Energiekrise: Notfallpläne für Gasmangel in Backnang im Winter

Die Stadtwerke Backnang und die Stadtverwaltung suchen nach Antworten auf die Energiekrise. Bei einer akuten Gasknappheit droht dem Hallenbad die Schließung, auch einige Firmen müssen bangen. Privatkunden sollen dagegen weiter beliefert werden.

Das Außenbecken im Wonnemar verbraucht besonders viel Energie. Deshalb könnte es im Herbst geschlossen werden. Archivfoto: Edgar Layher

© Edgar Layher

Das Außenbecken im Wonnemar verbraucht besonders viel Energie. Deshalb könnte es im Herbst geschlossen werden. Archivfoto: Edgar Layher

Von Kornelius Fritz

Backnang. Während sich das Thermometer draußen der 40-Grad-Marke nähert, sind die Verantwortlichen im Backnanger Rathaus und bei den Stadtwerken gedanklich schon im nächsten Winter. Die Frage, die sie beschäftigt: Was passiert, wenn Russland seine Gaslieferung nach Abschluss der Wartungsarbeiten an der Pipeline Nord Stream 1 nicht wieder hochfährt oder den Gashahn vor dem Winter erneut zudreht?

Sollte es gelingen, die Gasspeicher in Deutschland bis Oktober zu 80 bis 90 Prozent zu füllen, könne man relativ entspannt in den Winter gehen, erklärte Stadtwerke-Geschäftsführer Thomas Steffen nun im Gemeinderat. Die Vorräte reichten für zwei bis drei Monate. Sollte der Winter nicht allzu frostig werden, würde man die kalte Jahreszeit damit wohl überstehen. Das Problem: Aktuell ist der Füllstand der Speicher erst bei knapp 65 Prozent und das ist zu wenig. „Wenn nach der Wartung von Nord Stream 1 gar kein Gas mehr fließt, stehen wir im Herbst mit kurzen Hosen da“, beschreibt es Steffen anschaulich.

Privatleute müssen vorerst keine Sorge haben

Weil dieses Szenario nicht unrealistisch ist, macht sich der Energieversorger schon jetzt Gedanken über mögliche Notfallpläne. Die gute Nachricht: Privatleute müssen vorerst keine Sorge haben, in ihren Wohnungen frieren zu müssen. Laut dem „Notfallplan Gas“ der Bundesregierung gehören nämlich alle Verbraucher mit einem Jahresbezug unter 1,5 Millionen Kilowattstunden zu den geschützten Kunden, ebenso soziale Einrichtungen wie Krankenhäuser und Pflegeheime, aber auch Polizeistationen oder Feuerwachen. Bei den Stadtwerken Backnang fallen laut Steffen fast alle Kunden unter diesen Schutz. Nur etwa 20 Großabnehmer, die rund 30 Prozent des Gasverbrauchs ausmachen, sind nicht geschützt.

Für diese mussten die Stadtwerke eine Reihenfolge festlegen, in welcher sie im Falle von Gasknappheit beliefert werden sollen. Bei der Priorisierung hat man laut Steffen auf die Systemrelevanz der Branche geschaut. Außerdem wurde berücksichtigt, ob der Kunde die Möglichkeit hat, kurzfristig auf andere Energieträger umzustellen.

Als Erstes könnte das Außenbecken des Wonnemars geschlossen werden

Inzwischen ist die Prioritätenliste fertig, sie soll allerdings vorerst geheime Verschlusssache bleiben. Denn die Diskussionen, die eine Veröffentlichung wohl unweigerlich auslösen würde, will sich Stadtwerke-Chef Steffen ersparen. Schließlich hofft er nach wie vor, dass er den Notfallplan niemals aus der Schublade holen muss. Sollte der Fall dennoch eintreten, könne man die Kunden ohnehin nur auffordern, ihren Gasverbrauch zu senken oder einzustellen. „Wir werden niemandem den Gashahn abdrehen“, sagte der Geschäftsführer.

