Er blieb allein: Elser und das Attentat im Bürgerbräukeller

dpa München. Es war keine Sünde, sagte Georg Elser über seinen Versuch, Hitler zu töten. Es war ganz sicher nicht allein seine Tat, sagte lange die Nachwelt und diffamierte ihn. Er hätte die Welt verändert, so lautet ein Filmtitel heute. Was war so schwierig zu verstehen an dem mutigen Mann?

Das undatierte Foto zeigt Georg Elser in den 30er Jahren des 20. Jahrhunderts. Foto: dpa Königsbronn/dpa

Das undatierte Foto zeigt Georg Elser in den 30er Jahren des 20. Jahrhunderts. Foto: dpa Königsbronn/dpa

Ob Georg Elser seine Tat gewagt hätte, wenn er gewusst hätte, wie die Nachwelt mit ihm umgehen wird? Ob er das auf sich genommen hätte, die Mühe, die wochenlangen Vorbereitungen, die ständige Belastung, entdeckt und dann verhaftet und gefoltert und ermordet zu werden - so, wie es dann auch gekommen ist? Vielleicht ja.

In den Verhörprotokollen der Gestapo ist seine Antwort auf die Frage nach Zweifeln vermerkt: „Das weiß ich nicht mehr, ob mir einmal Zweifel kamen oder nicht. Ich glaube aber, es kamen mir keine.“ Georg Elser, geboren 1903 in Hermaringen in Württemberg, ein Schreiner, sieht den Zweiten Weltkrieg früher als viele andere kommen. Und er will ihn verhindern.

Deswegen baut er über Monate an einer Bombe, lässt sich von keiner Verletzung aufhalten, tüftelt den richtigen Zeitzünder aus, arbeitet in einem Steinbruch, um an Sprengstoff zu kommen, und lässt sich wochenlang dort einschließen, wo er den Diktator Adolf Hitler mit seiner Bombe töten will: im Münchner Bürgerbräukeller.

Am 8. November 1939, genau ein Jahr, nachdem er dort eine Rede Hitlers gehört hat, lässt er die Bombe hochgehen, die die Weltgeschichte hätte verändern können, wie man heute sagt. Doch diese Weltgeschichte nimmt einen anderen Lauf, Hitler verlässt den Saal früher, es sterben andere.

Elser wird auf der Flucht in die Schweiz festgenommen, verhört, gefoltert und - nach einem Geständnis - für einen Schauprozess nach dem Krieg als Sonderhäftling im Konzentrationslager Sachsenhausen gefangengehalten. In Dachau, als im April 1945 die Kriegsniederlage unausweichlich und der von der Nazi-Elite erwünschte Prozess unmöglich scheint, wird er erschossen, am selben Tag ermordet wie Dietrich Bonhoeffer. Elser wurde verleumdet, unterschiedlichste Komplizen wurden ihm angedichtet, Zusammenarbeit mit dem britischen Geheimdienst, mit der polnischen Untergrundbewegung, Handeln auf Hitlers Befehl. Warum das alles?

„Elser wurde das Opfer einer gezielten Diffamierung. Viele mochten sich nicht eingestehen, dass er vorausschauend gehandelt hatte, und deuteten ihn als einen von den Nationalsozialisten eingesetzten Provokateur. Selbst Historiker beteiligten sich an diesen Verzeichnungen seiner Leistungen und sahen in ihm ein Werkzeug der SS“, erläutert Peter Steinbach, Leiter der Gedenkstätte Deutscher Widerstand in Berlin. „Erst als seine Verhöre bekannt wurden, wandelte sich das Bild - allerdings gab es immer wieder Zweifler, mehr noch, ihn Verunglimpfende, die bestritten, dass er die Einsicht hatte oder auch nur haben konnte, die Folgen der Kriegsvorbereitungen zu durchschauen.“

Es hat lange gedauert, bis Elser Gerechtigkeit widerfahren ist für seinen Mut und seine Opferbereitschaft. In diesem Jahr kommt der Bundespräsident nach Hermaringen. In München erinnert am Ort des Attentats, dort, wo die Säule stand, in der die Bombe versteckt war, eine Bodentafel an Elsers Tat. Seit den 1980er Jahren steht dort das Veranstaltungszentrum Gasteig.

