Eltern an der Belastungsgrenze

Seitdem die Schulen, Kindergärten und Kindertagesstätten geschlossen sind, bleiben Homeschooling und Kinderbetreuung meist an den Müttern hängen. Wie kommen sie mit dem Lockdown zurecht?

Bei den Hausaufgaben helfen, das Kleinkind beschäftigen und arbeiten: So sieht derzeit der Alltag vieler Eltern aus. Foto: Adobe Stock/A. Thomass

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Bei den Hausaufgaben helfen, das Kleinkind beschäftigen und arbeiten: So sieht derzeit der Alltag vieler Eltern aus. Foto: Adobe Stock/A. Thomass

Von Melanie Maier

BACKNANG. Glücklich ist Martina Reble mit der aktuellen Situation nicht. „Homeschooling, Kleinkindbetreuung und nebenher arbeiten – das ist eine Mammutaufgabe“, sagt die 42-jährige Sekretärin aus Backnang. Seitdem die Schulen, Kindergärten und Kindertagesstätten geschlossen sind, ist der Esstisch zu ihrem Arbeitsplatz geworden. Ihn teilt sie sich mit dem elfjährigen Sohn Robin und ihrer dreijährigen Tochter Lotta.

Während Robin, der die 5. Klasse am Gymnasium in der Taus besucht, am Tablet Schulaufgaben löst, bastelt und malt Lotta. Sie hat normalerweise einen Ganztagesplatz an der Kindertagesstätte Sportkita Plaisir. „Ich bin froh, dass die Kleine so pflegeleicht ist und sich so gut selbst beschäftigen kann“, sagt Reble. Einfach ist es für sie mit den Kindern trotzdem nicht. Denn alleine lassen kann sie die Dreijährige nicht, der Elfjährige hat immer wieder Fragen – insbesondere wenn die Technik wieder einmal nicht funktioniert. „Dann bimmelt zwischendurch das Telefon, weil der Chef etwas will“, fasst Reble zusammen.

Ihre Tage sind lang, den Rechner schaltet Reble zurzeit erst spät aus. Zu einigem, was sie sich vorgenommen hatte, kommt sie dennoch nicht. Ein Arbeitsprojekt, um das sie sich gern gekümmert hätte, hat sie an die Kollegen abgegeben.

Obwohl lange nicht sicher war, wann die Schulen, Kindertageseinrichtungen und die Kindertagespflege wieder öffnen würden – erst am vergangenen Donnerstag ließ Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) verkünden, dass sie bis wenigstens 31. Januar geschlossen bleiben –, wollte Reble ihre Kinder nicht in die Notbetreuung abgeben. Weil sie beide berufstätig sind, hätten sie und ihr Mann zwar die Möglichkeit dazu. „Aber man will ja seinen Beitrag dazu leisten, dass das Virus sich nicht ausbreitet“, sagt sie. Heute sei sie froh, dass sie Lotta selbst betreut habe: Denn nach einem Verdachtsfall auf Covid-19 befinde sich ihre gesamte Kita-Gruppe in Quarantäne. Die haben Reble und ihre Familie mittlerweile schon zweimal mitgemacht – und keine Lust auf eine Wiederholung.

„Die Situation, so wie sie jetzt ist, ist eine Vollkatastrophe.“

Wie es weitergehen soll, weiß Reble noch nicht. „Vor ein paar Tagen hatte ich einen Migräneanfall. Da dachte ich: Das geht keine Minute länger. Die Situation, so wie sie jetzt ist, ist eine Vollkatastrophe.“ Ihr Plan ist es, jeden zweiten Tag freizunehmen, bis der Lockdown vorbei ist. „Zum Glück habe ich noch einiges an Resturlaub und Überstunden.“ Zur Not lasse sie sich freistellen, auch wenn das einen Gehaltsverlust bedeute.

Reble hofft, dass es bald wieder losgeht mit der Kita-Betreuung und dem Schulbesuch in Gruppen. Für Lottas Ganztagesplatz in der Kindertagesstätte zahlen sie und ihr Mann nach wie vor rund 200 Euro pro Monat, obwohl ihre Tochter die Betreuung seit dem Lockdown kaum in Anspruch genommen hat.

Eine Erstattung der Gebühren steht derzeit nicht in Aussicht. Anders als im Frühjahr erhalte die Stadt Backnang diesmal keine finanzielle Unterstützung von der Bundes- oder Landesseite, um die Gebührenausfälle kompensieren zu können, sagt Regine Wüllenweber, die das Amt für Familie, Jugend und Bildung in Backnang leitet. Man setze sich „mit Nachdruck“ dafür ein, eine finanzielle Kompensation zu erhalten. „Bis zur endgültigen Klärung müssen wir die Eltern um Geduld bitten.“ Dadurch, dass das Personal für die Notbetreuung jederzeit abrufbar sein müsse und die Hygienemaßnahmen verschärft worden seien, steigen die Aufwendungen für die Stadt.

In Backnang nehmen momentan rund 24 Prozent der Kinder in allen Betreuungseinrichtungen die Notbetreuung in Anspruch. Im Vergleich zum Dezember (elf Prozent) ist der Bedarf deutlich gestiegen. In den umliegenden Gemeinden sieht es ähnlich aus.