Was heute schon klar ist: Als Erstes würde im Fall der Fälle wohl beim Freizeitvergnügen gespart. Das könnte zum Beispiel das Backnanger Wonnemar betreffen. Bereits im Mai waren dort die Wassertemperaturen um bis zu zwei Grad gesenkt worden (wir berichteten), laut Oberbürgermeister Maximilian Friedrich werden mit dem privaten Betreiber Interspa aber noch weitergehende Maßnahmen diskutiert. So könnte in einem nächsten Schritt zum Beispiel das besonders energieintensive Außenbecken geschlossen werden. „Beim Schwimmen hat für uns das Schul- und Vereinsangebot klar Vorrang vor zwar Wünschenswertem, aber nicht unbedingt Notwendigem“, sagte Friedrich im Gemeinderat. Im schlimmsten Fall könnte das Hallenbad laut OB aber auch ganz geschlossen werden.

Im Rathaus wurde überdies eine „Energiesparkommission“ ins Leben gerufen, die weitere Einsparmöglichkeiten finden soll. „Dabei wird vor allem die Raumtemperatur in städtischen Gebäuden unter die Lupe genommen“, erklärte OB Friedrich. So könnte es etwa in den Sporthallen, aber auch in den städtischen Bürogebäuden nächsten Winter etwas frischer werden als bisher üblich. Die Arbeitsstättenverordnung werde dabei aber eingehalten, betonte der OB. Diese schreibt in Büros aktuell eine Mindesttemperatur von 20 Grad vor.

Bei den Privathaushalten können Stadt und Stadtwerke nur an die Sparsamkeit appellieren. Eine Möglichkeit, Gas zu rationieren oder die Raumtemperatur in privaten Gebäuden zu begrenzen, gibt es laut Thomas Steffen nicht. „Für uns als Netzbetreiber gibt es beim Gas nur auf oder zu“, erklärte der Geschäftsführer. Die Heiztemperatur wählt jeder Haushalt für sich. Wobei viele ihr Verhalten angesichts der hohen Gaspreise (siehe Infobox) wohl von alleine ändern werden.

OB Maximilian Friedrich verband sein Statement im Gemeinderat mit einem Appell an die Bundespolitik. Viele Verbraucher und Unternehmen könnten sich die Energie bald nicht mehr leisten: „Damit drohen am Ende der Wirtschaftskette auch etliche solide Stadtwerke unter die Räder zu kommen.“ Friedrich macht sich deshalb für eine Preisobergrenze für Endverbraucher stark. Werde diese überschritten, solle der Staat die Differenz übernehmen. Eine solche Subvention wäre in den Augen des Oberbürgermeisters „sowohl effektiver als auch gebotener als der aktuelle Tankrabatt“.

Preisexplosion auf dem Energiemarkt

Gaspreis Die Beschaffungskosten für Erdgas sind seit Ende 2021 explodiert. Vor einem Jahr lag der Beschaffungspreis der Stadtwerke Backnang für eine Kilowattstunde Gas noch bei etwa zwei Cent. Aktuell sind es laut Thomas Steffen rund 15 Cent. Wegen langfristiger Lieferverträge kann der Energieversorger sein Gas aber teilweise noch günstiger einkaufen.

Herkunft Bis zum vergangenen Herbst kamen mehr als 50 Prozent der Gaslieferungen nach Deutschland aus Russland. Dieser Anteil ist bereits deutlich gesunken und lag im Juni nur noch bei 26,1 Prozent. Wichtigster Gaslieferant war zuletzt Norwegen mit einem Anteil von 27,1 Prozent.

Strompreis Zusammen mit dem Gaspreis sind auch die Beschaffungskosten für Strom explodiert, von etwa fünf Cent auf bis zu 50 Cent pro Kilowattstunde.

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Erstellt:
19. Juli 2022, 06:00 Uhr

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