Zum Zeitpunkt des Attentats lebte Elser im Uni-Viertel, in der Türkenstraße. Eine Gedenktafel findet sich an dem Haus. Die junge Frau im Modeladen, der heute dort ist, meint, zum Gedenken könne man noch mehr machen. „Ich komme oft ins Gespräch mit Menschen, die stehenbleiben und gucken.“ Viele Schülergruppen seien dabei, „auch pubertierende Jungs, die nicht nur die ganze Zeit aufs Smartphone schauen - das ist wichtig“. Ein paar Häuser weiter erinnert eine Lichtinstallation jeden Abend an Elser und das Attentat. Gegenüber befanden sich eine Schreinerei und eine Schlosserei, wo Elser Teile der Bombe anfertigen und bearbeiten ließ.

Das Haus ist erhalten, noch heute befinden sich dort Werkstätten, wie die Klingelschilder verraten. Viele alte Gebäude stehen hier, man hat den Hauch einer Ahnung, wie es vor 80 Jahren ausgesehen haben könnte. Ein Tabak- und Lottoladen befindet sich inzwischen am historischen Ort. „Da schauen immer Leute hin“, hat die Frau hinter dem Tresen beobachtet. „Und jeden Tag sind da mindestens zwei Besuchergruppen.“ Und die Anwohner? „Alle in der Straße wissen das, ich weiß das, meine Kinder jetzt auch. Da wird schon dafür gesorgt, dass das nicht vergessen wird.“ Aber warum hat es bis in die 1980er Jahre gedauert, dass man begann, sich Elsers Tat angemessen zu erinnern?

„Elser hatte gezeigt, dass eigentlich jeder erkennen konnte, dass es auf einen Krieg hinauslief. Die meisten glaubten Hitlers Lüge vom Verteidigungskrieg. Er wusste, dass der kommende Krieg viele Menschenleben fordern würde. Deshalb entschloss er sich, den Krieg durch die Tötung Hitlers und einiger seiner Paladine zu verhindern. Propheten im eigenen Lande gelten denen nicht viel, die ihnen nicht glaubten“, begründet Peter Steinbach die jahrzehntelange Ablehnung.

In das Bild passt, dass, wie Steinbach berichtet, der Grenzbeamte, der Elser verhaftete, später als erfolgreicher Unternehmer und Autoverkäufer das Bundesverdienstkreuz erhielt. „Elser hat man oft als „einfachen Mann“ aus dem Volk tituliert. Das war er offenbar nicht, denn er blickte weiter als die meisten seiner Zeitgenossen.“ Elser habe zudem bewiesen, „dass man auch wissen konnte, wie sich die Katastrophe entwickeln musste, wenn man nicht in den Zentren der Macht agierte, wie die Angehörigen des militärischen Widerstands“.

In München wird mit einer Podiumsdiskussion im Rathaus an Elsers Tat erinnert. Auch Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) würdigt sie - sie „war und ist nicht unumstritten, es wurde viele Jahrzehnte um eine Einordnung gerungen. Heute gehört zur Erinnerung an die NS-Zeit auch, dass wir die gesamte Bandbreite des Widerstands darstellen und würdigen. Georg Elser hat in dieser Erinnerung einen festen Platz, vor allem hier in München.“

Er habe Gutes gewollt, sagte Elser der Gestapo zwölf Tage nach dem Attentat: „Ich glaube an ein Weiterleben der Seele nach dem Tode und ich glaubte auch, dass ich einmal in den Himmel kommen würde, wenn ich noch Gelegenheit gehabt hätte, durch mein ferneres Leben zu beweisen, dass ich Gutes wollte. Ich wollte ja auch durch meine Tat ein noch größeres Blutvergießen verhindern.“

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Erstellt:
4. November 2019, 05:12 Uhr

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