Einmal Gott spielen

Die Medien- und Netzkunstschau des Filmwinters in der Galerie Kunstbezirk zeigt menschliche Kollisionen in vielen Varianten

Auf „Augenhöhe mit Afrika“ heißt die Kampagne in Dorothee Wenners Webserie „Kinshasa Collection“, in der sie kulturelle Klischees und Missverständnisse vorführt: Die Deutschen wollen ihr Afrikabild modernisieren, treten im Kongo aber in jeden Fettnapf. Die farbenfrohe Mode dort hat politische Konnotationen, entwickelt im Protest gegen die Kolonialmächte. „Kinshasa Collection“ schmückt die Medien- und Netzkunstschau des Filmwinters in der Galerie Kunstbezirk im Gustav-Siegle-Haus – immer wieder darf man sich hier beim eurozentristischen Denken ertappt fühlen.

Von universeller Weisheit ist ein scheinbar simples Videogame des Chinesen Ip Yuk-Yiu: Der Nutzer blickt aus Gottesperspektive auf eine karge Welt, deren Bewohner er erschaffen und zerstören kann. Zurück bleiben die Schatten, die sich flugs an Neuankömmlinge anheften. Die scheinbar zufällig durcheinander laufenden Menschen auf dem Boden sind vereinzelt, Kontakt zueinander nehmen sie nur auf, wenn sie kollidieren. „Mich erinnert diese Arbeit an Samuel Beckett“, sagt Marcus Kohlbach. Er kuratiert die Schau für die Stuttgarter Filminitiative Wand 5, die den Filmwinter veranstaltet. „Tatsächlich bezieht der Künstler sich aber auf den in China berühmten Autor Qian Zhongshu.“ Dessen Geschichtensammlung „Humans, Beasts and Ghosts“ steckt im abgekürzten Titel „HBG“.

Kollisionen hat auch der gebürtige Stuttgarter Gregor Kuschmirz im Blick in seiner sehr analog anmutenden kinetischen Klanginstallation „Die andere Wange“: Aus zwei an Gestellen kreisenden Lautsprechern tönen Leidensgeräusche, die stetig lauter werden, bis die Boxen zusammenstoßen. Nach kurzer Ruhe drehen sie in die andere Richtung – ein ewiger Kreislauf der Verwerfungen wie die menschliche Geschichte.

„In vielen Arbeiten spiegelt sich unser diesjähriges Festivalmotto ,Wake me up‘“, sagt Kohlbach. „Hier ist der eine oder andere Weckruf zu erleben.“ Das Festival thematisiert auch die Herausforderungen, die die Digitalisierung an die klassischen Künste stellt. „Film, Digital Culture & Performing Arts“ heißt ein Vortrags- und Diskussionsnachmittag an diesem Samstag im Fitz. Julian Kamphausen (Berlin) und Alexander Kerlin (Dortmund/Wien) berichten von ihren Erfahrungen, wie das Digitale etwa im Theater gewinnbringend genutzt werden kann und wie es das Erzählen verändert.

Bildern ist sowieso nicht mehr zu trauen, das beweist Aaike Stuart mit „Quake“: Er zeigt Filmszenen eines Erdbebens in Nepal, doch eine ausgeklügelte technische Kons­truktion bewegt rasant den Beamer und gleicht das Wackeln aus – man sieht also verstörte Menschen, aber nicht das Ereignis selbst. „Das Beben wird in Klang übersetzt, der Beamer bewegt sich mit der Lautsprechermembran“, sagt Stuart, der mit Ingenieuren der TU Berlin kooperiert hat.

Sind Bilder einmal im Netz, bekommt sie selbst der chinesische Sicherheitsapparat nicht wieder heraus. Winnie Soon aus Dänemark hat in „Unerasable Images“ eine Google-Schleife eingerichtet. Die Suchmaschine findet zum Stichwort „64“ einem Code für das Massaker an Demonstranten auf dem Platz des Himmlischen Friedens in Peking am 4. Juni 1989. Ein Motiv, eine mit Lego nachgestellte Szene des Mannes, der sich den Panzern in den Weg stellt, versucht das Regime seit 2013 zu löschen.

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Erstellt:
21. Januar 2019, 16:10 Uhr

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