Giardini, im Arsenale sowie in einigen Palazzi Venedigs bieten viele Anregungen. Im belgischen Pavillon wachsen Magnolien, Zimt- und Pfefferbäume und schaffen so in Gebäuden Pflanzenräume mit einem Mikroklima, das Sauerstoff, Luft und Kühlung bringt. Im türkischen Beitrag geht es um den Boden als Baustoff und kulturellen Nährboden der Architektur. Österreich schneidet den sozialen Wohnungsbau in Wien gegen Ruinenlandschaften in Rom – aber keine antiken Ruinen sind gemeint, sondern die der Industriearchäologie. Großbritannien denkt zusammen mit einem Team aus Kenia über die zerstörerischen Folgen der Kolonialisierung in Afrika (aber auch im Gazastreifen) nach und über die Werkzeuge, die Architektur beim Wiederaufbau bereitstellen kann. Die Ukraine reflektiert die Rolle des Daches als archaische Schutzeinrichtung und zugleich als erstes Ziel von Luftangriffen im Krieg. Russland ist wie zuletzt nicht auf der Biennale vertreten, ebenso wenig wie Israel.

Zum ersten Mal präsentiert eine Biennale allein in ihrer Hauptausstellung insgesamt mehr als 300 Projekte von über 750 Teilnehmern – und diese Zahlen spiegeln auch das Problem der Ausstellungsdramaturgie wider. Sie droht sich in der Summierung vieler Präsentationen zu verlieren.

Der Ansatz von Ratti, die Baukultur mit der Klimakrise zu konfrontieren und die Tradition des Architekten als alleinigen Schöpfer infrage zu stellen, ist ein wichtiges Signal. Besonders für eine Gesellschaft, die sich eher unwillig und teilweise rückwärtsgewandt dem Veränderungsdruck stellt. Dennoch drohen die schiere Fülle und die zusammenhangslose Reihung von einzelnen Problemen und Lösungsansätzen die Besucher zu überwältigen. Und dennoch gilt die Aussage von Ratti: „Im Zeitalter der Anpassung stellt die Architektur einen zentralen Knotenpunkt dar, der den Prozess optimistisch leiten muss.“

Info

Öffnungszeiten Die 19. Internationale Biennale der Architektur in Venedig geht bis zum 23. November 2025. Informationen zu den Sommer- und Herbstöffnungszeiten gibt es unter www.labiennale.org. Vorverkauf unter www.vivaticket.it.

Auszeichnungen Unter anderem gab es bei den nationalen Pavillons den Goldenen Löwen für Bahrain (Thema Wärmeentwicklung in Städten) und eine lobende Erwähnungen für den Heiligen Stuhl (Umbau der Kirche Santa Maria Ausialiatrice zu einem Kulturzentrum in Venedig). Unter den Teilnehmern gab es den Goldenen Löwen für „Canal Café“ vom Studio Diller Scofidio+Renfo (USA) (biologische Reinigung von Lagunenwasser für Kaffeemaschine).

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Erstellt:
12. Mai 2025, 15:44 Uhr

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