Eine Mutter aus Kirchberg an der Murr, die ihren Namen nicht in der Zeitung lesen mag, ist froh über diese Möglichkeit. Ihre neunjährige Tochter, die die 3. Klasse besucht, bringt sie jeden Morgen in die Notbetreuung. Da sowohl sie als auch ihr Mann in systemrelevanten Berufen tätig sind, können sie nicht von zu Hause aus arbeiten. Sorgen macht sie sich vor allem um ihre ältere Tochter. Die 16-Jährige ist in der Abschlussklasse der Realschule, im April beginnen die Prüfungen.

Für sie selbst sei der Lockdown extrem anstrengend, sagt die 42-Jährige. Mit der Neunjährigen sitzt sie nachmittags noch zwei bis drei Stunden am Tisch. Die Konzentration sei natürlich nicht mehr so hoch. „Und ich bin ja auch keine Pädagogin“, sagt die Mutter. „Es fällt mir nicht immer leicht, die Aufgaben zu erklären.“ Obwohl sie um 20 Uhr ins Bett gehe, schlafe sie erst gegen 23 Uhr ein. Zu viel gehe ihr durch den Kopf. „Es bleibt alles an mir hängen“, sagt sie. „Die Großeltern der Kinder wohnen 400 Kilometer weit weg, sie können nicht helfen.“

Für Marion Grötzinger sind die Großeltern die vorübergehende Lösung. Mit ihrem Partner und ihrer zweijährigen Tochter Josefine wohnt sie in Kernen im Remstal-Rommelshausen. Seit dem vergangenen Sonntagabend sind Mutter und Tochter zu Besuch bei Grötzingers Eltern nahe Göppingen. Erst einmal für eine Woche, „danach müssen wir schauen, wie es weitergeht“, sagt die 34-Jährige, die als Projektkoordinatorin im Personalbereich bei Daimler arbeitet.

Ihr Partner ist in Rommelshausen geblieben, da er weiter außer Haus arbeitet. Er soll die Großeltern nicht unnötig gefährden. Momentan sei die Lösung für alle optimal, sagt Grötzinger: Josefine, die vorher jeden Morgen nach dem Aufstehen gefragt habe, ob sie in die Kita gehen dürfe, sei von den Großeltern gut abgelenkt, Oma und Opa freuen sich, sich um ihre Enkelin kümmern zu dürfen, und sie selbst könne in Ruhe arbeiten. „Natürlich könnten wir auch noch zwei Wochen hierbleiben“, sagt Grötzinger, „aber wir wollen auch nicht so lange von Josefines Papa getrennt bleiben.“

Wie sie die Lage in Rommelshausen handhaben werden, wissen sie noch nicht, sagt Grötzinger. „Entweder wir nehmen die Kita-Notbetreuung in Anspruch oder wir lassen uns freistellen.“ Das komme auf die Infektionszahlen an. Sie und ihr Partner denken gerade von Woche zu Woche, anders gehe es nicht. „Die Frage ist, wie lange sich das mit Zwischenlösungen stemmen lässt.“

Baden-Württembergs Kultusministerin Susanne Eisenmann (CDU) sagt, sie habe großen Respekt davor, was Eltern in der aktuellen Situation leisten. Sie hatte sich dafür eingesetzt, dass die Kitas und Grundschulen im Südwesten ab dem 18. Januar wieder öffnen, und möchte auch weiterhin für ein differenziertes Vorgehen nach dem Alter der Kinder werben. Ob sie sich mit ihrem Vorschlag durchsetzen können wird, steht noch nicht fest. Bis auf Weiteres müssen die Mütter und Väter, die ihre Kinder zu Hause selbst betreuen, eigene Lösungen suchen.

Kommentar
Hilfe nötig

Von Melanie Maier

Sich selbst um das Kind kümmern oder die Notbetreuung in Anspruch nehmen und riskieren, das Infektionsgeschehen weiter voranzutreiben? Bei dieser Frage stehen viele Eltern vor einem inneren Zwiespalt. Denn beides bewältigen – die Kinderbetreuung und die eigene Arbeit, ohne Abstriche auf einer Seite –, das ist so gut wie unmöglich. Schon gar nicht, wenn sich der Lockdown noch weitere Wochen hinziehen sollte.

Dabei stehen denjenigen, die überhaupt Anspruch auf die Notbetreuung haben, immerhin noch mehr Handlungsmöglichkeiten offen als Eltern, die diese Option nicht haben.

Ganz gleich, in welcher Konstellation sich um die Kinder gekümmert wird: Die Eltern brauchen dringend mehr Unterstützung, sei es in finanzieller Form – zum Beispiel durch die Erstattung der Kindergarten- und Kita-Gebühren – oder in Form neuer Betreuungslösungen. Denn schon jetzt stellt sich die Frage, wie lange das aktuelle System funktioniert. Die Urlaubs- und Freistellungstage sind endlich. Und finanzielle Abstriche kann sich nicht jede Familie auf Dauer leisten.

m.maier@bkz.de

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Erstellt:
16. Januar 2021, 06:00 Uhr

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